Von Ballköniginnen & Bürgermeisterinnentun & lassen

Oberwart, Teil II: 22 Jahre Anerkennung einer Volksgruppe

1993 wurden die Burgenlandroma in Österreich als Volksgruppe anerkannt. Diese neue Sichtbarkeit bedeutet den einen mehr Schutz, den anderen mehr Angriffsfläche. Wie man individuell damit umgeht und ob der Weg von der Ballkönigin zur ersten Romni-Bürgermeisterin ein weiter ist, erfährt man nicht zuletzt am Unterwarter Romaball. Lisa Bolyos (Text) und Carolina Frank (Fotos) haben sich – freilich zu rein journalistischen Zwecken! – aufs Tanzparkett gewagt.«Zigeuner are the best», steht mit Kreide auf die Wand der Unterführung geschrieben. Die Gedenkfeierlichkeiten sind vorbei, die staatstragenden Limousinen wieder abgefahren aus der Oberwarter Romasiedlung, die, wenn es nach Stefan Horvath geht, zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt würde. Von den feierlichen Reden ist hängengeblieben, was sich über den Tellerrand der Floskelsuppe hinauswagte. Ein Landtagsabgeordneter – man kennt seine Motive nicht – sprach mit leichter Themenverfehlung vom drohenden Terror des Islamischen Staates, Heinz Fischer schien ganz vergessen zu haben, dass sich alles Rechtsradikale, zu dessen Bekämpfung er sich bekannte, fünf Tage vorher in der Hofburg ein Stelldichein gegeben hatte. Aber es wurde auch sehr würdevoll der vier Ermordeten gedacht; Manuela Horvath verlas ihre Biographien, denn, so ihre Worte, «bevor sie ermordet wurden, haben sie gelebt».

Das politische Kleingeld der Anerkennung

Manuela Horvath lebt in Oberwart, und da will sie vorerst auch bleiben. Sie lebt ihr Romni-Sein offen und selbstbewusst, macht Vereinsarbeit und gibt mit dem Romano Centro Workshops gegen «antiziganistische Stammtischparolen». Sie selbst, sagt sie, erlebt Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft kaum. «Ich fühl‘ mich als Romni nicht benachteiligt. Aber natürlich weiß ich, dass es die Benachteiligung gibt.» Und wenn sie dann ihre eigenen Erlebnisse von Rassismus und Vorurteilen erzählt, sind die Geschichten voll mit kompetenten Gegenstrategien.

Anders Emilia (Name v. d. Red. geändert), die als junge Frau aus Oberwart weggezogen ist. Ihren echten Namen sollen wir nicht nennen, denn in Wien hat sie sich dafür entschieden, keine Romni zu sein. Nicht in der Öffentlichkeit, nicht am Arbeitsplatz. Dazu sei der Rassismus, der ihr dort entgegenschlage, einfach zu überwältigend. «Manchmal würde ich am liebsten aufspringen und sagen: Schaut, ich bin euer Vorurteil.» Aber das lässt sie bleiben: «Das wäre völlig sinnfrei.»

Dieses «Leben im Verborgenen», wie es mehrfach genannt wird, ist auch eine Strategie, unbeschadet durchzukommen. Sei es, weil man die berechtigte Angst hat, keine Anstellung zu bekommen, sei es, weil man sich oder seine Kinder vor Rassismus schützen möchte. Charly Gärtner-Horvath, der den Verein «Roma Service» leitet, hat sich angesichts des selbst erfahrenen Rassismus dennoch entschieden, in die Offensive zu gehen. «Ich habe mich gefragt, ob unsere Kinder mit den gleichen Problemen konfrontiert sein werden wie wir. Und wie werde ich als Elternteil reagieren? Wird es gesetzliche Möglichkeiten geben, etwas gegen den Rassismus zu tun?» Mittlerweile gibt es die, und Gärtner-Horvath reiht sie klar in die Errungenschaften ein, die mit der Anerkennung als Volksgruppe einhergingen.

Die Anerkennung, so Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, fuße natürlich auf dem politischen Kampf darum. Aber ihre Geschichte sei auch eine des politischen Kleingelds. Österreich, dass sich den Mund zu voll genommen hatte, indem es sich die Südtiroler Minderheitenfrage auf die wehenden Fahnen schrieb, war außenpolitisch ins Schlittern geraten, als man plötzlich nach den hauseigenen Minderheiten fragte. Und dann der Waldheim! Das war sowieso das diplomatische Ende. Also musste eine symbolische Wiedergutmachung her. Und man wollte ja in die EU. Und da musste man was vorweisen.

