Von den FürsprecherInnen zu den SelbstsprecherInnenDichter Innenteil

Linz, Ende Oktober 2006: Rund 70 Erwerbsarbeitslose, MitarbeiterInnen von Straßenzeitungen, psychisch Erkrankte, Menschen mit Behinderungen, Alleinerzieherinnen und MigrantInnen sind bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr drei Tage unter dem Motto „Sichtbar Werden“ zusammen gekommen, um gemeinsam über Strategien gegen Armut zu beraten. Das von der Armutskonferenz koordinierte Projekt versteht sich als Beitrag zu einer umfassenden Strategie der Armutsbekämpfung unter Einbeziehung aller Akteure, wie sie beim europäischen Rat von Nizza von allen europäischen Staatschefs beschlossen wurde. Vom Augustin waren Michi und Traude in Linz. Im Folgenden Ihre jeweils persönlichen Eindrücke von einem der (noch?) raren Gelegenheiten, bei denen die Betroffenen und nicht wie gewohnt – deren FürsprecherInnen den Ton angaben.

Michis Bericht

Betroffen sein bedeutet nicht immer Betroffenheit! Das hat sich am Wochenende vom 27. bis 29. Oktober eindrucksvoll gezeigt. Die TeilnehmerInnen aus 19 Betroffenenvereinen, Gruppen oder Organisationen angereist aus ganz Österreich haben gemeinsam ein anstrengendes, aber auch fröhliches Arbeitswochenende in Linz erleben dürfen. Ich durfte als Augustinverkäufer gemeinsam mit einer Kollegin teilnehmen.

Dies ist ein persönlicher Erlebnisbericht, deshalb eher Eindrücke als Fakten.

Interessierte können Daten und Fakten im Internet auf www.armutskonferenz.at unter sichtbar werden finden.

Die Anreise von Wien nach Linz war schon ein Beginn der Diskussion, zu viert fuhren wir gemeinsam in einem Abteil. Die Fahrt verging wie im Fluge. Sogar ein Taxi vom Bahnhof zum Jugendgästehaus wurde gespendet. Das Einchecken ging problemlos vonstatten .Die erste große Überraschung war die Zimmervergabe: Ein ganzes Zimmer für jede/n allein! Ausgestattet mit Dusche und WC. Luxus pur für manche von uns.

Nach dem ersten Zusammentreffen zur Klärung der Tagesordnung begaben wir uns in den Speisesaal. Die Qualität der Speisen war von der ersten bis zur letzten Mahlzeit am Sonntag hervorragend. Die Küchencrew nie genervt und immer freundlich und die Sitzordnung spiegelte die Stimmung unter den TeilnehmerInnen wider: Es gab keine! Ein jeder aß und redete mit jedem.

Für den Samstag war ein großer Auftritt in der Linzer Innenstadt, am Taubenmarkt geplant, für den wir Dutzende lebensgroße Pappfiguren gestalteten, eine jede mit unseren Lebensgeschichten und unseren eigenen Anliegen.

Ach ja, drei PolitikerInnen waren am Abend noch geladen: von den Grünen, der SPÖ und der ÖVP. Dieser Satireabend war so sicher nicht geplant, aber wir hatten viel zu lachen. Entweder war der nette ÖVP-Mensch überfordert oder in der falschen Veranstaltung.

Der Samstagvormittag war dann für unsere Demo vorgesehen. Nach anfänglichem Bestauntwerden kamen wir mit den Passanten ins Gespräch, von denen die meisten erschrocken waren über die Zustände im sozialen Netz und überrascht über ihre Unwissenheit, was täglich in diesem Land passiert und was auch ihnen ganz schnell zustoßen könnte. Studierende (ich weiß nicht von wo) haben die gesamte Veranstaltung in Bild und Ton festgehalten und die Ergebnisse werden bald im Internet zu sehen sein.

Sehr schön fand ich, dass sich nach anstrengenden Sitzungen noch kleine Gruppen fanden, die die Nacht zum Tage machten und sich bis morgens um 4 oder 5 Uhr weiter austauschten. Immer ohne Streit, und wenn, dann sachlich.

Von der Stadt habe ich nicht viel gesehen außer halt den Taubenmarkt. Und, als letzte Überraschung, ein Wienerwald-Restaurant. Samstagabend zum Ausklang wurden wir von den Veranstaltern zu Speis und Trank ausgeführt. Schollenfilet, Hähnchenbrust, überbackene Champignons und ein ordentlicher Schweinsbraten standen zur Auswahl, alles in bester Qualität. Und die Getränke und Gespräche ließen uns bis 4 Uhr früh ausharren. Ich meine, auch wir sind Menschen und dürfen einmal den oft tristen Alltag vergessen.

