Von bösen Hausbesitzern und guten Mieter_innenArtistin

Betrachtungen eines Korrekturlesers, Teil 3

Ist das Böse männlich? Und ist es feministische Ritterlichkeit oder paternalistische Bevormundung, Frauen keine Bad Girls sein zu lassen? Im Gendern verraten sich mitunter archaische Geschlechter­vorstellungen. Von Richard Schuberth

Bildtext: Ist die Killer Queen Ausnahme der Regel und sind Frauen die besseren Menschen? Und ist das Böse generisch männlich? (Camera Press 1993)

Haben wir geschlechtergerechte Schreibweisen einmal akzeptiert, müssen wir Sorge tragen, dass die Gerechtigkeit nicht zu sehr nach einer Seite ausschlägt, da sie dann flugs aufhört, gerecht zu sein. Seit Einführung des Genderns im Augustin drängt sich dem aufmerksamen Leser, der aufmerksamen Leserin sowie dem mal aufmerksameren, mal unaufmerksameren Korrekturleser ein interessantes Phänomen auf: Es gibt Menschengruppen, die scheinen so böse zu sein, dass ihnen der «Gendergap» verwehrt wird: Faschisten, Polizisten, Investoren, Kannibalen, Dentisten und Steuerprüfer. Sie alle werden in die Hölle der blanken Männlichkeit zurückgestoßen, während die Guten in diesem vorweggenommenen Paradies auf Erden mit Bezeichnungen geadelt werden, die – liest man sie laut vor – wie ein generisches Femininum klingen. Schnell klar wird, dass dem ein moralischer Manichäismus zugrunde liegt, der das Männliche negativ, das Weibliche positiv wertet.

Einige Beispiele aus dem Augustin-Archiv: «Einzelne Nachbar_innen fingen an, mit Unterschriftenlisten für die Eigentümer und die Hausverwaltung herumzugehen.» (Augustin, Nr. 357) «Wir sehen die Polizeischikanen gegen Sexarbeiter_innen als Hilfsdienste für die Immobilienspekulanten.» (Nr. 352) In Heft Nr. 353 ist in ein und demselben Text von Strache-Wahlkämpfern und Musikvereinsbesucher_innen die Rede (letzteren würde die Geschlechtergerechtigkeit sofort entzogen, wenn es sich um eine geschlossene Sondervorstellung für Strache-Wahlkämpfer_innen handelte). Nr. 347: Im Editorial haben Polizist_innen ausnahmsweise zwei oder mehrere Geschlechter, während einige Zeilen weiter die Neigungsgruppe der Peiniger männlich bleiben muss. In einer Buchrezension derselben Ausgabe wird eine Arbeiter_innenpartei gepriesen, deren Mitglieder sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs aber leider in Patrioten verwandeln. So richtig aufmerksam auf den Gendergap zwischen Guten und Bösen wurde ich vor Jahren in einem Augustin-Text, in dem Polizisten gewohnt männlich ihr Unwesen trieben, aber in einem Satz, wo sie ausnahmsweise als Freund_innen & Helfer_innen figurierten, plötzlich zu Polizist_innen befördert wurden.

Und jetzt die pikante Pointe: Diese Praxis wird fast ausschließlich von männlichen Autor_innen gepflogen. (Regieanweisung: dramatische Musik)

 

