Von Bäumen, Stolz und LösungenDichter Innenteil

Illustration: Claudia Kohlus

Die Autor:innen der folgenden Texte wohnen in Wien. Die Texte entstanden in einem Basisbildungskurs an der VHS Floridsdorf in Begleitung der Kursleiterin, Autorin und freien Augustin-Mitarbeiterin Nadine Kegele.

 

Hallo Politik!
Ali Jabran

Was du machst, ist nicht korrekt. Die armen Leute müssen leiden, nur weil du deine Entscheidungen nicht richtig treffen kannst. Wenn es Krieg gibt, dann ist alles teurer: zum Beispiel Lebensmittel, Strom, Fernwärme, Miete und vieles mehr. Das macht unser Leben sehr schwer. Brot, Gemüse und Fleisch sind viel teurer als noch vor zwei Jahren. Beim Einkaufen schaue ich, was sich ausgeht, was ich kaufen kann und muss, und was ich auf später verschieben kann. Ich merke jeden Tag, dass das Geld nicht reicht. Der Klimabonus war gleich weg. Du findest zwar immer Lösungen, aber die dauern nicht lange. Ich fühle mich damit nicht gut. Ich glaube, es wird eines Tages sogar noch schlimmer werden. Wenn ich du wäre, liebe Politik, dann würde ich die Lage abchecken, welche Menschen ­finanzielle Hilfe brauchen und welche nicht. Ich würde alle Menschen gleich behandeln, aber ich habe das Gefühl, dass du die Menschen nicht gleich behandelst. Und außerdem verstehe ich nicht, wenn es irgendwo anders ­Konflikte gibt, wieso haben wir Inflation? Weil langsam habe ich das Gefühl, dass alles vom Krieg kommt. Und weil sie Krieg haben, haben wir keine andere Wahl, als mit Teuerung zu kämpfen.

 

Stolz sein
Soheila

Mein Name ist Soheila. Ich komme aus Afghanistan. Ich bin stolz auf mich! Auf alles, was ich schon geschafft habe. Und auf alles, was ich noch schaffen werde. Ich bin stolz auf mich, obwohl ich nicht in meiner Muttersprache Dari lesen und schreiben kann. Weil in Afghanistan durften die Frauen nicht in die Schule gehen. Trotzdem lerne ich schnell Deutsch. Ich habe bei null begonnen, bis B2, aber leider habe ich die B2-Prüfung nicht bestanden. Ich bin stolz auf mich, dass ich Deutsch sprechen und auch schreiben und lesen kann. Zum Beispiel: Früher hatte ich meine Tochter immer dabei als Übersetzerin, wenn ich zum Arzt gehen musste. Seitdem ich die B1-Prüfung geschafft habe, mache ich alles alleine.

 

Reis
Nadia

Als ich 9 Jahre alt war, ist meine Mutter gestorben. Das war 8 Tage nach der Geburt meiner Schwester. Ich war zu Hause mit meinen 5 Geschwistern. Ich wollte immer für meine Geschwister kochen, weil ich das älteste Mädchen war. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal Reis gekocht habe: Ich habe ein Glas Reis genommen. Dann habe ich ihn gekocht und der Reis ist immer mehr geworden. Ich war sehr verärgert. Einmal hat mir das AMS eine Koch-Ausbildung geben wollen, aber ich habe gesagt: «Nein, weil ich habe als Kind schon gekocht.»

 

Mein Leben und seine Höhen und Tiefen
Mohammad Ali

Eines Tages, als ich im Unterricht war, schaute ich nach draußen und habe die Blätter der Bäume beobachtet. Es war Herbst und die Blätter waren gelb geworden. Sie sind mit dem Wind von den Bäumen heruntergefallen. Da habe ich mich an die glücklichen und schweren Zeiten meines Lebens erinnert und ich habe darüber nachgedacht, wie sehr sich Menschen mit den Jahreszeiten verändern. Die Schwierigkeiten im Leben sind wie die Kälte und Wärme, genauso wie die guten Tage, an denen alles richtig läuft. Man muss lernen, in jeder Jahreszeit das Leben zu leben. Dann können dir Höhen und Tiefen keinen richtig schweren Schaden zufügen, den man nicht wieder gut machen kann.

 

Familiengefühl
Mohammad Ali

Ich bin ein 36-jähriger Mann. In meinen Dreißigern hat sich meine Lebenseinstellung verändert. Ich bin in einer kleinen Familie mit vier Brüdern und meinen Eltern, Vater und Mutter, aufgewachsen. Ich reiste im Alter von 27 Jahren nach Europa. Die ersten Jahre meines Lebens waren sehr schwer. Ich habe mich oft verloren gefühlt. Ich wollte immer meine Familie bei mir haben oder selbst eine richtige, gesunde Familie haben. Familie ist immer wichtig, weil sie mir helfen kann. Ein fremder Mensch kann mir nicht wie meine Familie helfen, auch wenn fremde Menschen helfen. Als ich dieses Gefühl bekommen habe, dass ich verloren bin, wollte ich wieder bei meiner Familie sein. Ich denke, nach der Reise und nach meinem Verlorensein in Europa kann ich mit meiner Familie im Iran glücklich sein. Früher habe ich nicht gewusst, wie wichtig mir Familie ist. Heute weiß ich das.

