Von der Ostbahn auf die Maledivenvorstadt

Denis Rizvanovic´ hat sich vom Käfigkicker zum Profifußballer hoch­gearbeitet, im Ausland gespielt und ist auf dem Inselparadies Malediven Meister geworden. Er hat es geschafft.

TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTOS: CAROLINA FRANK

Das Problem ist: Denis Rizvanović selbst sieht das nicht so. In einem angesagten türkischen Restaurant am Keplerplatz lässt er die Stationen seiner Karriere bei einem Çay Revue passieren. Er versucht zu analysieren, was eigentlich falsch gelaufen ist. Denn seine Ziele waren von Anfang an klar und hoch gesteckt: Entweder deutsche Bundesliga oder die türkische Süper Lig, in der Elvir Baljić, das Idol seiner Kindheit, jahrelang sein Geld verdient hat. «Ich hatte immer schon eine Schwäche für die Türkei. Meine Kumpels im Park haben gesagt: ‹Du wirst einmal eine Türkin heiraten.› Und so ist es ja dann auch gekommen.»

Überstunden im Park.

Der Park war in der Nähe der Kettenbrückengasse und Rizvanović schon in jungen Jahren Stammgast im Käfig. Sein Vater wollte ihn dann «von der Straße holen» und hat den Zwölfjährigen bei Hellas Kagran angemeldet. Das war Zufall, der Vater hat in Donaustadt gearbeitet. Es stand auch die Admira zur Diskussion, und hier glaubt der gebürtige Wiener schon eine erste falsche Weichenstellung zu erkennen: «Wäre ich damals zur Admira gegangen …»
Doch Talent setzt sich durch, und er kommt 2006 über den Umweg Post SV zur Vienna. Er hatte nach den Vereinstrainings noch immer im Park gekickt und wurde dort von einem Trainer der Döblinger entdeckt.
Rizvanović spielt für das bosnische Nachwuchsnationalteam und gilt bald als eines der größten Talente Wiens, vielleicht sogar Österreichs. Ein Spielmacher mit tadellosem Lebenswandel: «Für mich gab es nichts außer Fußball. Kein Fortgehen, keine Freundinnen, kein Trinken, kein Rauchen. Alles, was Jungs klassisch in dem Alter machen, war für mich tabu.» Er sei sehr streng zu sich selbst gewesen, meint Rizvanović, und er scheint es noch immer zu sein.
Bei der Vienna sei es eigentlich sehr gut gelaufen, aber in der mit Routiniers gespickten Mannschaft war es schwierig, Spielminuten zu bekommen. Doch er wollte spielen, es galt, eine Karriere aufzubauen. Gleichzeitig habe er viele Anrufe von Managern bekommen. «Und dann begann es eigentlich mit den Enttäuschungen in meiner Karriere. Viele leere Versprechen, nicht nur von Spielervermittlern, auch von Trainern, Sportdirektoren, allen rundherum.» Schmerzlich in Erinnerung geblieben ist ein Vermittler, der bei einem pompösen Treffen im Café Landtmann unzählige Formulare und Vollmachten aufgetischt hat und einen baldigen Wechsel zu einem Topklub nach Italien mit dazu. Obwohl ihm sein Vater zu Geduld und Vorsicht rät, fällt es dem Teenager schwer, es nicht glauben zu wollen.

Ersehntes Ausland.