Der Feminismus der Göttinnen und der Feminismus der Kavaliere

Die Mehrzahl der konsequenter denkenden Feminist_innen lehnt die Moralisierung des Geschlechterantagonismus ab. Weil sie weiß, dass sie sich mit derlei Biologisierung nur ins eigene Fleisch schnitte. Bloß zwei Gruppen vertreten die Ansicht, die Frau sei die naturhaft bessere Ausgabe der Menschheit, und ich würde mir so viel Ironie nicht erlauben, wenn ich nicht irgendwann in meinem Leben selbst für beide empfänglich gewesen wäre. Es ist dies zunächst der essenzialistische Feminismus, dem Frauenemanzipation kein allgemeingesellschaftlicher Kampf für gleiche Löhne, Chancen und gegen sexuelle Diskriminierung ist, sondern Mythisierung eines geschlechtlichen Standortvorteils, das Feiern der heiligen Weiblichkeit. Dieser Ansatz, so vielfältig er sein mag, interessiert sich weniger für politische Ökonomie als für Tiefenpsychologie, Ethnologie, Altskandinavistik und Esoterik. Er würde zum Beispiel migrantischen Leiharbeiterinnen zu mehr Selbstermächtigung verhelfen wollen, indem er versuchte, in ihnen die Weise Frau, Hagazussa, die Hexe, Ishtar, die Fruchtbarkeitsgöttin oder die multiorgasmatische Schamanin zu stärken. Das zeitlos Weibliche kämpft den Endkampf gegen das ewig Männliche, und genug ist darüber gespottet worden, dass ich meinen Spott nun lieber dem zweiten Typus kredenzen will: dem ausschließlich männlichen Feminismus des Kavaliers.

Dieser ist der romantische Begleiter der zweiten Frauenbewegung (circa 1965–1985), der weichgesottene Gegenpart zum 68er-Alternativmacho der sexuellen Befreiung. Die Verachtung des Patriarchats und der eigenen maskulinen Sozialisation treibt diese Männer zu einer schwärmerischen Idealisierung des Weiblichen. An den esoterischen Randzonen trifft sich der Minnesängerfeminismus mit dem der Göttinnen, ansonsten wollten sie damals bloß bei den Trägerinnen des Femininen, den sogenannten Frauen, besser ankommen als Charly, der fesche Aufreißer aus der 7 B, oder Kostas, der Fischer – eine Ambition mit hohem Frustrationspotenzial. Dass diese Ritter sehr oft zurückgewiesen wurden, hatte nicht nur mit der chronischen Unemanzipiertheit ihrer Minnedamen zu tun, sondern vielleicht auch damit, dass in ihrem Verhalten mitunter etwas Anbiederndes, gleichfalls Objektivierendes steckte, dass es sich in Anlehnung an den Begriff Arschkriecher möglicherweise um Muschikriecher handelte, auch wenn sie nur kuscheln wollten. Denn vielleicht ist ein richtiger Kerl zu sein das einzige generative Maskulinum, an dem alle Geschlechter mit Recht teilhaben können, und vielleicht ist männliche Selbsteffeminierung für viele Frauen nicht deswegen unsexy, weil sie auf richtige Männer stehen, sondern weil es die Geschlechterstereotypen nicht überwindet, sondern nur wendet.

Das aber berührt einen allgemeinen Denkfehler vieler Emanzipationsbewegungen, der auf moralische Erpressung hinausläuft: die Wunschvorstellung, dass die Unterdrückten und Benachteiligten die besseren und interessanteren Menschen zu sein hätten, damit sich die Parteinahme auch bezahlt macht. Doch Unterdrückung schafft nicht nur edles Rebell_innentum, sondern in der Regel auch Ressentiment, charakterliche Defekte, Regression und kollektive Abfuhr von Aggression auf Schwächere.

 

In den Chefsessel, nicht in den Mantel

KZ-Aufseherinnen, vergewaltigende Kriegsflüchtlinge, schwarze Sklavenhändler, Hofer wählende Muslimas, komantschische Börsenspekulanten oder zu befreiende Schwestern, die sich dann doch für Kostas und nicht für Freddy Frauenversteher entscheiden, können das sehr simple Weltbild jener erschüttern, die weniger die Unterdrückung bekämpfen als von den Unterdrückten liebgehabt werden wollen. Doch dieser fortschrittliche Moralismus rächt sich. Enttäuschte Kavaliere werden oft zu Frauenverächtern.

