Vom wiederholten AufbrechenArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Schweiz, Wien, Niederösterreich, Türkei, USA

Roman Britschgi hat mit seinem Quartett Musik zu den Lebenserinnerungen Ernst F. Brods gemacht, der 1938 Österreich rechtzeitig verlassen hat. Klingendes, anderes Gedenken. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

Den Umstand, dass der 1980 in der Schweiz geborene Roman Britschgi seit 2002 in Wien ist, verdanken wir dem 2010 verstorbenen Maler und Bildhauer Bruno Gironcoli. Dieser war, «ein Professor vom alten Schlag», seit 1977 Leiter der Bildhauerschule an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Bei einer zufälligen «Super-Begegnung» am Gang, als Roman sich verschiedene europäische Kunstakademien ansah, wurden die Weichen für Britschgis Wahlwienertum gestellt. 2006 schloss der gelernte Schmied sein Studium ab, arbeitete danach künstlerisch als Bildhauer und für andere Künstler, rührte (oder zupfte?) dabei parallel schon längst mit seinem Kontrabass in der Wiener Musikszene um. Ein kreativer Geist von großer sozialer Umgänglichkeit zwischen Jazz, Klezmer und World Music, voller neugieriger künstlerischer und menschlicher Offenheit.

Drift.

Das Instrument begleitet ihn, seit er 10 Jahre alt ist, in der Schweizer Volksmusik spielenden Formation des Onkels fehlten die vier Saiten. Die Eltern kauften ihm gleich das größte verfügbare Instrument, und so kletterte Roman fürderhin regelmäßig auf eine Kiste, um dieses begeistert und immer besser zu spielen. Dabei studierte er Musik anders als die Bildhauerei nie konventionell. «Ich hatte immer das Glück, mit guten Leuten zusammenzuspielen und dabei viel zu lernen, viele Musiker erklären ja gerne.» Dass er sich dabei eine recht umfassende, nicht nur praktische musikalische Bildung aneignete, bringt er mit sympathischem Understatement zum Ausdruck. «Ich kann prima Noten lesen, und von der Harmonielehre verstehe ich auch sehr viel.» Dazu noch ein «bisschen eine Ahnung» vom Schlagzeugspiel, und schon ist die Basis gelegt für eine stets auf künstlerische Qualität bedachte, konsequent unbeliebige Vielspielerei. Seit 2011 konstant etwa mit dem Trio Klok, das später in der bis heute lokal, österreichweit und international umtriebigen Bandfusion Hatz & Klok aufgehen sollte.

Töne können nicht verblassen.

An einem wunderschönen Sonntag treffen die Musikarbeiter Roman Britschgi, um über die CD notions (eingespielt mit Melissa Coleman, Oscar Antoli, Christian Bakanic und als Gast dem Sänger Karsten Riedel) und deren abermalige Liveaufführung am 6. Mai (ohne Riedel, mit Schlagzeuger Christian Eberle), zwei Tage vor der Wiederkehr des Tags der Befreiung vom Naziwahnsinn, zu sprechen. Das Ausgangsmaterial für die im August 2017 aufgenommene CD mit sieben Kompositionen Britschgis bilden die Lebenserinnerungen des Ernst F. Brod, 1901 in Erlauf, Niederösterreich geboren, die dieser auf über 2000 Seiten festhielt. Brod floh als Jude und Sozialist 1938 aus Österreich, hinterließ Mutter und Bruder, die später von den Naziverbrecher_innen getötet wurden. Seine weitere Lebensreise führte ihn über die Türkei schließlich in die USA, wo er 1978 in Berkeley die letzte Ruhe fand. Die geschichtsträchtige Friedensgemeinde Erlauf – dort begegneten sich im Mai 1945 die russischen und US-amerikanischen Truppen mit ihren Generälen Dritschkin und Reinhart – betreibt mit dem Museum «Erlauf Erinnert» eine aktive und vielschichtige Erinnerungskultur, im Zuge derer das Land Niederösterreich Britschgi mit Kompositionen zu Brods Aufzeichnungen kommissionierte. Am Tag des Konzerts im Porgy erscheint beim Mandelbaum Verlag ein von der Künstlerin Heidi Schatzl gestalteter – die Graphik des CD-Booklets stammt ebenfalls von ihr – umfangreicher Katalog zu Ernst Brod und seinem Leben, dem der Tonträger beiliegt. Zwei Monate hat Roman an den Kompositionen gearbeitet, das umfangreiche Material lieferte beim Lesen zahlreiche emotionale Ausgangs- und Anknüpfungspunkte für sieben Stücke, von Kacm-Szprung bis zu Hayri Bay. «Brod hat eine sehr fesselnde Art zu

schreiben» sagt Britschgi über die Lektüre, die erzählten Geschichten tun ein Übriges. «Er ist zu Fuß durch die Schweiz nach Paris gegangen, weil er kein Geld für den Zug hatte, verliebt sich dort in eine Tschechin, kommt noch einmal nach Österreich zurück, weil er seine Familie mitnehmen will, in die Türkei, wo er als studierter Bauingenieur eine Arbeit gefunden hat.» Die Musik, der diese Geschichten Ausgangspunkt sind, ist ebenso reich, fließend, manchmal schwer, manchmal verblüffend leicht. Eine subtile, wissende und schöne Kunstmusik, die einen doch ganz unmittelbar erwischt und anspricht. Hätte sie Brod wohl gefallen? Einem Mann, der die Weitsicht und Konsequenz hatte, die Bestien als das zu erkennen, was sie waren, und der bei allem Schmerz, den ihm und den Seinen dies bereitete, so handelte, dass sie ihm nicht das Leben rauben konnten. Im Booklet von notions wird Brod zitiert: «Nein ich hatte kein Vertrauen zu dem, was die Politiker uns erzählten.»

 

Roman Britschgi Quartett:

notions (Lotus Records)

Live: 6. 5., Porgy & Bess