Von der Kolporteurin zur Künstlerintun & lassen

Heidi Gross (1944–2021)

«Ich bin ein Kind aus verschiedenen Welten», so wird Heidi Gross in einem Porträt in einer älteren Ausgabe dieser Zeitung zitiert. Eine bürgerliche Welt wäre für sie vorgezeichnet gewesen. Sie hat noch versucht, das Geschäft des Vaters weiterzuführen, doch für die Doppelrolle Alleinerzieherin und Geschäftsfrau stimmten die Rahmenbedingungen nicht. Heidi musste harte Zeiten ertragen, von einer Würstelbude bekam sie regelmäßig Milch geschenkt und erhielt dort auch den Tipp, zum Augustin zu gehen. Heidi nahm ihn an und stieß somit im Jahr 1996 als eine der ersten Frauen zum Projekt.
«Wonderful», dieses Wort sollte noch zu einer Art Markenzeichen werden. Heidi streute es regelmäßig in ihre mündlichen und schriftlichen Konversationen, oft auf «Denglisch» geführt, ein. Über Augustin-Projekte wie die Radio- und die Schreibwerkstatt und den Chor ließ sie ihrem künstlerische Talent freien und dadaistischen Lauf – und wurde schließlich die Grande Dame des Stimmgewitter. Heidi sang nicht nur, sie spielte auch in Theater- und Filmproduktionen von Hubsi Kramar mit, etwa in den beiden ersten Teilen der Filmtrilogie Wonderful. Weil «Herr Regie», wie sie den (Aktions-)Künstler zu titulieren pflegte, einmal ihre Spinatpalatschinken verschmähte, hat sie ihm einen Text rübergerieben. Darin heißt es: «In den Spinat muss ma reinpressen a Knoblauchzehe, damit man sich die Theaterrollen besser merkt.»
Abseits des Scheinwerferlichts galt Heidi als eher stille Person und sehr fürsorgliche Großmutter von Zwillingen. Sie sparte immer wieder auf Last-Minute-Reiseangebote ans Meer, um am Sandstrand spazieren zu können. Ein heikles Thema, wie sie selber meinte: «Eine Augustin-Verkäuferin fährt ans Meer!» Sie erzählte auch von schiefen Blicken, die sie über sich ergehen lassen musste, weil sie als Kolporteurin Hüte getragen habe. Nämlich jene aus dem Geschäft ihres Vaters.
Das ist jetzt alles Nebensache. Heidi hatte keine Kraft mehr, sich einer zweiten schweren Herzoperation zu unterziehen. Und zur Erfüllung ihres großen künstlerischen Traumes ist es leider auch nicht mehr gekommen: «Ich hätte noch einen last wish», sagte sie im eingangs erwähnten Porträt, «einmal einen Clown im Zirkus spielen, das wär’ very nice!»

Bildunterschrift: Heidi Gross, du bist «wonderful» gewesen
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