Um Mitternacht läutet es an der Tür. Draußen steht ein vielleicht 15-jähriger Bursche, den Blick auf den Boden geheftet, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. Pascal ist von zu Hause ausgerissen. Es geht nichts mehr. Seit 20 Jahren bietet die Krisenstelle Waki in Linz Jugendlichen täglich und rund um die Uhr Zuflucht.Das Waki in der Schubertstraße ist ein offenes Haus. Meist herrscht reges Treiben. «Ein Kennenlernen und Abschiednehmen, ein Kommen und Gehen», erzählt Sozialpädagogin Christine Khek. «Von herzerfrischendem Gelächter und Freudenschreien bis hin zu Tränen, Wut oder Suiziddrohungen.» Innerhalb von vier Monaten wird versucht, mit dem Jugendlichen einen Ausweg zu finden. Das kann ein neuer Anfang mit den Eltern, das kann ein Platz in einer Wohngruppe sein. Pascal ist zur Ruhe gekommen, die Achterbahn der Emotionen gestoppt. Er und seine Eltern versuchen unter Begleitung eine neue Annäherung. «Immer wieder staunen wir darüber, dass die Jugendlichen trotz widrigster Lebensumstände ein großes Potenzial für wundersame Entwicklungen mitbringen», sagt Christine Khek und schaut in den Computer nach freien Lehrstellen.
«Ich hab keinen Lehrabschluss, mein Leben ist sowieso gelaufen», sagt Pascal. Doch: Niemand darf so einfach verloren gehen. Das Waki fängt junge Leute auf, investiert in frühe Hilfen und begleitet in 237 Schulen Kinder und Jugendliche im Alltag; sie hilft beim Lernen, hat ein offenes Ohr bei Problemen und gibt Halt, wo sonst keiner wäre. Zufluchtsstellen oder Schulassistenz sind gute Beispiele für niederschwellige Angebote, also Unterstützung ohne Hürden, lebensnah und unbürokratisch.
Neuere Studien der Universität Wien weisen auf drei Felder hin, die Schulabbruch und Hoffnungslosigkeit verhindern: Schulinterne Risikofaktoren sind zu große Lerngruppen, mangelnde pädagogische Kooperation oder nicht vorhandenes Mentoring. Systemisch steigt das Risiko mit nichtvorhandenen ganztägigen Schulformen, dem System des Sitzenbleibens oder mangelnder vorschulischer Angebote. Außerschulisch läuft es falsch, wenn es keine Elternarbeit gibt, keine Öffnung zur Schulumgebung, zum Stadtteil und keine Kooperation mit der offenen Jugendarbeit.
Österreich braucht gute Konzepte, um wirtschaftlich schlechte Zeiten zu überbrücken. Die anhaltende europäische Austeritätspolitik treibt zu viele in die Hoffnungslosigkeit, obwohl Investitionen dringend nötig wären. Im Regierungsübereinkommen ist dazu eigentlich einiges zu finden. So wird beispielsweise im Kapitel «Wachstum und Beschäftigung» besonders auf Jugendprojekte und die großen Lücken sozialer Dienste im ländlichen Raum verwiesen. Im Kapitel «Österreich fit für die Zukunft machen» sind Gesundheitsförderung für Kinder, die Stärkung von frühen Hilfen und der Ausbau außerschulischer Jugendarbeit angeführt. In zahlreichen Abschnitten werden Investitionen in soziale Dienstleistungen angesprochen: Pflege, Kinder, Bildung können gerade jetzt als Impuls von Beschäftigung & Konjunktur genützt werden. Die OECD hat in ihrem brandneuen Bericht die steigende soziale Ungleichheit in Europa als wirtschaftsfeindlich bezeichnet und auf die Möglichkeiten, speziell im Kinderbereich gegenzusteuern, verwiesen.
Pascal hat mittlerweile eine Lehrstelle gefunden. Das Waki hat dabei geholfen.