Völlig durchgegendertArtistin

Betrachtungen eines Korrekturlesers, Teil 2

Seit 2011 schreibt der Augustin geschlechtergerecht. Bloß im Literaturteil herrscht Wahlfreiheit. Im zweiten Text seiner Serie resümiert Richard Schuberth die Chancen und Widersprüche der gendergerechten Schreibweise, spart nicht mit Kritik, aber auch nicht mit Kritik an der Kritik.

Foto: Irmgard Derschmidt

Ein typisches Kind meiner Zeit bin ich: unentschlossen, gespalten, vielleicht auch windig. Ich verteidige sogar den Mut zur Unentschlossenheit. Das trägt mir dann den Vorwurf ein, postmodern zu sein. Ein Beispiel: Ich necke gerne den Sprachbürokratismus der Gender-Marien, finde aber den he­rablassenden Spott vieler – auch sich fortschrittlich wähnender – Männer gegenüber der geschlechtergerechten Sprache und ihr Unverständnis für dessen Ausgangsthese widerlich. Von den einen als Phallokrat, von den anderen als Weichmensch oder Gutei oder was auch ­immer beschimpft. Armer, unverstandener Diskursbär.

Ein schwacher Trost ist es, zu erkennen, wie sehr und worin Kritiker_innen und Befürworter_innen hier aneinander vorbeireden. Lassen wir die Häme jener Mehrheit von Männern und Frauen beiseite, die neuerdings ­einen Feminismus in ihr Volkstum eingemeindet haben, der sich darauf beschränkt, bis zum letzten Muslim, bis zur letzten Muslima, für das Recht der eingeborenen Frau auf Kunstledermini zu kämpfen, sondern wenden wir uns jenen Gegner_innen zu, die die aussterbende Zivilisationspraxis des Arguments pflegen. Eine Collage:

▶ Gegenderte Substantiva lassen sich nicht sprechen.

▶ Der Unterschied zwischen grammatikalischem Geschlecht und persönlichem Geschlecht wird nicht bedacht (die Dummköpfin?).

▶ Nicht jede_r professionelle Henker_innenausbildner_in hat seine_ihre Freude mit seinen_ihren Vorzugsschüler_innen: All die Binnenmajuskeln, Sternchen, Unterstriche bremsen besonders bei Hauptwörtern in Gesellschaft von Pronomina und Adjektiva den Lesefluss, spreizen die Sätze und lassen dort, wo Eleganz, Sprachkunst und Pointiertheit möglich gewesen wären, Wüsten aus undurchdachten Normen zurück, Cyborgwörter, zusammengesetzt aus lebendigem Sprachfleisch und rostigen Prothesen der Korrektheit.

▶ Der alternierende Gebrauch, also abwechselnd weibliche und männ­liche Form, um die nicht wirklich ­große Artenvielfalt der Geschlechter paritätisch aufzuteilen, wird nur von den Leserinnen und Zuhörern verstanden, die in dieses nett gemeinte Spiel eingeweiht wurden. Die anderen fragen sich schlicht, warum hier die Leser und die Zuhörerinnen ausgeschlossen wurden.

▶ Nur Menschen mit freudianisch versautem Unterbewussten kämen noch auf die Idee, das Binnen-I phallisch zu interpretieren; mich erinnert es eher an die Zeltstangen eines Histogramms, welche Wörter vor meinem geistigen Schwummerauge zu statistischen Diagrammen verschwimmen lassen. ­Leider spottete Dirk Braunstein gar nicht schlecht: «Wer auch nur von Dachrinnen reden hört, möchte unweigerlich ein ‹Binnen-I› hineinphantasieren.»

▶ Alle Versuche, das generische Maskulinum (die Verwendung der männlichen als übergeschlechtliche Form) durch Partizip-Präsens-Substantivierungen zu neutralisieren, sind inhaltlich falsch. Der Läufer ist nicht in jeder Situation ein Laufender, weil er sich auch mal eine Pause verdient hat, und Max Goldt hat sich den Studierenden vorgenommen: «Man kann nicht ­sagen: In der Kneipe sitzen biertrinkende Studierende. Oder nach einem Massaker an einer Universität: Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden. Niemand kann gleichzeitig sterben und studieren.»

▶ Ein kluger Einwand kommt auch von feministischer Seite: Wenn man mal absieht vom «Gendergap» – wie der Unterstrich etwas ­salopp genannt wird, der eine Art visualisierte Gedenksekunde für alle Zwischengeschlechter sein soll – könnte man mutmaßen, dass das Sichtbarmachen der Frauen in der Sprache übers Ziel hi­nausschießt. Weil es einem_r die dichotomische Geschlechterdifferenz, welche doch aufgeweicht gehört, bei jeder Gelegenheit aufs Auge drückt. Noch nie wurde man so oft daran erinnert, dass die Menschheit aus Männchen und Weibchen bestehe. Und keine textliche Aussage kann interessant genug sein, um vom ­Wesentlichen abzulenken: dass die Welt schön brav in Animus und Anima geteilt bleiben soll.

