Wie M. und G. Wild gegen die Kultur-was-brauch-ma-des-Mentalität ankämpften
Nicht, dass früher keine(r ) gelesen, gemalt oder musiziert hätte im 21. Bezirk. Doch noch in den Achtzigern hatten die es verdammt schwer, ein Publikum zu finden. Umgekehrt: FloridsdorferInnen, die Kunst & Kultur suchten, begaben sich „in die Stadt hinein“. In den vergangenen zehn Jahren haben einige Unbeirrte sich als resistent gegen das Vorurteil, in der „Kulturwüste“ Floridsdorf könne man nichts zum Gedeihen bringen, erwiesen. Marietta und Günter Wild zum Beispiel …Wann immer herauskommt, dass ich in Floridsdorf aufgewachsen bin, ernte ich gemeinhin ahnungslose Gesichter, ja mitleidsvolles Lächeln: „Wo ist das doch gleich? Ah, von da oben bist du. Also, weiter als bis zur Donauinsel bin ich noch nie gekommen.“ Gerne pflege ich daraufhin von meiner Donaufelder Kindheit in einem 60er-Jahre-Mischekbau zu erzählen. Tatsächlich kannte vor 30 Jahren jede jeden, wie in einer Art Dorfgemeinschaft. Wir waren über hundert BewohnerInnen, die vom Tischtennisraum im Keller bis zum gemeinschaftlich benutzen Hof viel kommunizierten und teilten (ja, damals wurden Innenhöfe auch zum Feiern benützt!). Neben dem Haus im begrünten Park in Form der „Gruam“, konnte man spielen oder rodeln (das war, als es noch Schnee gab) und in zwei Minuten war man an der schönen Alten Donau, zum Schwimmen oder Eislaufen. Hinein „in die Stadt“ kamen wir fast nie. Höchstens mal ins Theater, in den Prater oder zu Verwandten. Im Grunde erschloss man Wien erst nach der Schulausbildung, ähnlich wie die Zuagrastn.
Seither bekomme ich fast so wenig vom 130.000-Seelen-Dorf in der Peripherie mit, wie die meisten hier in Wien. Nur so viel entging mir nicht: Floridsdorf feierte 2005 sein 100-jähriges Bestehen, anlässlich dessen Wolfgang Schlag das groß angelegte Festival21 konzipierte. Wie überhaupt das allgemeine Interesse an diesem quasi unerforschten Gebiet seit einiger Zeit zu steigen scheint. Dieser „weiße Fleck“ auf dem Stadtplan mutet fast ein wenig exotisch an und könnte ja – wer weiß – neben seiner relativen Abgeschlossenheit auch das eine oder andere Geheimnis bergen, das es in Sachen Natur und Kultur zu lüften gilt.
Nicht, dass früher keiner gelesen, gemalt oder musiziert hätte. Doch passierte dies gemeinhin im stillen Kämmerlein, sodass Aktionen im Bezirk nur in kleinen Insiderkreisen wahrnehmbar waren. Seit das „Kulturnetz“, eine Initiative von Uschi und Dieter Schreiber, monatlich die Events in einem Kalender publiziert und viel organisiert wird, hat sich viel getan im Norden Wiens. Man wollte einfach KünstlerInnen und KulturkonsumentInnen zusammenbringen und helfen, „eine qualitätsvolle Kultur-Region aufzubauen“.
Das war 1995 und dasselbe Jahr, in dem Marietta und Günter Wild ihren „Kulturverein Transdanubien“ gründeten. Seither sind sie in Sachen innovative Floridsdorfer Kulturarbeit quasi pionierhaft aktiv und mit erfolgreichen Veranstaltungen unterwegs. Sie locken viele von nah und fern und verführen zur intensiven Auseinandersetzung mit Kunst.
„Anfang der 90er gab es ja nicht einmal noch die Möglichkeit eines täglichen Nachtbusses. Es war total mühsam, am Abend fortzugehen. Da ist die Idee entstanden, man müsste eigentlich was tun“, so Marietta Wild. Als langjährige, äußerst engagierte Bezirksrätin der Grünen konnte sie ihre Ideen, zu ihrem Leidwesen, nämlich nicht einmal im Ansatz realisieren – und das in einer linksalternativen Oppositionspartei. „Ich habe gedacht, Kultur ist was Verbindendes. Das hängt doch alles zusammen! Man kann Politik oder Soziales über die Kunst einfach besser vermitteln, weil dann die Leute besser ansprechbar sind. Aber die Grünen haben uns ignoriert und wollten uns nicht unterstützen. Da hieß es nur: ,Kultur, was brauch ma des? Sozial- und Umweltpolitik ist viel wichtiger …‘ Also haben wir es halt selber gemacht.“ Nach einem Eröffnungsfest in der oben erwähnten „Gruam“ am Freiligrathplatz wurden zahlreiche Musik-, Kabarett- oder Theaterveranstaltungen gemacht, sowie Ausstellungen und Lesungen realisiert. Man ging etwa in eine Tanzschule, oder in Pfarrsäle und zu Parteibühnen. Doch weder waren PolitikerInnen interessiert, noch ließ sich das Publikum gerne auf politisch gefärbte Plätze ein: Konservative scheuten SPÖ-Lokale, Linke betraten oft ungern kirchliches Terrain. Weiters machten ihnen baubehördliche Hürden das Leben schwer: „Das Gymnasium BRG 21 hat einen wunderschönen Veranstaltungsraum mit Bühne, nur sind leider die Türen um 20 Zentimeter zu schmal für öffentliche Veranstaltungen. Oder die Grüniger-Schule, gebaut von Peichl. Da gibt es einen wunderbaren Mehrzwecksaal, doch der hat leider einen so empfindlichen Fußboden, dass man nicht einmal mit Straßenschuhen hinein kann …“
Beim Heurigen ist das Publikum nicht aufmerksam genug …
Einen wirklich geeigneten Raum hat man bis heute nicht gefunden. Beim Heurigen sei das Publikum nicht aufmerksam genug, man betrachte die Vortragenden mehr als lästiges Nebengeräusch. Und die Bühnen der Volkshochschulen hätten den „Charme einer Bahnhofshalle“. Da es den Wilds jedoch vor allem um die Stimmung eines Events und dessen kommunikative Qualität ging, beschlossen sie, als Vereinslokal eine kleine Zweizimmer-Wohnung in ihrem Wohnhaus am Freiligrathplatz zu mieten. Sie gründeten das „Kulturkabinett“, wo seither monatlich Abende stattfinden, die von vielen „Eingeborenen“, immer mehr aber auch aus ganz Wien und außerhalb der Stadt besucht werden. Man kommt zu Veranstaltungen, bleibt danach sitzen, isst, trinkt und kann vor allem mit den KünstlerInnen reden. Man wollte eben was Anderes machen, als etwa das Donaustädter „Orpheum“ und einfach das Programm der Kleinkunstbühnen wie der „Kulisse“ zu übernehmen.