«Deswegen», so Baumgartner, «wird dann im Dezember 1993 unter großer Medienaufmerksamkeit die Anerkennung der Roma als 6. österreichische Volksgruppe vollzogen und zelebriert. Die beiden Koalitionsparteien stolpern fast über ihre eigenen Füße, so schnell tragen sie das durchs Parlament.» Mit dieser Anerkennung war Österreich aber immerhin eines der ersten Länder Europas – nach, man höre und staune, Ungarn. Von der anerkannten Volksgruppe zur Oberwarter Bürgermeisterin wird es trotzdem noch ein Weilchen dauern: «Bis es so weit kommt, müssen wir uns noch sehr, sehr viel bewegen», meint Gärtner-Horvath.

Es ist, wie es ist

Mitte Jänner findet in Unterwart der Romaball statt. Ein rauschendes Fest, Sehen und Gesehenwerden in der regionalen Community. Als Höhepunkt der Ballnacht wird die Wahl zur Ballkönigin angekündigt. Auf der Tanzfläche nehmen jetzt sechs sogenannte «Gattinnen» von diversen regionalen Amtsinhabern Platz. Hinter ihnen aufgestellt werden die Amtsinhaber selbst, die ihnen – Spaß lass nach – ein paar heiße Wahltipps geben dürfen. Die Anwärterinnen stellen sich zur Wahl, und eigentlich ist es ganz in Ordnung, zu verlieren, denn nicht nur gibt es als Trostpreis einen gut befüllten Geschenkkorb, man spart sich auch obligatorische Tänze mit graumelierten Herren.

Eine Frau in den 60ern, die einen betörenden Glitzerpullover trägt, lässt sich am Rand der Tanzfläche von mir anquatschen. Sie wisse jedes Jahr ganz genau, wer Ballkönigin wird. Ich setze auf ihren Tipp – Volltreffer! Ob sie in die Zukunft schauen kann oder einfach nur ahnt, was die Bürgermeister und Landtagsabgeordneten jeder Couleur mit ihrem bescheidenen Frauenbild den Gattinnen in die Ohren flüstern – egal.

Diese Frau, die die Königin voraussehen kann, lebt hier in der Nähe. Ihre Mutter, sagt sie, sei dem KZ entkommen, und sie selbst erlebe jetzt wohl das Ende einer Minderheit. Ob das gut sei oder schlecht, frage ich, wenn man sich in einen «anderen» verliebt, in einen Gadsche, und weggeht, was anderes zu machen mit seinem Leben. Schließlich bedeute das doch auch, dass sich die Emanzipation ihren Weg bahnt. Richtiger Antirassismus, hat Gerhard Baumgartner im Gespräch gesagt, beweise sich sowieso erst, «wenn Leute miteinander ins Bett gehen». Die Glitzerpulloverfrau stimmt zu, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. «Als ich ein Kind war, haben wir zu Hause noch Romanes gesprochen», beantwortet Charly Gärtner-Horvath meine Frage nach dem Erhalten und dem Fortentwickeln einer Kultur. «Heute ist das anders. Ich helfe meinen Kindern, Romanes zu lernen, aber man lebt die Kultur einfach nicht mehr wie früher. Umso weniger, wenn man wie ich aus der Community rausheiratet.» Und er schließt mit einem gänzlich unnostalgischen: «Es ist halt so.»

Am Tag nach dem Ball, auf einer Autofahrt Richtung Norden, versuchen wir Gadsche-Journalistinnen uns müde und aufgekratzt zugleich in einem sinnvollen Gespräch über das langsame Verwandeln und Verschwinden von Minderheiten. Während ich das Abflauen einer Kultur – Emanzipation hin oder her – gerade nach dieser rauschenden Ballnacht doch ein wenig betrauern möchte, sagt meine Kollegin, die Fotografin, viel vernünftiger: «Die Minderheiten gehen in die Mehrheiten über und neue Minderheiten kommen nach. Jetzt gibt es die Burgenlandroma und dann gibt es sie irgendwann in dieser Art nicht mehr, dafür gibt es dann die Burgenlandnigerianer und dann wieder wen anderen. So ist das eben.» Wir anderen nicken einmütig, schauen raus in die burgenländischen Landschaften und freuen uns darauf, was ihnen noch alles blühen wird.

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