Nach einem letzten Resümee am Sonntag gab es noch einmal ein Mittagessen, bevor wir uns, müde, aber zufrieden mit dem Umfeld und den vielen neuen Erkenntnissen und Eindrücken, auf den Weg zum Bahnhof machten. Viele neue Bekannt- oder sogar Freundschaften wurden geschlossen und wir trennten uns mit der Sicherheit, dass das nächste Treffen nicht lange auf sich warten lassen wird.

Traudes Bericht

Michi und ich vertraten also den Augustin in Linz. Diesmal schien es spannend zu werden, da gleich am ersten Tag Politikerinnen zur Verfügung standen, um unsere Fragen zu beantworten.

Es waren anwesend: Frau Königsberger (SPÖ), ehemalige AMS-Mitarbeiterin, was man an ihren Aussagen auch merkte; Herr Öllinger (Grüne), der uns erzählte, dass er – bevor er in die Politik ging – Alleinerziehender und selbst arbeitslos war; und schlussendlich Herr Mitterlehner, Wirtschaftssprecher der ÖVP, der immer wieder für Heiterkeitsausbrüche im Publikum sorgte, besonders nachdem er mich nicht mehr daran hindern konnte, ihn zu fragen, in welchem Land er eigentlich lebt, denn Österreich könne es nicht sein.

Auch Herr Öllinger meinte, dass der Wirtschaftssprecher nicht die geringste Ahnung über die Zustände in unserem Lande habe.

Als die Veranstaltung zu Ende war, verließ Herr Mitterlehner mit hochrotem Kopf fluchtartig den Saal. Schade fanden wir, dass auch die beiden anderen bald gingen.

Am zweiten Tag fand von 11 bis 13 Uhr eine Aktion am Taubenmarkt mit ca. 100 lebensgroßen, beklebten, bemalten und beschrifteten Pappfiguren statt, die wir am Abend zuvor vorbereitet hatten statt. Die Reaktion der Linzer Bevölkerung war aus meiner Sicht leider ausnahmslos enttäuschend. Am Nachmittag saßen wir um acht Tische in kleinen Gruppen zusammen und schrieben unsere Wünsche und weiteren Forderungen auf ein Papiertischtuch, wobei jeder nach einer gewissen Zeit die Tische wechseln sollte. Ich setzte mich zu der so genannten radikalen Gruppe. Sie bestand aus Bertl und Hannes von der Straßenzeitung Kupfermuckn aus Linz, Peter von der Selbsthilfegruppe Misl und einem jungen Innsbrucker namens Michael, der zum ersten Mal teilgenommen hat. Michael hatte uns schon am Abend zuvor mit einer vorerst utopisch klingenden Idee konfrontiert, nämlich eine eigene Partei zu gründen. Je mehr wir darüber diskutierten, umso plausibler erschien uns diese Utopie, denn von Politik und Medien werden die Armen totgeschwiegen. Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Ich hatte noch ein anderes Anliegen. Da ich im Häferl ehrenamtlich mitarbeite, wurde ich beauftragt zu fragen, ob beim nächsten Treffen die Gruppe der Haftentlassenen teilnehmen darf.

Am letzten Tag wurden alle Forderungen vorgetragen und besprochen. Wir sahen noch den Film, der während der drei Tage gedreht wurde, wobei es nochmals zu lautstarkem Gelächter über Herrn Mitterlehner kam. Zum Abschluss wurden wir noch eingeladen, am 18. und 19. 11 zum Seminar Zugang zum Recht / Durchsetzen von Rechten zu kommen, wo wir von vier kompetenten Leuten endlich über unsere Rechte aufgeklärt werden, nachdem wir bisher eher über unsere Pflichten Bescheid informiert wurden.

Müde, aber voller neuer Anregungen traten wir die Heimreise an.


Mit „100 Figuren gegen Armut“ machten Armutsbetroffene aus ganz Österreich in einer Aktion am Samstag am Linzer Taubenmarkt auf ihre Situation aufmerksam. Auf den Figuren waren persönliche Lebensgeschichten, Wünsche, Forderungen und aktuelle Daten über steigende Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, Kinderarmut oder die Situation psychisch Kranker zu lesen.

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