Vom Leben vor dem Todtun & lassen

"Die Politiker reden sich andauernd auf Sachzwänge aus ...?"

„Bedingungslos, universell, personenbezogen und existenzsichernd“ sollte das Grundeinkommen sein. Darauf können sich verschiedene Gruppen, die am „Runden Tisch Grundeinkommen“ zusammenarbeiten, einigen. Aber bedeutet „universell“: für alle, die hier leben?Erwerbsarbeit bzw. die derzeitigen Sozialleistungen sind kein Garant für ein menschenwürdiges Leben. Trotz der gestiegenen Zahl der Arbeitsverhältnisse sind Existenzsicherung, sinnerfüllte Arbeit und ein gutes Leben nicht für alle erreicht“, stand im offenen Brief einiger Gruppen, die für das Grundeinkommen eintreten. Der Brief ging noch schnell vor der Wahl an alle Parteichefs und SozialsprecherInnen. „Mit den herkömmlichen politischen Instrumenten allein – wie Schulungen, Wirtschaftswachstum etc sehen wir diese Ziele als nicht erfüllbar an.“ Nun, nach der Wahl, vertritt SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer das Modell einer Grundsicherung, das 850 Euro im Monat garantieren soll. Für Sozialhilfe oder Notstandshilfe-EmpfängerInnen, die von 300 Euro im Monat leben müssen, ein Traum. Doch die ÖVP weigert sich kategorisch, einen kleinen Teil von Profit und Gewinn abzugeben. „Ist diese Grundsicherung nicht ein Ballast, der bei den Koalitionsverhandlungen über Bord gehen kann?“, fragte Ingrid Thurnherr rhetorisch in der „Zeit im Bild“. 700 Millionen Euro würde dieses Modell angeblich kosten, nur so viel wie das bereits eingeführte Kindergeld, das aber viel schöner ideologisch verwertbar war.

Ein anderer SPÖler, der gebürtige Türke und Politologe Haydar Sari, sieht noch einen möglichen positiven Effekt einer Grundsicherung. Es würde eventuell den Rassismus verringern: „Durch die letzte Koalitionsregierung leben nun laut Armutskonferenz eine Million Menschen in Österreich an der Armutsgrenze. Parteien, die von rassistischen Parolen ihre Nahrung nehmen, haben endlich einen Sündenbock für diesen schrecklichen Zustand gefunden – das ist die Taktik von solchen Ideologien. Jemand muss ja schließlich verantwortlich sein. Daher waren ,die Ausländer‘ der Inhalt des Wahlkampfes. Unser Anliegen mit 850 Euro Grundeinkommen für jeden, der es braucht, finde ich daher sehr gut als Gegenmaßnahme.“

Wie immer: Bürger oder Nicht-Bürger

Das Grundeinkommen ist ein Thema, das über die Jahre immer wieder diskutiert wird. Es scheinen so zeitliche Phasen zu sein, in denen vielen Menschen ihre eigene Armut und die der anderen über den Kopf wächst und ein Modell gefragt ist, dass zwischen der anstrengenden Realität des finanziellen Überlebens und Utopien und Träumen von einer anderen Gesellschaft Brücken findet. Außerdem zeigt der momentan so starke Wunsch nach einem Grundeinkommen deutlich die Grenzen eines Sozialstaates auf, der Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe oder Pensionen auf ein Minimum herunterfährt und gleichzeitig mit seiner ökonomischen Lage protzt. Vor zwanzig Jahren wurde das Grundeinkommen noch von linken Gruppen abgelehnt, da es im finanziellen Gesamtaufwand den Staat billiger kommen würde als das damalige Sozialversicherungsmodell und es auch keinen Rechtsanspruch gäbe. Was bedeutet: eine neue Regierung – kein Grundeinkommen mehr. Die Rechtslage des vorgeschlagenen Modells ist nach wie vor unklar.

„Bedingungslos, universell, personenbezogen und existenzsichernd“ befindet der „Runde Tisch Grundeinkommen“, sollte das Grundeinkommen sein. „Deutlich gemacht wurde aber auch“, so Mitinitiatorin Margit Appel im Protokoll über das Treffen aller Gruppen, „dass mit der Akzeptanz eines solchen ,Minimalverständnisses‘ von Grundeinkommen nicht alle Fragen gelöst sind, die sich in der Debatte stellen. Im Plenum angesprochene Fragenbereiche waren: Verständnis von StaatsbürgerInnenschaft im Zusammenhang mit den Konsequenzen für Asylsuchende und MigrantInnen; Zeithorizont; Notwendigkeit des weiteren Eintretens für menschenwürdige Arbeitsbedingungen/Gestaltung der Erwerbsarbeit …“ „Das Grundeinkommen ist super, aber es löst nicht alles“, hielt ein Mann beim Treffen im Amerlinghaus fest. „Eines der reichsten Länder der Welt kann sich nicht andauernd auf Sachzwänge ausreden“, schreibt eine Frau der „Basisgruppe Zivilgesellschaft“ zum Thema. „Außerdem würde ein Grundeinkommen die Kreativität, Produktivität und Effizienz enorm steigern, zum einen fällt der übermäßige Druck auf Arbeitsplätze weg, zum anderen gibt es viel mehr Zeit für sinnvolle Beschäftigungen, die sehr wohl dem Gemeinwohl zugute kommen werden.“ Im offenen Brief steht Ähnliches: „Ein Grundeinkommen ist – wie auch Studien in europäischen Ländern zeigen – finanzierbar, transparent und einfach in der Anwendung. Das Grundeinkommen ermöglicht es den Menschen, die notwendigen gesellschaftlichen Arbeiten mit Freude, Kreativität und Engagement zu verrichten.“

„Warum kann das nicht die EU machen? Das wäre geschickter, als ein Nationalstaat. Überhaupt ist das Modell des Grundeinkommens so radikal, das muss man in kleinen Schritten einführen, sonst gibt es einen Crash“, befürchtet eine Frau. „Dann ist jede Hausfrau, die von ihrem Ehemann lebt, auch radikal“, hält ihr eine andere entgegen. „Das ist ja keine gesellschaftliche Umwicklung, äh, kein Umsturz wollte ich sagen.“

Solange übers Grundeinkommen reden, bis es kommt

8.-9. 11.2006, Graz

Symposium „Wert und Würde des Menschen im Spiegel unserer Gesellschaft“ mit Workshop „Es ist genug für alle da! Grundeinkommen als Richtungsforderung“ mit Andreas Exner (Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt). Weitere ReferentInnen: Heide Schmidt, Peter Grottian, Stephan Schulmeister, Elke Gruber u. a. VeranstalterInnen: Forum Politische Bildung Steiermark, Arbeiterkammer Steiermark. Weitere Infos und Anmeldung (bis 16. 10.): (0 316) 69 95-767

24. 11. 2006, Wien

Nächstes Treffen des Runden Tisches Grundeinkommen: um 15 Uhr im Amerlinghaus, Wien 7, Stiftgasse 1

11. 12. 2006, Wien

Buch-Präsentation „Grundeinkommen – In Freiheit tätig sein“ – Hrsg. Netzwerk Grundeinkommen Deutschland, Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt Österreichs. Tagungsband zum vorjährigen ersten deutschsprachigen Grundeinkommens-Kongress in Wien (Verlag Avinus, Berlin).

Infos: www.grundeinkommen.at