Aus Wochen wurden Monate, aus dem schon so gut wie fixen Toptransfer wurde nichts. «Das war natürlich eine riesige Enttäuschung. Daran hatte ich zwei, drei Monate zu arbeiten, und irgendwie sitzt das immer noch in mir drin. Ich habe dann die Hände von ihm gelassen.» Es habe zwar schon Förderer wie seinen Ex-Mitspieler Thomas Flögel gegeben, aber letzten Endes war er von der heimischen Szene und ihren leeren Versprechen und geplatzten Transfers enttäuscht.
Mit Anfang zwanzig gelingt ihm ein Wechsel zum bosnischen Traditionsklub Velež Mostar. Der Vater hat Kontakte in seine alte Heimat spielen lassen, und dazu scheint der Balkan auch strategisch ein kluger Schritt in Richtung türkische Liga zu sein. «Es ist eigentlich alles super gelaufen.» Er spielt, ist bei den Fans beliebt. Rizvanović wohnt in einer WG mit einem weiteren österreichischen Legionär, der allerdings kaum zum Zug kommt. Es herrscht schlechte Stimmung: «Das war nicht einfach, immer zu hören: ‹Das geht mir am Oasch! Komm, gehen wir doch zurück!›» Velež Mostar hat in der Saison gegen den Abstieg gespielt, die Fans wurden von Runde zu Runde unrunder: «Wir hatten oft Drohungen. Es sind halt auch manche mit Pistolen herumgelaufen. Ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt.» Er lässt seinen Vertrag (ein Jahr plus Option auf zwei weitere) nach einem halben Jahr vorzeitig auflösen. «Und das war eigentlich der größte Fehler in meiner Karriere. Wenn ich noch eine Saison in Bosnien geblieben wäre, dann wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.»
Trotz laufender Angebote und Probetrainings – «Ich war in vier Ländern, jeweils drei Wochen» –, am Schluss wird nur Ostbahn XI konkret. Rizvanović ist unglücklich, die Regionalliga eine Ernüchterung. Über den Manager seiner damaligen Verlobten und jetzigen Frau, die ebenfalls Fußball spielt, ergeben sich neue Möglichkeiten. Zuerst scheint ein Wechsel in die zweite türkische Liga zu Boluspor so gut wie sicher, er trainiert schon mit der Mannschaft. Es scheitert aber an einer Ausländerbeschränkung der Liga. Dann geht es ganz weit weg.

Exotische Erfolge.

Es trudelt ein Angebot aus Asien ein. Von VB Sports Club aus Malé, der Hauptinsel und -stadt der Malediven. Der Vertrag ist gut dotiert und läuft zwei Jahre. Rizvanović hofft, dass ihn der türkische Trainer des Vereins danach mit in die Süper Lig nehmen wird. «Die Menschen dort waren Weltklasse. Ich wurde blendend empfangen, es gab Berichte im Fernsehen und den Zeitungen. Überall hieß es Beckham, Beckham. Wohl auch, weil ich der einzige Blonde unter den knapp 100.000 Einwohnern war.» Der Verein spielt in der asiatischen Champions League, unter anderem in Thailand und Indonesien vor beeindruckender Kulisse. An freien Tagen fährt man mit Booten auf die kleinen Inseln raus. «Das war schon traumhaft, da hat man sehr gut abschalten können. Ich habe die Atmosphäre schon genossen.»
Aber Rizvanović ist keiner, der sich nur entspannen will, er verliert sein Ziel nicht aus den Augen. Und es gibt Ärger im Paradies. Der Nachzug seiner Verlobten verzögert sich mehrmals, er beginnt sich auf dem Atoll einsam zu fühlen. Der Kontakt zu Freund_innen reißt über die vielen Tausend Kilometer Distanz und der Zeitverschiebung ab. Wieder wohnt er mit einem Legionär und dem Trainer zusammen. Als er sich einmal über die Schlampigkeit seines Mitspielers beschwert, schlägt sich der Coach auf dessen Seite. Die Stimmung ist im Eimer.
Erneut löst er nach einem halben Jahr den Vertrag auf, und er bereut es auch diesmal. Nicht nur, weil er bei den Titelfeiern von VB Sports schon wieder in Wien ist. «Ich hätte halt mehr verdienen können, viel mehr. Dann hätte ich jetzt nicht nur eine Eigentumswohnung, sondern ein ganzes Haus.» Doch er ist zurück in der Regionalliga, diesmal bei Simmering, wo sich das Trainerkarussell dreht. Fast fixe Engagements in Katar und Aserbaidschan scheitern, die Ziele und Träume werden von Transferfenster zu Transferfenster unwahrscheinlicher. Rizvanović ist Mitte zwanzig und seine Karriere irgendwie vorbei. Am glücklichsten war er eben doch im Ausland, dass er sich bei den weiteren Stationen im Unterhaus beide Kreuzbänder ruiniert, passt ins Bild.
Seit zwei Jahren ist mit dem Kicken endgültig Schluss, doch auch davor hat er schon in diversen Jobs Erfahrungen gesammelt. Langfristig strebt er aber die Selbstständigkeit an. Gastronomie würde ihn reizen, und – noch immer – das Ausland. Vielleicht die Schweiz, wo er Verwandte hat und auch einmal fast hingewechselt wäre. Dem Fußball möchte er erhalten bleiben, der Trainerschein ist fix eingeplant. Vielleicht wartet die eigentliche Karriere ja noch auf ihn.