Augustins kleine Krisenkunde: Österreichs Banken in Osteuropa
Zum ersten Quartalsende 2009 haben österreichische Bankhäuser in Osteuropa über 200 Mrd. Euro an Krediten vergeben. Zählt man die in der italienischen Statistik inkludierte „Bank Austria“ sowie die kleinere „Hypo Kärnten“ dazu, sind es rund 300 Mrd. Euro. Die konservativsten Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 20 Prozent davon uneinbringlich sind. Realistischerweise werden es deutlich mehr sein.
Jeder fünfte aushaftende Kredit in Osteuropa wurde über österreichische Banken vergeben, die sich damit in Sachen Risiko weit vor deutschen oder italienischen Instituten positioniert haben. Jetzt, wo offenkundig geworden ist, dass ein guter Teil der Kredite faul ist, bricht Panik aus.
Die aggressive Strategie der österreichischen Kreditinstitute in Osteuropa war in Bankerkreisen jahrelang legendär. Zwischen „Raiffeisen Zentralbank“, „Erste Bank“ und „Bank Austria“ rühmte man sich der eigenen Rolle wegen, vom tschechischen Cheb bis hinein in das ukrainische Doneckbecken Filialnetze geknüpft zu haben, die unter Konkurrenten ihresgleichen suchten. Bisweilen kam herrschaftlich-monarchische Nostalgie auf, und es wurde an Zeiten erinnert, in denen „Creditanstalt“ und „Länderbank“ Ende des 19. Jahrhunderts die Länder der Habsburgerkrone nicht nur finanziell dominierten, sondern über ein weites Geflecht an Industriebeteiligungen ganze Branchen im Reich der 52 Millionen Untertanen unter Kontrolle hielten.
Dann kam „subprime“. Hypothekarkredite, die von US-Banken millionenfach an zahlungsschwache bis zahlungsunfähige Hausbesitzer vergeben wurden, waren plötzlich faul. Kreditausfälle zogen Immobilienpreise mit in den Keller. In einem ersten Reflex bemühten sich Österreichs Banken mit dem Hinweis auf die relativ geringe Verflechtung ihrer Institute mit US-Banken darauf hinzuweisen, was nicht stimmte. Dass „subprime“ auch ein osteuropäisches Phänomen war und ist, darüber wollte selbst Anfang 2009 noch niemand etwas wissen. Zwischenzeitlich sind auch weite Teile der osteuropäischen Ökonomie schlicht bankrott. Österreichs Banken stehen eingezwängt zwischen verlorenem Kapital im Westen und ausständigen Krediten im Osten. Die in den späten 1990er-Jahren viel gerühmte Drehscheibe zwischen West und Ost hat ein Tempo erreicht, bei dem die Fliehkräfte die Substanz vernichten. Die Aktien von „Raiffeisen International“, dem einstigen Vorzeigebetrieb der EU-Osterweiterung, verloren zwischen Mai 2008 und Anfang März 2009 90 Prozent (!) ihres Wertes.
„Wir waren extrem liquid“
Derweil hat alles so märchenhaft irrational begonnen. „Als wir hier ankamen, waren wir extrem liquid, weil die Bank mit Privatkundengeldern geradezu überschwemmt worden ist. Die Leute standen Schlange, bis zu hundert Meter lang, um DM in Euro zu wechseln und ein Konto zu eröffnen“, schwärmte Oliver Rögl von der Belgrader Filiale der „Raiffeisen Zentralbank“ (RZB) im Jahr 2005 dem Autor vor.
Die „Raiffeisen Zentralbank“ fasste bereits drei Wochen nach der so genannten „Bulldozer-Revolution“ vom Oktober 2000 den Plan, in Serbien ein Filialnetz zu gründen. Slobodan Miloevi saß in Den Haag, der neue starke Mann im Nadelstreif, Zoran Djindji, verstand sich als Türöffner für westeuropäische und US-amerikanische Konzerne. Im Juli 2001 waren die österreichischen Raiffeisenbanker bereits vor Ort. Kurz darauf, am 1. Januar 2002 wurde per staatlichem Dekret aus Belgrad den vier größten serbischen Banken die Lizenz entzogen. Beobanka, Beogradska Banka, Jugobanka und Investbanka wurden planmäßig vom Markt genommen, die RZB ergriff die Chance. Die mit gleichem Stichtag erfolgte Euro-Umstellung trieb Hunderttausende Serben in die Banken, um die unter dem Kopfpolster gehorteten DM oder Schilling in die neue europäische Währung zu tauschen. In wenigen Monaten beherrschte die RZB 20 Prozent des Privatkundenmarktes.
