Flashmobs und die freie Gestaltbarkeit von Leben im öffentlichen Raum
Die Situation könnte folgende sein: Freitagnachmittag Sie schlendern durch die Stadt und kontemplieren, in Gedanken versunken, andere Passanten, das vorwochenendliche Leben. Auf einmal, wie einem unsichtbaren Signal gehorchend, brechen aus der Masse geruhsamer Spaziergänger mehr und mehr Menschen aus, laufen auf ein sich rasch formierendes Epizentrum zu, in dem sich, wie Sie jetzt bemerken, zwei grotesk anmutende Ninja-Karatekämpfer gegenüberstehen. Rasch formieren sich nach diesem Muster zahllose Zweikämpfer und umtanzen einander in wild-martialischer Manier. Alsbald fallen die Semikontaktkontrahenten reglos zu Boden. Unter den Unbeteiligten herrscht Stille, erstauntes Schweigen. Nach einer Minute ist der Spuk vorbei: Die Kämpfer erheben sich, die Menge zerstreut sich in alle jene Richtungen, aus denen sie sich zusammengerottet hat. Ordnung ist wieder eingekehrt, doch: Was war geschehen?
Als verdutzter Großstädter sind Sie in einen Flashmob geraten: Letzterer ließe sich ins Deutsche als „Blitzmeute“ übersetzen (weshalb wir es mit dem Englischen halten wollen) und bezeichnet ein kurzlebiges Ereignis im öffentlichen Raum, das sich für Uneingeweihte als das impulsive, massenweise Fehlverhalten anscheinend irr gewordener Stadtnutzer ausmacht. Die Kürze, Spontaneität und Einfachheit der Aktion sind unumgängliche Wesenszüge. Für straffe Organisation sorgt ein Mobilisierungsprozess, der sich routinemäßig auf Netzwerkplattformen im Web oder, seltener, SMS-Versand stützt. Derlei legt nahe, dass das Phänomen an sich so alt nicht ist: Gemeinhin gilt 2003 als das Geburtsjahr des Flashmob, da in New York ein Redakteur des Harpers Magazine zu einer Nonsensaktion im Shoppingtempel Macys aufrief. Vergleichbare Initiativen hatte es freilich auch schon zuvor gegeben: Halbspontane Performances oder eilig organisierte Protestkundgebungen fungieren als Vorläufer und enge Verwandte.
Official Vienna Flashmob Group
Wiewohl dies nahe liegen könnte, verfolgt der Flashmob kein konkretes Anliegen: Er ist kein Instrument, das ein soziopolitisches Engagement kanalisiert, sondern siedelt sich vordergründig zweckfrei als eine spielerische Zusammenkunft von anonym aufeinander treffenden Individuen im öffentlichen Raum an. Und zwar im Wesentlichen jenem der Großstadt, wo sich die Wirkung einer Verunsicherung von möglichst vielen verstörten Passanten erzielen lässt. Den Flashmob auf seine Wirkungsabsicht abklopfend, wird man jedoch argumentieren, dass schon aus etymologischen Gründen derlei Tun ein grundsätzlich politisches sei. Bezieht es doch Dynamik und Wesenhaftigkeit aus dem Agieren eines ephemeren, kompakt agierenden Bürgerverbandes, der antritt, um wenigstens implizit Gestaltbarkeit und Eingriffsrecht in den öffentlichen Raum einzufordern. Immerhin geht es dabei um die Verweigerung und Infragestellung zunehmender Reglementierung und Überwachungsmechanismen zum Zwecke einer angeblich unerlässlichen (weil dem Gemeinwohl dienenden?) Geordnetheit der Zustände. Das rasche Auftreten und spurlose Verschwinden einer kompakten Interaktionsenergie im Sinne des Flashmob stellt außerdem die direkte Anbindung der virtuellen Kommunikation an die Wirklichkeit eines Zusammenlebens von Menschen im Stadtraum dar und führt aus der Cocooning-Isoliertheit in die ludische Ausformulierung des Rechts auf frei nutzbaren öffentlichen Raum.
