Von der Entzauberung neoliberaler Mythentun & lassen

"Nulldefizit" und 28 andere Wirtschaftslügen

Als „Anleitung zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen“ bezeichnet der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) sein neues Buch „“Mythen der Ökonomie““. Dieses Semester gibt es auch eine gleichnamige Ringvorlesung an der Universität Wien. Keine Angst: Das Wissen können sich dort auch nichtuniversitäre Menschen abholen.Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“, flimmert es über den Bildschirm, garniert von lächelnden Frauengesichtern. Von der Wirtschaftskammer ist wohl kaum eine differenziertere Wahrnehmung zu erwarten, allerdings steht auch der politische Diskurs mit immer weniger Unterschieden zwischen linkem und rechtem Spektrum unter den scheinbaren Sachzwängen der Ökonomie. Dabei ist gerade das allbekannte Brutto-Inlandsprodukt (BIP) eine sehr zweifelhafte Maßeinheit für den subjektiv empfundenen Wohlstand einzelner Bevölkerungsgruppen.

Mit 29 dieser „gängigen Missverständnisse“ befasst sich die neue Publikation des BEIGEWUM, die im Mai dieses Jahres im VSA-Verlag erschienen ist. Der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen ist eine „lose Assoziation von SozialwissenschaftlerInnen kritischer Natur“, wie es einer von ihnen -Bert Schweizer – beschreibt. Seit 1985 versucht der Beirat durch Publikationen zu wirtschaftlichen Themen an der öffentlichen Diskussion teilzunehmen. Mit der „Anleitung zur geistigen Selbstverteidigung“ ist in diesem Sinne ein für alle Interessierte verständliches Sachbuch entstanden.

Mythos Nulldefizit

Die Idee zu diesem Buch entstand aufgrund der Erkenntnis, dass durch die Anti-Globalisierungs-Bewegung auch ein großer Bedarf an Volxbildung in wirtschaftlichen Belangen entstanden ist, welcher wiederum die Interessen der HerausgeberInnen trifft. Das in dem Buch vermittelte Fachwissen soll Werkzeug sein, dem alltäglichen neoliberalen Diskurs Paroli bieten zu können. So wird darin auch etwa das Dogma Nulldefizit nachhaltig in Frage gestellt, wenn es um sinnvolle und nachhaltige Investitionen geht, welche auf längere Sicht dem Staatshaushalt auch wieder Einnahmen bescheren. In dieser Frage wird gerne der so genannte „Hausverstand“ beschworen: Auch Privatpersonen könnten nicht mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Gleichzeitig bedarf es aber genau eines Verstandes, der eben über ein Haus hinaus reicht, um die Situation zu erfassen: Ein Staat ist keine Privatperson und so zum Beispiel mit einem quasi „ewigen Leben“ gesegnet, was die Wiederaufnahme und Umschichtung von Krediten möglich macht.

Das Beispiel „Mythos Nulldefizit“ zeigt auch, dass der neu erschienene Band einen Überblick über wichtige Themen der Publikationstätigkeit von BEIGEWUM bietet, denn zu vielen Kapiteln des Buches gibt es eigenständige Werke. Oder anders gesagt: Bei Interesse an einem gewissen Thema sind auch Vertiefungen möglich.

Die Philosophie von BEIGEWUM ist ganz bewusst, Informationen zur Selbsthilfe zu übermitteln. Alleine schon dieser Zugang, aber natürlich auch die vermittelten Inhalte sind ein Beispiel, dass Wissenschaft von Natur aus nicht neutral ist, sondern auch aufgrund der aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse einen Standpunkt vertreten muss. In dieser Frage positioniert sich der Beirat auf der hinterfragenden, und nicht auf einer etabliert-gemütlichen Seite. Dem entsprechend scheuen die ForscherInnen auch nicht die Diskussion ihrer Theorien in der Öffentlichkeit und bieten dieses Semester eine Ringvorlesung zum Thema an, die im Rahmen des Studiums für Internationale Entwicklung abgehalten wird. Nach der Herausgabe des Buches im Mai dieses Jahres steht vor allem die Promotion desselbigen auf dem Programm, die auch Co-Autor Bert Schweizer in ganz Österreich touren lässt. Ein Nachdenken über neue Projekte steht daher noch nicht an.

Prominente LeserInnen gesucht

Einem Magister der Wirtschaftswissenschaften der Uni Klagenfurt, wie es unser lieber Finanzminister ist, könnte diese Lektüre ebenfalls nicht schaden. In seiner derzeit entstehenden Dissertation schreibt er nämlich über die Senkung der Abgabequote auf 40 Prozent bis zum Jahr 2010. In „Mythen der Ökonomie“ fände er eine brauchbare Definition der Abgabenquote und eine Erklärung, ob tatsächlich eine Senkung derselbigen entscheidende Auswirkungen hat. Vielleicht würde er dann sein Thema ändern, sich zum Beispiel mit den geschlechterspezifischen Auswirkungen eines nur scheinbar geschlechtslosen Budgets auseinander setzen. Er würde auch erfahren, dass sein letzter „großer Wurf“ einer Steuerreform für die meisten in diesem Land eigentlich nicht einmal ein Tempelhüpfer war. Und reich heiraten kann auch nicht jedeR. Aber was schreibe ich noch darüber … Karl-Heinz Grasser wird wohl wie so viele dieser Regierung als „Hood Robin“ in die Geschichte eingehen: Er stahl’s den Armen und gab’s den Reichen.

Buch:

BEIGEWUM: Mythen der Ökonomie. Anleitung zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. VSA-Verlag. Hamburg 2005

Ringvorlesung:

Jeden Dienstag

im Hörsaal D

Uni-Campus/Altes AKH, Hof 13

Spitalgasse 2-4

1090 Wien

Beginn: 11.10.2005

Detailliertes Programm: www.beigewum.at

Das Projekt keine_uni

Die Initiative keine_uni steht für den Versuch, Bildung und Studieren anders zu denken und zu leben. Die InitiatorInnen sind Studierende, die nicht hinnehmen wollen, dass sich die Uni abschottet, als wäre sie nicht Teil der Gesellschaft, sondern die Sache einer Elite. Einer der ersten Schritte zur Verbreitung von ökonomischem Basiswissen sind – für alle offene und für Berufstätige zeitgünstigere – Begleitveranstaltungen zur Ringvorlesung „Mythen der Ökonomie“.

Diskussionsabend

Di., 18. Oktober, um 19 Uhr

Republikanischer Club

Rockhausgasse 1

1010 Wien

Arbeitskreise „Mythen der Ökonomie“ von November 2005 bis Jänner 2006

Für werktätige Personen werden zwischen November und Mitte Jänner wöchentlich Arbeitskreise angeboten, in denen in einem ersten Schritt gemeinsam ein Basiswissen zu Ökonomie und im speziellen Wirtschaftspolitik erarbeitet wird. In einem zweiten Schritt werden aktuelle Medienberichte zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen diskutiert sowie Kommentare und LeserInnenbriefe dazu verfasst. Fortgeschrittene Studierende der Ökonomie und anderer Sozialwissenschaften leiten die Arbeitskreise.

Montagtermin: jeden Montag 19- Uhr, 1. Termin: Mo., 31.10.2005

Dienstagstermin: jeden Dienstag 19- Uhr, 2.Termin: Di., 01.11.2005

Mittwochtermin: jeden Mittwoch 19- Uhr, 3. Termin: Mi., 02.11.2005

Ort: Baobab Seminarraum

Berggasse 7 (Erdgeschoss)

1090 Wien

weiter Infos unter: www.keineuni.org

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