„In Osteuropa ist der Markt so unheimlich groß, der Bedarf nach Dienstleitungen steigt ständig. Das heißt: Es gibt keine Rivalitäten zwischen den Mitbewerbern, es ist Platz für alle da“, gab sich in jenen Tagen auch Lars Hofer von der RZB ganz den Träumen eines scheinbar endlos bevorstehenden Wachstums hin. In Rumänien besaßen Anfang 2005 erst 20 Prozent der Bevölkerung ein Bankkonto. Das Potenzial sei enorm. Trotz gerne zitierter Grenzenlosigkeit haben sich die westeuropäischen Big Player im Osten die Märkte dann doch fein säuberlich aufgeteilt. Die belgische KBC kontrolliert z. B. die größte tschechische Bank CSOB und das wichtige ungarische Institut K&H sowie Banken in Polen (Kredyt Bank). Die „Erste Bank“ hat sich das Sparkassenwesen in Tschechien und der Slowakei (eská Spoitelna und Slovenska Sporitela) unter den Nagel gerissen und verfügt mit der Postabanka in Ungarn und der BCR in Rumänien über große Institute. UniCredit wiederum regiert bankenmäßig in Kroatien und hält über die Bank Austria starke Marktanteile in Polen und Bulgarien. Societé Generale wiederum hat ihr Geld in den rumänischen und den slowenischen Kreditmarkt gesteckt, während die RZB relativ flächendeckend agiert und als größte Westbank in Russland, Belarus und der Ukraine präsent ist.
Was in den Jahren bis 2007 die Herzen der Banker höher schlagen ließ, konnte man den Bilanzbüchern entnehmen. Das Beispiel der Bank Austria-Creditanstalt/HVB zeigt, worum es beim Ostengagement ging: Erhöhung des Eigenkapitals innerhalb eines Jahres um 13,6 Prozent, Betriebsergebnis: +42,1 Prozent, Mitarbeiterstand: 4,8 Prozent. Die Öffnung im Osten rettete Bilanzen und Gewinne der Mutterhäuser im Westen. „Ohne Öffnung im Osten“, meinte dazu auch RZB-Mann Lars Hofer, „hätten wir sicher nicht die Größe, die wir heute haben. Das Wachstum ist von der Osterweiterung indiziert.“ Oder, wie es RZB-Boss Herbert Stepic im Interview mit der „Presse“ vom 28. Mai 2005, am Höhepunkt der Euphorie, ausdrückte: „Die Ostöffnung war ein galaktisches Fenster für Österreich und die Raiffeisen Zentralbank.“
Die aus diesem Engagement gezogenen Gewinne flossen in die Mutterkonzerne. Die „Raiffeisen Zentralbank“ machte Mitte der 00er-Jahre 79 Prozent ihres Gesamtgewinns in Osteuropa, bei der „Erste Bank“ waren es 65 Prozent und bei der „Bank Austria“ knapp 50 Prozent. Nach Gábor Hunya, Ökonom am renommierten „Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche“, wandern bei ausländischen Direktinvestitionen durchschnittlich zwischen 60 und 80 Prozent der Gewinne auf die Konten der Mutterhäuser, wobei im Bankensektor die Zahl am oberen Ende anzusiedeln ist.
Diese Gewinnrückführungen belasten seit Jahren die Leistungsbilanzen der neuen EU-Mitgliedsländer. Die zehn neuen EU-Mitgliedsländer weisen 2008 ein durchschnittliches Leistungsbilanzdefizit von 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf, während das Kerneuropa der EU-15 mit 0,4 Prozent vergleichsweise brilliert. Zweistellige Prozentzahlen beim Leistungsbilanzdefizit, also bei der volkswirtschaftlichen Ein- und Ausfuhrrechnung von Gütern, Dienstleistungen und anderen Überweisungen, sind keine Seltenheit. Bulgarien ( 24,5 Prozent), Rumänien (12,1 Prozent), das Baltikum sowie die außerhalb der EU befindlichen Länder Südosteuropas zählen diesbezüglich zu den Stiefkindern Europas.
Vor dem Boom kam die Enteignung
Der jahrelang bejubelte Wirtschaftsboom in Osteuropa gründete auf der Enteignung breiter Bevölkerungsschichten. Nicht nur der Zusammenbruch von Industrie und Landwirtschaft ist damit gemeint, sondern vor allem die Phase der Hyperinflation Anfang der 1990er Jahre. Schon zuvor waren kommunistisch regierte Länder in die Schuldenfalle getappt, nachdem billig kreditiertes Geld der späten 1970er Jahre nicht zur gewünschten ökonomischen Modernisierung geführt hatte. Vor allem in Polen, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien trugen hohe Auslandsschulden wesentlich zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Krise bei, die sich im Zusammenbruch des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe und Jugoslawiens entlud.