Sein und Bewusstsein

Die wichtigste Kritik aber weist auf den Gegensatz von materiellem Sein und subjektivem Bewusstsein zurück. Mit feministischer Runenmagie lassen sich die patriarchalen Verhältnisse leider nicht umkrempeln, das ins Herz der Chefpuppe gebohrte Binnen-I lässt den Chef nicht auf einmal die Gehälter angleichen. Im Gegenteil, der Binnenversal funktioniert wie der Handel mit Schadstoffzertifikaten: sich mit Gender Correctness Gender Discrimination im Arbeitsverhältnis zu erkaufen. Oder wie es die Wiener Sozial- und Kulturanthropologin Ingrid Thurner zuspitzt: «Ihr Frauen bekommt die Binnenversalien und wir bescheiden uns mit den Ordinariaten.» Und so zieht Thurner eine ernüchternde Bilanz: «Ein Nutzen der allgegenwärtigen Beidbenennung ist vorerst nicht erkennbar. Drei Jahrzehnte sprachlicher Gleichbehandlung haben bloß unschöne Texte, aber keine gesellschaft­liche Gleichstellung gebracht.»

Der alte Gegensatz von Materialismus und Idealismus lebt hier im Gegensatz von sozialem Kampf und linksliberaler Identitätspolitik wieder auf. Letztere arbeitet vorrangig mit Bewusstseinsbildung und symbolischer Repräsentanz: Dass die Welt ein Jammertal ist, ist ihren ­Aktivist_innen zufolge ein Produkt der falschen Haltungen, der falschen Erziehung, der falschen psychischen Prägungen. Wenn der Rassist, die Rassistin endlich einmal einsehen würden, dass Familie ­Süleymani nicht ihren Hund vergiften will, wenn der Grapscher einmal einsähe, wie weh Grapschen in der Seele tut und wenn Kapitalist_innen sich endlich in die Lage jener Ausschussware namens Lohnarbeiter_innen hineindächten, dann könnten ja eigentlich alle Freunde werden und bei der nächsten

Regenbogenparade mitmarschieren. Unwiderlegbar ist die Kritik sozialistischer Antirassist_innen, Feminist_innen und Antikapitalist_innen an derlei Symptombekämpfung.

Und doch …

Es gibt jedoch einen einfachen und entwaffnenden Einwand gegen mein tendenziöses Schwarz-Weiß-Gemälde. Da ich nicht auf ­Leserbriefe warten kann, werfe ich ihn gleich selber ein. Und zwar: Warum nicht beides? Der hier konstruierte Gegensatz zwischen radikalen Systemkritiker_innen und fehlgeleiteten Symbolpolitiker_innen ist natürlich in Wirklichkeit nie so schematisch und die Protagonist_innen einer gendergerechten Sprache sind zumeist auch ve­hemente Verfechter_innen der sozialen Gleichstellung. Andererseits verwenden ­Gegner_innen der geschlechtergerechten Sprache das Argument der Symptombekämpfung oft auch, um den Feminismus zu diffamieren.

Allgemein ist festzustellen, dass die meisten Kritiker_innen bei aller Stichhaltigkeit ihrer Argumente zugleich eine Überheblichkeit und eine Ignoranz gegenüber dem feministischen Grundanliegen an den Tag legen, die gerne mit barer Münze zurückgezahlt werden. Sie winken als Bagatelle ab, was eben keine Bagatelle ist. Das generische Maskulinum bei Personen ist ein Missstand, wie auch immer es gemeint sein mag.

Andererseits ist der Spott, den die feministischen Sprachbürokrat_innen auf sich ziehen, nicht zwingend frauenfeindlich. Sprachbürokrat_innen sind immer komisch, weil sie witzlos, steif und unflexibel sind und weil sie den riesigen Planeten Sprache mit der nur einen Farbe ihres Partikularanliegens überpinseln wollen, ohne sein Wesen, seine Vielschichtigkeit, sein Eigenleben nur annähernd zu verstehen. Weil sie

Literatur veramtlichen wollen und das Gefühl für Rhythmus, Klang, Eleganz bloß als stilistischen Spleen abtun, der sich der gerechten Sache zu opfern habe, im gegebenen Fall den Planeten Sprache mit Binnen-Is spicken wie eine Orange mit Nelken und jeden noch so kleinen Zweifel als Konterrevolutionär des Patriarchats ­arretieren lassen. Revolutionen wären so wunderbar, gäbe es nicht das Revolutionspersonal, das stets alles, was es nicht versteht, reglementieren muss.

Spötteln ist leicht, worin bestünde aber eine Lösung? Ich habe keine Lösung. Außer in jedem Text zu bekunden, dass man das Anliegen ernst nimmt, welches kein Anliegen der Frauen, sondern aller sein sollte, die eine Sprache sprechen und schreiben. Man merkt einem Text sofort an, ob der Autor oder die Autorin auch dann sensibel für das Problem ist, wenn er oder sie die ­üblichen Gendermarkierungen nicht verwendet. Es gibt Möglichkeiten, das generische Maskulinum zu vermeiden. Die Paarnennung von weiblicher und männlicher Form muss den Rhythmus nicht stören, sie kann sogar förderlich sein. Studierende werde ich allerdings nie schreiben. Und auch nicht Agierende statt Agenten und Patierende statt Patienten.

Ich muss mir mit den Revolutionärinnen, für deren Sache ich Feuer und Flamme bin, halt einen Sonderdeal aushandeln. Zum Beispiel könnte ich beeidigen, die Spötter_innen der geschlechtergerechten Sprache zu verspotten, solange mir gestattet bleibt, meine alte Machodinosauriersprache behalten zu dürfen. Eher lasse ich mich von einem feministischen Exekutionskommando mit Binnenversalien füsilieren, als meine eigenen literarischen Texte mit solchen zu spicken. Ich bitte um Verständnis.

Im nächsten Teil geht der Autor der Frage nach, ob das Gute geschlechtsneutral, das Böse aber generisch männlich ist.