„Das ist, was uns unterscheidet von den anderen: dass wir einfach diese familiäre Atmosphäre haben, wo die Leute sich daheim fühlen; wie ein zweites Wohnzimmer, oder früher die Salons. Nur: Die Damen, die diese Salons geführt haben, haben das aus eigener finanzieller Kraft gemacht. Das ist uns nicht möglich. Erstens bin ich keine Dame, zweitens haben wir kein Geld.“ Empörenderweise wird das Projekt nach wie vor nicht ausreichend unterstützt (außer von der Stadt Wien gibt es keinerlei Subventionen). Dabei sind die Erfolge wirklich sehenswert. Von Leon Askin über Barbara Frischmuth bis hin zu Alfred Komarek haben hier schon viele für Minigagen vor einem Minipublikum von 30 Leuten gelesen: Klezmer bis Jazz; Andreas Okopenko, Elly Wright oder Harry Wetterstein waren unplugged zu hören, manche Performances und Ausstellungen zu erleben.
„Einmal kam Walter Kreuz mit SchülerInnen aus der mehrsprachigen Mittelschule am Kinzerplatz zu uns. Wir haben hier, in diesem winzigen Raum, mit Kindern aus elf Nationen eine gemeinsame Sprache entwickelt. Das war irrsinnig witzig: Zuerst machten sie eine Art Hörspiel, dann ist ein Video draus geworden, das sie dann bei einem Fest anschauten. Das war ganz super, wie sich diese elf Sprachen gefunden haben, unglaublich!“ Besonders rührend waren auch die Begegnungen zwischen Schwarzen und der Polizei, um Vorurteile auszuräumen und den Menschen zu vermitteln, dass nicht alle Schwarzen mit Drogen dealen und nicht alle Polizisten Schläger sind.
Lange Zeit vergessen: der jüdische Friedhof
Dass es in Floridsdorf einen jüdischen Friedhof gibt, wissen die wenigsten. Dass dieser lange Zeit vergessen und vom endgültigen Verfall bedroht war (Motto: „Wos brauch ma an jüdischen Friedhof fördern?“), ist ebenso wenig bekannt. Aber Gott sei Dank hat sich an der Einstellung gegenüber diesem stimmungsvollen Ort in der Ruthnergasse in letzter Zeit einiges geändert. Da es der verwaltenden jüdische Gemeinde an Geld für eine gebührende Pflege mangelte, beschloss der Lehrer Johann Schramml, gemeinsam mit Johann Orth und seinen SchülerInnen des Gymnasiums Ödenburgerstraße, den Platz zu vermessen, zu dokumentieren und instand zu setzen. Heinz Racz vom Bezirk holte das Stadtgartenamt, die Mormonen halfen mit, und schließlich organisierte das Festival 21 sogar zwei Benefizkonzerte.
Floridsdorf ist eine Entdeckung wert, so viel steht für Günter und Marietta Wild fest. Womit würden die beiden sonst noch locken? „Floridsdorf ist auf allen Ebenen interessant: Es gibt die Donauinsel, den Marchfeldkanal, die Alte Donau, den Bisamberg. Was Sport und Natur betrifft, gibt es wirklich viel. Die Heurigen in Strebersdorf sterben leider langsam aus; in Stammersdorf und Großjedlersdorf geht’s aber noch, und die Weine werden außerdem immer besser.“
Bleibt zu hoffen, dass Floridsdorf in Zukunft innovative Projekte ausreichend unterstützt und dort eine – im besten Sinne – zeitgemäße Entwicklung gelingt. Freilich wäre es schade, wenn der Charme des Altmodischen, Außerzentralen dabei verloren ginge. Aber unter uns gesagt: Ich habe keine große Angst davor.
Die nächsten Termine:
„Endlich Ruhe“, Lesung mit Ewald Baringer
27.1. 2006
19.30 Uhr
KULTURKABINETT
Freiligrathplatz 6
1210 Wien
„Männerschlussverkauf“, Kabarett mit Kristina Krenn und Dita Hagenhofer
28.1. 2006
19.30 Uhr
Café TILL EULENSPIEGEL
Donaufelderstr. 101
1210 Wien
www.transdanubien.net
www.kulturnetz.at
www.festival21.at