Vom furchtbaren Schießen zum fruchtbaren SprießenArtistin

Rechte Erinnerungskultur: die Wiener «Trümmerfrau»

In der Mölker Bastei sitzt eine Frau aus Metall. Für die Errichtung des «Trümmerfrauendenkmals» hat sich Heinz-Christian Strache stark gemacht. Wolfgang Beyer über rechte Erinnerungskultur, ­Opfermythen und die Trümmer der Vergangenheit. Foto: Carolina Frank

Wie auch immer die Sache mit dem Strache weitergeht – zumindest eine Frau wird sein Andenken stets bewahren. Gemeint ist damit nicht Ehefrau Philippa, die Tierschutzbeauftragte der FPÖ (was ungefähr so was ist wie: Frauenbeauftragte bei der Burschenschaft Olympia), sondern die «Trümmerfrau». Die sitzt nun schon seit einem Jahr auf einem schmalen grünen Streifen, mitten in der Wiener City – ein paar eindrucksvolle Trümmer aus Marmor sind zu ihrer Rechten aufgetürmt – und scheint nicht recht zu wissen, was sie dort soll. Dazu müsste sie nämlich können, was erzerne Frauen eher selten schaffen: sich umdrehen, um den Text auf der Rückseite des seltsamen Mahnmals zu lesen.

Badender Mythos. D

as Werk des ziemlich weltunbekannten Künstlers Magnus Angermeier sei «mit tatkräftiger Unterstützung von Vizekanzler
H. C. Strache» errichtet worden, heißt es dort. Und: Es «zeigt keine Trümmerfrau», sondern «eine Allegorie, ein Genie der Weiblichkeit». Geschaffen wurde sie ja eigentlich als Badende; weil sie als Brunnenfigur im oberösterreichischen Leonding zwar bestellt, aber dann doch nicht erwünscht war, hat ihr schlauer Schöpfer sie erfolgreich den Blauen angedient. Satte 60.000 Euro soll das Nixen-Recycling gekostet haben, bezahlt wurde die Summe vom Immobilien-Unternehmer Siegmund Kahlbacher, dem auch das Grundstück auf der Mölker Bastei gehört. Und von dort blickt sie nun fragend hinüber zur Wiener Universität, der Alma Mater Rudolphina, dem hehren Hort der Wissenschaft. Und diese blickt ebenso fragend zurück: Namhafte Historiker_innen – wie etwa Oliver Rathkolb oder Brigitte Bailer-Galanda – quittieren das seltsame Objekt mit Kopfschütteln. Das Ganze sei nichts weiter als eine «populistische Show», meint Bailer-Galanda, die frühere Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands; und Eva Blimlinger, scheidende Rektorin an der Akademie der Bildenden Künste, bringt es so auf den Punkt: «Unter den Trümmerfrauen waren viele, die mitverantwortlich dafür waren, dass es die Trümmer gab.» Wen oder was also soll dieses Denkmal eigentlich repräsentieren? Vor allem wohl: einen Mythos.

Opferspiele & Fruchtbarkeitsprämien.

Da stand er nun, im Herbst des Vorjahres, vor handverlesenem Publikum, und tat, was er am liebsten tut: das Opfer spielen; den Anwalt aller Beleidigten und Erniedrigten, der darob selbst beleidigt und erniedrigt wird. Es sei «eine Schande», wie die Gemeinde Wien sein Herzensprojekt «boykottiert» und damit «einer ganzen Opfergruppe das Andenken verwehrt» habe. Schließlich ginge es doch darum, jene Frauen zu ehren, die – so Strache wörtlich – die «Trümmer der Vergangenheit» beseitigt und somit «den Weg für Neues» geebnet hätten. Das haben sie ja bekanntlich gerne, die Blauen: die «Trümmer der Vergangenheit» verschwinden zu lassen – schließlich ist das ja auch ein ganzes Stück weit die Vergangenheit dieser Partei, die man zwar nicht als Nachfolgeorganisation der NSDAP bezeichnen sollte, wohl aber als Nachfolgeorganisation der Nachfolgeorganisation der NSDAP.
Die Forderung nach einem «würdigen Gedenken» für Trümmerfrauen haben die Freiheitlichen 1986 erstmals erhoben. 19 Jahre später konnten sie zumindest die Auszahlung einer einmaligen Prämie an mehr als vierzigtausend Österreicherinnen durchsetzen. Die Kriterien dafür waren denkbar einfach: geboren vor 1931, weiblichen Geschlechts, bis 1951 mindestens einmalige Mutterschaft. Basta. Es ging also keineswegs um konkrete Verdienste in Sachen Wiederaufbau; einmal ganz abgesehen von der Frage, warum kinderlose «Trümmerfrauen» nicht in den Genuss der Prämie gekommen sind. Aber wie kleinlich mutet doch solch kritisches Hinterfragen an, wenn es um wirklich Großes geht! Nämlich um die Ehrung der Frauen, «welche das freundliche und fruchtbare Sprießen des Lebens von Neuem spenden», so der offensichtlich auch lyrisch hochbegabte Bildhauer Angermeier. Freilich: Dem fruchtbaren Sprießen war ein furchtbares Schießen vorausgegangen, und auch daran waren viele von jenen nicht ganz unbeteiligt, derer hier gedacht werden soll. Viele der später «Trümmerfrauen» Genannten räumten Schutt weg, weil sie als Mittäterinnen und Mitläuferinnen der Nazis nach Kriegsende dazu verurteilt worden waren; andere taten es als eine Art Sozialdienst, der Vorbedingung war für einen Studienplatz; manche, weil Institutionen und Kommunen dazu aufriefen. Bekanntestes Beispiel dafür ist wohl die Aktion des Münchner Oberbürgermeisters Thomas Wimmer: «Rama Dama» nannte er die Initiative, die Joseph Vilsmaier später zu seinem gleichnamigen Film inspirieren sollte. Und viele Frauen – wahrscheinlich die meisten – wühlten in den Trümmern, um Brauchbares zu finden, Bau- und Brennmaterial zum Beispiel. Von einer «Opfergruppe» des NS-Regimes zu sprechen, wie Strache es tat, ist da schon reichlich skurril.