Dass es so wenige Kriegsverbrecherinnen, Immobilienmaklerinnen, Börsenspekulantinnen, Konzernchefinnen und Priesterinnen gibt, ist die Folge eines erbitterten patriarchalen Machterhalts und nicht einer konstruktiveren, friedlicheren, egalitäreren Natur der Frau. Dabei halte auch ich für möglich, dass die Welt ein besserer Ort sein könnte, wenn Frauen die Machtpositionen besetzten. Vielleicht ist etwas dran an der größeren emotionalen Intelligenz und am geringeren Aggressionspotenzial. Die Verallgemeinerung solcher Vorstellungen aber ist problematisch, weil sie oft unwillentlich biologisiert, besonders wenn natürliche Mütterlichkeit unterstellt wird. Der Hinweis auf prügelnde Bullinnen, Business-Bitches sowie eine angesichts von Gaddafis Lynchung vor Freude japsende Hillary Clinton ist somit nicht schadenfroher Zynismus oder frauenfeindliche Relativierung, sondern Pflichtübung emanzipatorischer Aufklärung, weil er den unausrottbar naiven Gegensatz von bösen Tätern und guten Opfern ebenso kritisiert wie ein patriarchal geprägtes System, das alle Geschlechter deformiert.

Man braucht kein Volkshochschulzeugnis in Psychologie der Macht, um zu erkennen, dass Frauen in männlichen Domänen wie Polizei, Justiz und Business zur geschlechtlichen Überkompensation neigen, zur Knebelung angeblich weiblicher und zur Hervorkehrung angeblich männlicher Eigenschaften, und «zu beamtshandelnde» Personen die Polizistin oft mehr fürchten als den Polizisten.

Und dennoch: Das zu selbstverständliche Gendern von Tätergruppen kann auch zu einer falschen Egalisierung, einer Verschleierung der wahren Proportionen von Gewalt führen. Denn obwohl es sicher viele Frauen gibt, die sexuelle Gewalt ausüben, sträubte sich alles in mir, von Vergewaltiger_innen zu schreiben, was einer Verhöhnung der doch in Überzahl weiblichen Opfer männlicher sexueller Gewalt gleichkäme.

Eine scheußliche Praxis, die sich in vielen Sprachen findet, macht zum Beispiel aus einem Demonstrationszug von tausend Abtreibungsbefürworterinnen, in die sich nur ein grapschender Mann verirrt, Abtreibungsbefürworter. Ein Tropfen Männlichkeit genügt, und die weibliche Mehrheit hat sich sofort dem generativen Maskulinum zu unterwerfen.

In gegenderter Sprache aber verkehrt sich diese Unart in eine durchaus fortschrittliche Tendenz. Denn gäbe es auf der Welt nur je eine Folterspezialistin, Henkerin, Investmentbankerin oder Trump-Wählerin, hätte man auch diesen Gruppen die sprachliche Geschlechtergerechtigkeit nicht zu verwehren. Frauen moralische Überlegenheit zu unterstellen ist eine nicht mal subtile Form der Frauenfeindlichkeit. Hier trifft sich Idealismus mit puritanischer Kontrolle. Die verklärende Vorstellung vom größeren Pazifismus, der größeren Tugend, dem geringeren Egoismus der Frau ist die fieseste Fessel, mit der ihre Freiheit geknebelt wurde, eine Hypothek, die sie bei Nichterfüllung zu hoher Erwartungen zur eternal bitch macht. Ein bewährtes Konzept: Während Jungs nun mal immer schon Jungs waren, stand die Frau unter permanentem Verdacht, Hure zu sein, und um ihr das nachweisen zu können, setzte man ihr einen Heiligenschein auf, der notwendigerweise verrutschen musste. Emanzipation hat moralische Motive, aber Moral darf nicht ihr Zweck sein. Gleichberechtigung der Frau heißt auch, das gleiche Recht wie der Mann zu haben, ein Arschloch zu sein. Geschlechtliche Unterdrückung verpflichtet Frauen nicht zur Übernahme des emanzipatorischen Gesamtkatalogs. Ritterlichkeit und Vernunft bestünden darin, auch bei seinen Feind_innen für eine gerechte Frauenquote zu sorgen. Wahre feministische Kavalier_innen helfen Frauen nicht in den Mantel, sondern in den Chefsessel und bekämpfen den Konzern dann auch unter weiblicher Konzernleitung mit geschlechterblinder Härte.

In der nächsten Folge: Wie sollen wir mit Fremdwörtern umgehen? Integrieren? Zwangsassimilieren? Abschieben? Mit ihnen fremdgehen …?

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