Von der Republik ins Nichts entlassentun & lassen

In der Grimmgasse finden die 'anderen Obdachlosen' Zuflucht

Die Grimmgasse ist eine unscheinbare Vorstadtgasse im 15. Wiener Gemeindebezirk, die in den Schwendermarkt mündet, der nur noch das Flair des Heruntergekommenen ausstrahlt. Doch eines ihrer Häuser hat für Menschen aus allen Teilen dieser geschundenen Welt immense Bedeutung. 100 Asylwerbern aus derzeit 25 Nationen bietet hier, auf Grimmgasse Nr. 6, der Evangelische Flüchtlingsdienst ein Dach über dem Kopf. „Unser größtes Problem ist zur Zeit, den Leuten die Angst zu nehmen, die die schwarzblaue Regierung auslöst“, sagt Shukri Krunz, der Leiter des Flüchtlingsnotquartiers.Der gelernte Soziologe, als Palästinenser „von Geburt an Flüchtling“, 1985 als Asylwerber in Österreich gelandet, bereitet – gemeinsam mit einem engagierten Rechtsanwalt – eine Klage vor, die sich zu einem interessanten Musterprozess gegen die Republik auswachsen könnte. Es geht um die Frage, ob sich der Staat davor drücken darf, Flüchtlingen während ihres oft jahrelangen Wartens auf den positiven Asylbescheid Unterstützung zu gewähren, und ob es rechtens ist, dass er die Existenzsicherung dieser Menschen Nichtregierungsorganisationen wie dem Evangelischen Flüchtlingsdienst aufhalst. „Meiner Meinung nach versagt der Staat in dieser Hinsicht“, erklärt Shukri Krunz.

Anlass der Klage ist der Fall einer fünfköpfigen afghanischen Familie. Ihr Asylverfahren zog sich in die Länge, als ob der Bürokratie Beweise über die prekäre Lage in Afghanistan fehlen würden. Dreieinhalb Jahre lang bezahlte der Evangelische Flüchtlingsdienst – mit Spendengeldern – die Betreuung und Unterkunft der Familie. Diese einzige Familie kostete dem Flüchtlingsdienst 1,5 Millionen Schilling. Die Republik hat dem Flüchtlingsdienst diese Kosten nun zurückzuerstatten, ist der Standpunkt der evangelischen Ausländerbetreuer. Denn die Familie erhielt nach dreieinhalb Jahren den positiven Asylbescheid – sozusagen die Bestätigung dafür, dass sie ihr Asylrecht in Österreich nicht missbrauchte.

Anerkannte Asylflüchtlinge haben Anspruch auf staatliche Unterstützung. Das ist zivilisatorische Norm, und Österreich hält sich (noch?) daran. Shukry Krunz ist, wie alle anderen Flüchtlingsbetreuer, jedoch der Meinung, dass es eine Selbstverständlichkeit wäre, dass Betroffene schon während ihres Asylverfahrens die sogenannte „Bundesbetreuung“ genießen können. Tatsächlich ist das auch bei einem Teil der Asylwerber (Krunz schätzt, bei 30 Prozent) der Fall. Die meisten Flüchtlinge aber, die aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen entlassen werden und auf den Ausgang ihres Verfahrens warten, werden ins Nichts entlassen.

Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingsberater kritisieren den Lotterie-Charakter der Entscheidung, wer in Bundesbetreuung aufgenommen wird und wer nicht. Vor diesem Hintergrund kann der Musterprozess als Versuch verstanden werden, klare Richtlinien zu schaffen.

Der Staat, der die Asylbewerber ins Nichts entlässt (und den Betroffenen gleichzeitig verbietet, sich durch Jobs ihre Existenz zu sichern), produziert Obdachlosigkeit, sagt Shukry Krunz. Freilich eine, die aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerät. Herkömmliche Obdachloseneinrichtungen stehen nur inländischen Obdachlosen offen, ärgert sich der Heimleiter der Grimmgasse 6. Wenn offizielle Stellen auf „herzeigbare“ Obdachlosenstatistiken verweisen, klammern sie die ausländischen Obdachlosen – die zum größten Teil von den Asylwerbern gestellt werden – aus.

Das evangelische Notquartier in der Grimmgasse beherbergt derzeit ausschließlich Asylwerber. Die Zusammensetzung widerspiegelt den Lauf der Krisen in der Welt. Jetzt gerade dominieren Flüchtlinge aus Iran, Irak, Afghanistan und aus schwarzafrikanischen Ländern. Das Heim ist voll, aber niemand, der neu an die Grimmgasse 6 klopft, wird auf die Straße verwiesen. Ein Netz von angemieteten Pensionen und Integrationswohnungen und die Zusammenarbeit mit dem katholischen „Konkurrenten“ Caritas komplettiert das Hilfsangebot. Der Flüchtlingsdienst bietet Deutschkurse an, befreundete Ärzte sorgen für kostenlose medizinische Betreuung.

„Oft stehen Leute vor unserer Tür, die man aus der Schubhaft entlassen hat“, sagt Shukry Krunz. Manchmal gehören sie zu jener statusmäßig eigenartigen – quasi vom Staat illegalisierten – Kategorie von Migranten, die nicht in Österreich bleiben dürfen, aber auch nicht abgeschoben werden können. Dieser „Nullgruppe“ gehören vor allem Menschen aus dem Irak, Afghanistan, Sudan oder Somalia an. Shukry Krunz weist im Gespräch mit dem AUGUSTIN auf eine absurde Situation hin:

„Gerade diese Menschen, die eigentlich nicht abgeschoben werden können, werden oft in Schubhaft genommen. Das Gesetz erlaubt, dass sie dort bis zu sechs Monate lang festgehalten werden können. Der Staat glaubt, eine Politik der Abschreckung verfolgen zu müssen. Aber es ist absurd, zu erwarten, dass jemand, der der afghanischen Hölle entrinnt, sich von der österreichischen Schubhaft abschrecken lässt. Die Schubhaft derer, die man ohnehin nicht abschieben kann, kostet dem Staat mehr als die Bundesbetreuung.“

Den Leuten „Hoffnung zu geben in einer hoffnungslosen Situation“ sieht Shukry Krunz als würdigste Aufgabe der FlüchtlingshelferInnen in der Grimmgasse. Dazu gehört auch die Entwicklung von Rückkehrprojekten. Deren Zielgruppe sind Jugendliche, die von Schleppern regelrecht betrogen wurden und die nicht die geringste Chance haben, in Österreich zu bleiben. „Ich kenne Jugendliche, denen man 4000 Dollar für den Transport nach Österreich abgeknöpft hat. Die Schlepper haben ihnen gesagt: Ihr braucht nur des Wort ‚Asyl‘ auszusprechen, wenn ihr in Österreich seid“.


Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdientes

1150 Wien, Grimmgasse 6

Tel. 89 55 998

E-mail: nq.efdoe@evang.at

Spendenkoten: PSK 90006423; Bank Austria 617542600

(im „Schatten“ der bekannteren Einrichtungen der Caritas stehend, ist der Evangelische Flüchtlingsdienst besonders auf Spenden angewiesen!)

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