„Die große Besonderheit eines Flashmob liegt darin, dass so viele Menschen sich zusammenfinden, um gemeinsam etwas zu tun. Auch wenn es sich um etwas komplett Sinnloses handelt, wird es durch dieses gemeinsame Auftreten wieder gesellschaftlich akzeptabel“, bringt Felix Häusler seine Sichtweise der Angelegenheit auf den Punkt. Und als einer der Initiatoren der Official Vienna Flashmob Group auf Facebook weiß er, wovon er spricht: Diese virtuelle Community besteht seit etwas mehr als einem Jahr, sie umfasst knapp 2500 Mitglieder und kann im Idealfall um die 600 Flashmobber zusammentrommeln. Am einfachsten lassen sich so genannte Freeze-Flashmobs organisieren, deren Teilnehmer zu vorgegebener Zeit an vorgegebenem Ort plötzlich zu einer Art lebendem Wachsfigurenkabinett erstarren.
Dem Einfallsreichtum und der Skurrilität sind allerdings keine Grenzen gesetzt: Vom kollektiven Auftreten in Bienenkostümen über den von der New Yorker Gruppe Improv Everywhere alljährlich abgehaltenen „Pants off“-Flashmob in der Subway sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Als versierter Organisator rät Felix Häusler allerdings zur weitgehenden Reduktion der eingesetzten Mittel: Die Spontaneität geht ab einem gewissen Skurrilitätsgrad ein bisschen verloren. Man sollte das Szenario in nicht mehr als zwei Sätzen an andere weitergeben können, dann funktioniert ein Flashmob am besten.“ Allzu aufwändig vorbereitete Aktionen sind zwar beeindruckend anzuschauen, entbehren allerdings der spontanen Authentizität einer Blitzveranstaltung, deren Ablauf im Detail nicht einmal für die Initiatoren absehbar ist. Schließlich finden sich Flashmobber nicht mit Rose im Knopfloch als Erkennungszeichen ein, sondern geben sich erst durch ihre Teilnahme an der jeweiligen Aktion zu erkennen.
Vom Jux zum politischen Protest
Bisweilen mag ein besonders markantes Ereignis als Impuls für die Organisation eines Flashmob dienen. Als unlängst Michael Jackson verstarb, wurde von nachtaktiven Nutzern der Kürzestkommunikationsplattform Twitter das Thema bereits heiß diskutiert, als andere noch dem Vernehmen der „Skandalmeldung“ entgegen schliefen. In einigen beflissenen Wiener Köpfen tauchte alsbald die Idee auf, zum Massenmoonwalk-Flashmob vor der Karlskirche aufzurufen. Der vielseitige Medien- und Werbezampano Niko Alm nahm organisierender Weise die Dinge in die Hand und stellte geschwind eine Spontanveranstaltung auf die Beine, die sich (spätestens nach abschließendem Bade im Resselparkbrunnen) gewaschen hatte. „Für mich war es interessant zu sehen, dass so ein Flashmob wirklich funktioniert. In der Zukunft, wenn sich wieder einmal Gelegenheit bietet, werde ich auch eher an die Möglichkeit denken, so etwas zu organisieren“, lautet das Fazit des bis dahin Flashmob-Unbeleckten.