Räumen bis zum Sieg.

Aber: Es ist mehr als nur skurril, wie ein Blick ins nördliche Nachbarland zeigt. In deutschen Städten stehen und sitzen die Trümmerfrauen dutzendweis’ herum; und werden – etwa in München – immer wieder zum Anlass für Debatten über Gedenkkultur und Erinnerungspolitik. Und das ganz zu Recht, stehen die Kopftuch tragenden Statuen doch für Leid und Elend der «deutschen Frau», die zupackt, auch dort, wo alles verloren erscheint. So ließ – und lässt – sich die Frage nach der nationalsozialistischen Vergangenheit, nach der eigenen Schuld trefflich ausblenden.
Wie kaum ein anderes Narrativ, schrieb der deutsche Historiker Stephan Scholz, lasse sich hier «sowohl das Unschulds- als auch das Leistungsmotiv» evozieren, weshalb der Mythos «Trümmerfrau» ganz wesentlich «zu einem positiven nationalen Selbstbild der Deutschen» beigetragen habe. Aber damit nicht genug! Tief im Gekröse der allwissenden Suchmaschine schlummert Schlimmeres: die ersten Darstellungen dieser Art zeigen wohlgelaunte, gutaussehende junge Frauen, die einander Ziegel zuschupfen. Die Bilder soll kein Geringerer als Joseph Goebbels höchstpersönlich in Auftrag gegeben haben. Die «Trümmerfrauen» waren Models, und der Zweck des Ganzen war eine Art fotografische «Durchhalteparole», nach dem Motto: Die Bombardements der Feinde schrecken uns nicht, wir räumen halt den Schutt weg, bis zum unvermeidlichen Endsieg!

Der Sinn der Niederlage.

Zurück zur Mölker Bastei, zur nicht oder doch badenden, nicht oder doch trümmerfraulichen Allegorie auf die Weiblichkeit, und noch einmal in den Worten ihres Schöpfers: «Ihr Blick auf das Siegesdenkmal in der Mitte des Platzes stellt uns die Frage nach dem Sinn von Krieg, Sieg und Niederlage.» Nun ja. Ja eh. Nur: Dieses «Siegesdenkmal» ist eigentlich keines. Während ich es betrachte, hilft mir eine Passantin auf die Sprünge. Der 1890 errichtete Obelisk erinnere an Wiens Bürgermeister Johann Andreas von Liebenberg. Der habe sich große Verdienste erworben bei der Bekämpfung einer Pest-Epidemie anno 1679. Und, vier Jahre später, auch bei der Abwehr der «Zweiten Wiener Türkenbelagerung», wie das obergscheite Wikipedia weiß und ich jetzt auch. Aber: Türkenbelagerung? Da war doch was!? Ach ja, die Ursula Stenzel, als blaue Stadträtin ebenso hochbezahlt wie glücklicherweise minderbeschäftigt, hat unlängst mitgemacht bei so einem Aufmarsch der Identitären, in Erinnerung an die Befreiung des christlichen Abendlandes von den schändlichen Muselmanen. Sie habe halt nicht gewusst, mit wem sie da fackeltragend und redenschwingend sich eingelassen habe. Aber, so ließ sie die untergscheiten Gratis-Gazetten wissen: Jederzeit würde sie das wieder tun, schließlich gehöre es «zur Erinnerungskultur von uns Österreichern und Europäern, an dieses Datum zu erinnern». Heißt also: ob Strache, ob Stenzel – rechtes Gedenken ist immer bedenklich.