Nach 15 Jahren Transformation stehen die Länder Osteuropas mit noch größerer Abhängigkeit im Bezug auf die Auslandsschulden da. Restrukturierungsmaßnahmen, Stabilitätsprogramme und der Kampf gegen die Inflation haben Volkswirtschaften entstehen lassen, von denen Bulgarien, Bosnien-Herzegowina und Estland direkt von so genannten Währungsräten verwaltet werden und in zwei weiteren der Euro als offizielles Zahlungsmittel (in Montenegro und im Kosovo) der lokalen Politik jede Einflussnahme nimmt. Vorbei an Parlamenten und Regierungen entscheiden in den Währungsräten die Europäische Zentralbank und die Weltbank über Budgets und Finanzpolitik. Aber auch die anderen osteuropäischen Länder hat die Schuldenspirale mehr und mehr erfasst. Ende 2008 stehen die Länder Osteuropas ohne Russland und der Ukraine mit einem Schuldenstand von insgesamt 730 Mrd. Euro da, womit dieser siebenmal so hoch ist wie 20 Jahre zuvor. Die Philosophie der Wende, wonach Märkte (für westliche Investoren) zu öffnen und Schulden zu verschieben seien, ist voll aufgegangen.
Begonnen hatte die Reformzeit in den allermeisten osteuropäischen Ländern übrigens mit einer Hyperinflation, mit deren Hilfe die nicht eingelösten Konsumversprechen der Kommunisten an den kleinen Mann einfach vom Tisch gewischt worden waren. Länder wie Polen, Bulgarien, Rumänien waren Anfang der 1990er Jahre mit dreistelligen, Kroatien, die Ukraine und Russland mit vierstelligen Inflationsraten konfrontiert. Inflation in diesem Ausmaß ist nichts anderes als eine „Enteignung der Besitzlosen“, also jener, die nichts anderes haben als ihre Arbeitskraft und ein Sparbuch, wie es der österreichische Austromarxist Eduard März ausdrückte. In Osteuropa hatten Regierungen und Berater in Vorbereitung auf IWF-geleitete so genannte Strukturverbesserungsprogramme das im Spätkommunismus entstandene Missverhältnis von Ersparnissen und volkswirtschaftlich (eben nicht oder zu wenig) vorhandener Gütermenge brutal aufgelöst. Die Entscheidung für den Markt als Regulativ der Geldentwertung und die daran anschließende Schocktherapie haben neue Investoren aus dem Westen auf der Suche nach Kapitalverwertungsmöglichkeiten auf den Plan gerufen. Sie konnten mit ihrem Geld auf währungspolitisch von IWF und Weltbank überwachtem Terrain auftreten. Im Bankensektor ist das musterhaft passiert.
Faule Kredite, verfallende Währungen, private Verschuldung
Die Jahre fetter Renditen sind vorüber, und schon stehen die Chefs der großen Bankhäuser wie überall sonst auch in den ministeriellen Vorzimmern und betteln um Staatshilfe. Die „Erste Bank“ hat sich Ende Februar 2009 knapp zwei Mrd. Euro aus dem nationalen österreichischen Budget gesichert. Mitreden dürfen Vertreter des Staates deshalb noch lange nicht. Dafür hat man das Konstrukt von so genannten Partizipationsscheinen erfunden, die dem Staat 8 Prozent Zinsen bringen sollen; außer die Sache geht schief. Genau dieser Kollaps ist absehbar. Denn weder sind sämtliche faulen Kredite offen gelegt, noch kann irgendjemand sagen, wie sich die Krise in Osteuropa in den kommenden Monaten verschärfen wird. Ein fast vorhersehbarer Staatsbankrott der Ukraine würde z. B. die „Raiffeisen Zentralbank“ mit ihrer ukrainischen Tochter „Bank Aval“ mit sich reißen. Vorsorglich kündigt jener Mann, der noch vor fünf Jahren im Zusammenhang mit der Ostexpansion von einem „galaktischen Fenster“ gesprochen hat, schon einmal 2000 Angestellte.
Die Wiener Regierung, die bislang bei EU-Stellen wegen einer finanziellen Unterstützung für österreichische Banken abgeblitzt ist, will insgesamt 100 Mrd. Euro für den maroden Banksektor zur Verfügung stellen. Bei budgetierten Gesamtausgaben von gerade einmal 70 Mrd. Euro für das Jahr 2008 eine unvorstellbar hohe Summe, deren Auszahlung demnächst hyperinflationäre Tendenzen mit sich bringen dürfte.
Info:
Von Hannes Hofbauer ist in 2. Auflage erschienen: „EU-Osterweiterung. Historische Basis, ökonomische Triebkräfte soziale Folgen“ (Wien, Promedia Verlag).
Am Dienstag, dem 26. Mai, diskutiert er mit der Historikerin Susan Zimmermann und mit dem Wirtschaftsberater Walter K. Eichelburg über die Wirtschaftskrise, speziell über die Aspekte des Osteuropa-Dilemmas der österreichischen Banken. Ort: Aktionsradius Wien, 1200, Gaußplatz 11. Beginn: 19.30 Uhr.