Jenseits von flashmobbendem Jux wird freilich mitunter zu Protestaktionen mit eindeutig ausgewiesenem Engagement aufgerufen. Unlängst wurde etwa nach dem Motto „Freiheit fürs MQ“ ein Bierdosen schwingender Flashmob im Haupthof des Museumsquartiers veranstaltet, womit man gegen die verschärfte Handhabung der Hausordnung protestierte. Der Überraschungseffekt als Charakteristikum eines Flashmob sgeht freilich im Fall einer solchen Kundgebung, wo fast ausschließlich Eingeweihte zugegen sind, verloren. Der Eindrücklichkeit des offenbar recht effizienten Hülsenflashmobs tat dies freilich keinen Abbruch. Einer ansatzweise existierenden Flashmob-Typologie zufolge sind Aktionen mit solch konkreter Zielsetzung übrigens als Smartmobs zu bezeichnen. Diese finden eigentlich schon länger als die unbeschwert daherkommenden Flashmobs und oft in politisch schwierigen Situationen statt, wo Protestanten auf Wendigkeit und Schnelligkeit angewiesen sind, um z. B. Polizeiübergriffen entgehen zu können. So führten wiederholte Smartmob-Protestkundgebungen gegen den korrupten philippinischen Präsidenten Joseph Esposito im Jahr 2001 sogar zu dessen Amtsenthebung. In Moskau wiederum, wo von öffentlicher Seite seit Jahren keine Parade von Homosexuellenorganisationen zugelassen wird, machten militante Mitglieder der Les-Bi-Schwulenszene aus ihrer Not wiederholt eine Smartmob-Tugend.
Angesichts der etwas verqueren Logik des Massenkonsums und des damit korrelierenden „Einfallsreichtums“ aufmerksamer Marketingstrategen ist wenig verwunderlich, dass der Flashmob völlig paradoxerweise in Anbetracht seiner zweckfreien Natur sich als zum PR-wirksamen Zweck instrumentalisierbares Mittel darstellt. So weisen gewiefte Profis darauf hin, wie viel an Aufmerksamkeit durch die massenweise Verbreitung von dokumentarischem Videomaterial auf Portalen wie YouTube zu generieren sei. Und tatsächlich haben internationale Mobilfunkunternehmen oder TV-Anstalten wiederholt mit perfekt synchronisierten Pseudo-Flashmobs Aufsehen zu erregen versucht. Bereits bei der Appropriierung von Stencil-Graffitis zu Werbezwecken hat man gesehen, dass das so genannte Guerilla-Marketing wenig unversucht lässt. Dass sich andererseits Flashmobber ebenso wie andere, denen an einer echten Belebung des öffentlichen Raumes gelegen ist, solchen Übernahmeversuchen verschließen werden, liegt hoffentlich in der Natur der von ihnen so vorzüglich betriebenen Sache.
Info 1:
Aus der MA 36, der Magistratsabteilung der Stadt Wien, die für das Veranstaltungswesen zuständig ist, vernimmt man, dass eine Zusammenkunft von durchaus auch verkleideten Individuen im öffentlichen Raum, solange sie weder politische oder religiöse etc. Inhalte vermittelt noch auf Varieté-, Theater-, Musik-, oder Tanzdarbietungen hinausläuft, weder dem Versammlungsgesetz noch dem Wiener Veranstaltungsgesetz unterliegt: Freie Bahn für Flashmobs?
Info 2:
Aus dem Internet in den öffentlichen Raum und zurück: Dokumentationsmaterial zu Flashmobs findet sich zuhauf auf Portalen wie YouTube und Vimeo. Gute Anlaufstelle für Flashmobwillige ist die Official Vienna Flashmob Group auf Facebook. Die Missionen der New Yorker Gruppe Improv Everywhere, darunter das legendäre Frozen Grand Central, finden sich dokumentiert auf http://improveverywhere.com.
Info 3:
Der Braunschweiger Autor Lord Dirk Schadt rief für den 8. August zu einem Flashmob auf dem Braunschweiger Schlossplatz auf. Plötzlich stand ein Mitarbeiter des Ordnungsamts vor seiner Tür, der ihm mitteilte, er müsse seinen im Internet verbreiteten Aufruf zurückziehen. Schadt gehorchte, meldete stattdessen aber eine Demo am gleichen Tag und zur gleichen Zeit an: für die Freiheit der Kunst, für die freie Nutzung von öffentlichen Räumen. Das Ordnungsamt lehnte auch die angemeldete Demo als nicht genehmigungsfähig ab. Nun rief die Opposition im Gemeinderat zur Demo gegen das Flashmobverbot in Braunschweig auf. Rund 500 Menschen picknickten am 8. August vor dem Shopping Center, für das vor zwei Jahren der Schlosspark geopfert worden war.