Visionen zum Wohnentun & lassen

Immo Aktuell

Wer zahlt die Krise? Forderungen zur Wohnungspolitik in und nach Corona-Zeiten. Ein so betitelter offener Brief mit zahlreichen Unterzeichner_innen wurde am 18. April im Standard veröffentlicht. Die Initiator_innen, Architektin Gabu Heindl und Stadtforscherin Bettina Köhler, über die Reaktionen darauf und über die wohnpolitische Vision, die Österreich braucht.

Interview: Ruth Weismann, Illustration: Much

Warum seid ihr mit einem wohnpolitischen Statement an die Öffentlichkeit gegangen?
Gabu Heindl: Unser Anliegen war zum einen eine Auseinandersetzung mit dem Corona-Hilfspaket der Regierung. Zum anderen eine Analyse, welche menschenrechtsbasierte Wohnpolitik nach Corona wichtig wäre. Denn in der Zeit der Verschärfung lässt sich sehr gut ablesen, wo Grundschwierigkeiten liegen.
Bettina Köhler: Es ging um kurzfristige und langfristige Perspektiven. Etwa darum, wer überhaupt Hilfsmaßnahmen bekommt, aber auch, warum Mieteinnahmen unhinterfragt sein sollen, wenn jetzt Einkommen entfallen. Langfristig geht es um die Fragen, wie durch die Verwendung von Immobilien als Anlageprodukt das Menschenrecht auf Wohnen gefährdet ist.

Maßnahmen wie das Stunden von Mieten kritisiert ihr als nicht ausreichend. Warum?
B. K.: Wenn jemand jetzt drei Monate lang kein Einkommen gehabt hat und am Ende des Jahres die ganze Miete zurückzahlen muss, ist das in prekären Situationen unmöglich.
G. H.: Es gibt ausreichend Statistiken, die zeigen, dass Menschen mit niedrigen Einkommen – oft Frauen – sich das Wohnen jetzt schon nicht leisten können. Bedenklich bei den Sofortmaßnahmen ist auch: Es gibt kein Recht auf Fortführung eines befristeten Mietvertrags, nur die Möglichkeit dazu. Das zeigt, wie wichtig der Regierung die Befristungen sind. Es zeigt zugleich aber ein grundsätzliches Problem: Über 70 % aller Neuvermietungen sind befristet. Das ist die Form, wie man in Österreich die Mietregelungen umgeht: indem man die Menschen in Abhängigkeit hält und daran hindert, ihre Miethöhen einzuklagen. Denn das machst du nicht, wenn du vom guten Willen der Vermieter_innen abhängig bist. Befristungen abzuschaffen wäre ein wichtiger Schritt in Richtung gerechtere Wohnpolitik. Befristungen sollten nur bei Eigenbedarf möglich sein. Befristungen und Lagezuschlag wurden erst durch das Lobbying der Immobilienwirtschaft 1994 gesetzlich verankert. Das muss rückgängig gemacht werden.

Die Immobilienwirtschaft, so schreibt ihr, soll sich in der Krise an den Kosten beteiligen. Wie?
B. K.: Damit, dass Mieten ‹aufs Haus gehen›. Im Gegensatz zu existenzbedrohten Mieter_innen würde das für große Immobilienfirmen nicht ins Gewicht fallen. Die werden das aber nicht freiwillig tun.
G. H.: Visionär gedacht wäre, dass für Wohnen überhaupt nur so viel zu bezahlen ist, wie es für Instandhaltung, Verwaltung und anteilige Investitionen braucht. Das arbeitslose Einkommen von profitorientierter Immobilienspekulation ist das Hauptproblem. Nicht die kleinen Vermieter_innen, sondern die riesigen, globalen Investmentfonds, deren Aktien während der Krise gestiegen sind, weil sie Investmentprodukte haben, die als krisensicher gelten: eben Wohnungen, die weiterhin bezahlt werden müssen, Krise hin oder her. Statt Spekulation mit Wohnraum muss gemeinwohlorientiertes und kollektives Wohnen unterstützt werden, und wenn privat zur Miete gewohnt wird, dann mit gutem Mieter_innenschutz.

Wie war die Resonanz auf den offenen Brief?
B. K.: Es gab schon während des Schreibens Widerspruch – Wissenschaftler_innen, die für die Immobilienwirtschaft argumentierten. In den Diskussionforen wurde schnell erkannt, dass wir hier das verpflichtungslose Recht auf Eigentum in Frage stellen. Im Forum kamen Rundumschlag-Argumente wie: ‹Dann wird auch niemand mehr das Essen im Supermarkt zahlen wollen.› Und: ‹Ihr greift die Leute an, die so dringend das Geld aus Vermietungen brauchen.› Das haben wir aber schon im Brief entkräftet (Anm.: Laut einer Wifo-Studie von 2019 gehen in Österreich rund fünf Prozent der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung an das untere Einkommensdrittel, an das oberste Drittel rund 80 Prozent.) Es kann ja sein, dass jemand von Vermietungen leben muss, weil er oder sie arbeitsunfähig ist oder was auch immer, aber das lässt sich ja nachweisen. Es war uns wichtig, deutlich zu machen, dass es arbeitsloses Einkommen ist. Aber letztlich auch, dass immobilienbasierte Altersvorsorge auch auf Kosten derjenigen geht, die keine Wohung besitzen.
G. H.: Was auch viele Leute aufgeregt hat, war, dass wir die Geflüchteten erwähnt haben. Wir wollten gerade in Zeiten, wo Menschen so intensiv mitbekommen, was es bedeutet, eine Wohnung zu haben – oder eben keine zu haben –, Empathie einzufordern und sagen: Es geht ums Wohnen für alle.
Aber es gibt auch andere Reaktionen: Leute, die in ihrem Haus jetzt kollektiv bei ihrer Hausverwaltung auf Mietenstopp anfragen. Das ist super, dass etwas denkmöglich und sogar zur Handlungsorientierung wird.

Denkt ihr, dass all diese Ideen irgendwann auch umgesetzt werden könnten?
G. H.: Generell ist das eine langfristige Sache, an der wir alle dranbleiben sollten. Wir haben ja selbst reagiert, auf die Initiative CoView, die über meinaufstehn.at Mietenstopp fordert. Neben der aktivistischen Seite sollten sich auch Wissenschaftler_innen zu Wort melden. Es geht um ein stetes Arbeiten an öffentlicher Meinungsbildung.