 

Das ist mein Leben
Z.

Ich heiße Z. und ich komme aus Afghanistan. Ich habe in meinem Heimatland mit meiner Mutter zu Hause gewohnt. Ich habe geholfen beim Putzen, Kochen und ich habe aufgepasst auf meine zwei kleinen Schwestern. Ich war in meinem Heimatland nicht in der Schule, weil viele Frauen nicht in die Schule gehen dürfen. Ich habe fünf Jahre Teppich geknüpft und danach habe ich geheiratet. Wir waren noch ein paar Monate in Afghanistan, dann bin ich mit meinem Mann nach Österreich geflohen. Ich freue mich, dass ich jetzt in den Deutschkurs gehen kann. Ich bin sehr stolz auf mich: Ich kann jetzt lesen und schreiben.

 

Mein Leben vorher und nachher
A.

Ich bin 33 Jahre alt und ich mache diesen Basisbildungskurs, damit ich schreiben lernen kann, weil ich meine Schule nicht gemacht habe. Als ich ein 6 Monate kleines Baby war, haben mich meine Eltern nach Deutschland gebracht. Und als ich schon 6 Jahre alt war, musste ich in die Vorschule gehen. Natürlich wusste ich nichts. Ich konnte die Sprache nicht und meine Eltern selber auch nicht. Ich kann mich noch an damals erinnern, das war richtig schwer für mich. Und als ich 7 Jahre alt war, sind wir wieder nach Serbien gezogen und ich musste auch in die Schule gehen. Da ich nicht Serbisch konnte, war es auch schwer für mich, weil ich nur meine Muttersprache Rom konnte, aber meine Eltern konnten die serbische Sprache. Trotzdem haben sie es mir nicht beigebracht. Sie hatten kein Interesse für mich. Wenn ich Hausaufgaben hatte, haben sie sich nie die Zeit genommen, die Hausaufgaben mit mir zu machen. Die Schule war auch weit weg und ich musste alleine hingehen. Als ich 17 Jahre alt war, habe ich geheiratet, bin nach Österreich gekommen und habe meine 3 wundervollen Kinder bekommen. Ich war 14 Jahre in der Ehe und hatte noch nie für Geld gearbeitet. Nach 14 Jahren haben ich und mein damaliger Mann uns scheiden lassen und dann habe ich beschlossen, meine Schule zu machen, damit ich eine Ausbildung machen kann später, weil ich arbeiten will. Das ist mein Wunsch. Und ich bin wirklich stolz auf mich selbst, was ich alles geschafft habe bis jetzt. Und ich fühle mich auch viel besser als früher. Ja, mit 3 Kindern ist nicht alles leicht, aber trotzdem schaffe ich alles alleine. Das war meine kurze Geschichte von mir. Natürlich steckt noch viel mehr in meinem Leben, als ich geschrieben habe.

 

Meine Geschichte
Anonyma

Ich schreibe über mich als alleinerziehende Mutter. Seitdem ich ein Mädchen mit 12 Jahren war, kämpfe ich mit meinem Leben und mit den Schwierigkeiten des Lebens. Besonders wenn man in einem Land lebt, ohne die Sprache sprechen zu können, wird das Leben doppelt schwer. Ich konnte damals nicht ein Wort auf Deutsch. Fünf Jahre ohne positiven Bescheid mit vielen anderen Problemen, das war so schwer für mich auszuhalten. Aber eines Tages hat es geendet. Seit einem Jahr lebe ich für mich, nicht für andere Leute, jetzt sind nur meine Kinder sehr wichtig, nicht die anderen. Gott sei Dank habe ich im Jahr 2018 eine Freundin geschenkt bekommen. Sie akzeptiert mich, wie ich bin. Jetzt sind meine Freundin und ihre Familie meine Familie geworden. Sie hilft mir immer, egal wo oder in welcher Situation. Und jetzt fühle ich, dass ich auch ein Mensch bin. Aber trotzdem ist als alleinerziehende Mutter das Leben sehr schwer. Ich habe manchmal keine Zeit für mich. Aber ich weiß, in Zukunft erwartet mich ein gutes Leben, weil ich für meine Zukunft Pläne habe: zuerst den Pflichtschulabschluss abschließen und dann finde ich für mich eine Ausbildung. Ich habe drei Berufswünsche: der erste ist Straßenbahnfahrerin, der zweite ist Köchin und der dritte ist Designerin. Danach kann ich auch wie die anderen Leute ganz normal leben. Wir können alles schaffen, wenn wir uns selber vertrauen und nicht nachgeben.

 

Wenn Sie jemanden kennen, der:die auch Interesse an einem kostenlosen Basisbildungskurs in Deutsch, Mathematik und Umgang mit digitalen Medien hat, sagen Sie es gern weiter: Basisbildung VHS Floridsdorf, Tel. (01) 891 74-120, oder Alfatelefon, 0800 244 800

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