Vom Leben erzählentun & lassen

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Herr A wird als Einzelkind in Niederösterreich geboren. Nach einer Lehre als Maler und Anstreicher und dem Besuch der Unteroffiziersschule zieht er wegen einer Beziehung nach Oberösterreich. Seit dem Tod der Eltern verschlechtert sich sein psychischer Zustand, und er hört immer wieder Stimmen. Es folgen einige Psychiatrieaufenthalte. Durch die psychische Erkrankung fällt es ihm schwer, seinen Alltag gut zu organisieren und seine Ausgaben zu planen. Herr A ist mittlerweile alleine und lebt seit Jahren in verschiedenen Sozialeinrichtungen in Oberösterreich. Die Bewohner_innen stellen Herrn As einzige soziale Kontakte dar. Seine finanziellen Mittel sind bereits äußerst limitiert. Herr A will zumindest im Alter ein menschenwürdiges Leben mit ausreichenden Mitteln führen. Dieser Wunsch wird ihm durch die Sozialkürzungen verwehrt. Herrn A blieben letztes Jahr monatlich etwa 275 Euro weniger zum Leben. Heuer sind es sogar 285 Euro weniger.
So schaut’s aus nach der Abschaffung der Mindestsicherung und Einführung der sogenannten «Sozialhilfe». Es gibt Geschichten, die unsichtbar blieben, würden wir sie nicht erzählen. Herr M ist in Linz im Jahr 1978 geboren. Seine Mutter ist Hausmeisterin bei einer Wohnungsgenossenschaft, sein Vater ist bereits verstorben, als Herr M sechs Jahre alt war. In die Wohnung zieht dann sein Stiefvater ein, der aber den Großteil des Geldes für Alkohol und Spielsucht verbraucht und auch Schulden anhäuft. Herr M ist ein Einzelkind. Er absolviert die Volksschule und Haupt­schule erfolgreich. Danach bricht er seine Lehre als Maler und Anstreicher ab. Er arbeitet im Lager, im Bühnenbau, als Küchenhilfe und in der Schaustellerei. Die längste durchgehende Tätigkeit dauert etwa fünf Jahre. In diese Zeit fällt auch der erste Wohnungsverlust mit Aufbau einer Schuldenlast. Seit einem Jahr lebt Herr M in einem Übergangswohnheim. Seine finanzielle Situation wurde durch Corona verschärft, da seine regelmäßigen Tätigkeiten bei Märkten nicht mehr möglich sind. Die Notstandshilfe beträgt etwa 600 Euro, und die Sozialhilfe-Aufzahlung bewegt sich um die 40 Euro. Herrn M bleiben nunmehr durch die Abschaffung der Mindestsicherung monatlich etwa 275 Euro bzw. seit dem Jahreswechsel 285 Euro weniger zum Leben. Wie soll man sich wieder ein selbstbestimmtes Leben mit eigener Wohnung aufbauen, wenn das derzeitige Einkommen gerade dazu reicht, den Unterkunftsaufwand und die Lebenshaltungskosten abzudecken? Von der Verschlechterung durch die «Sozialhilfe» sind beispielsweise Menschen in teilbetreuten Wohngemeinschaften, im Übergangswohnen sowie in psychosozialen Wohnheimen betroffen. In Anspruch genommen werden diese Einrichtungen von Männern und Frauen, die über längere Zeit eine schwierige persönliche Situation hinter sich haben und oftmals mit Obdachlosigkeit oder Gewalt konfrontiert waren.
Die beschriebenen Geschichten zeigen: Die sogenannte «Sozialhilfe» kürzt bei finanziell bedürftigen Personen. Das ist alles ein Desaster. Mitten in der Corona-Krise. Jetzt bräuchte es eigentlich eine gute Mindestsicherung statt einer schlechten Sozialhilfe, die in Notsituationen nicht auffängt. Die Geschichten von Herrn A und Herrn M sollen verschwiegen, vergessen, unbedeutend verschwinden. Sie würden auch unsichtbar bleiben, würden wir sie nicht erzählen – und uns erzählen lassen.