Von ganz unten, hinauf!tun & lassen

AUGUSTIN-Verkäuferin Hermine

Von mir gibt’s immer kalt-warm. Ich sag’s, wie’s ist, allen. Beim AUGUSTIN-Verkaufen bin ich aber immer freundlich. Wenn jemand schimpft, halte ich den Mund, was ich mir dabei denke, ist meine Sache.
Seit zehn Jahren verkaufe ich den AUGUSTIN, allerdings mit Unterbrechung, weil ich einen Unfall gehabt habe. Ich habe vor zehn Jahren im neunerhaus gewohnt und am Reumannplatz verkauft. Dann bin ich zu meinem Freund gezogen. Mit 50 Jahren ist er an einem Herzinfarkt gestorben. Ich habe ihn gefunden, in der WG, in der wir gewohnt haben. Daraufhin bin ich ausgezogen. Ich bin zum Hilfswerk gekommen und habe da siebeneinhalb Jahre gelebt. Seit eineinhalb Monaten wohne ich in einer Genossenschaftswohnung. Da gefällt es mir sehr gut. Im Hilfswerk hatte ich 15 Quadratmeter, jetzt habe ich 45. Wohnzimmer ist fertig, Bad ist fertig, und die Küche bekomme ich im November.
Bevor ich den AUGUSTIN verkauft habe, hatte ich eine Scheidung. Ich war 15 Jahre lang verheiratet, er hatte keinen Job mehr, und ich wollte mich scheiden lassen. Dafür musste ich ihm die Gemeindewohnung überlassen. Danach habe ich ein Jahr auf der Straße gelebt. In der Nacht habe ich im 12. Bezirk bei der Corti geschlafen (Anm.: VinziRast), untertags bin ich halt mit dem Autobus spazieren gefahren und so was. Im Sommer war es kein Problem, da waren wir am Schedifkaplatz. Wir waren eine Clique und sind dort immer gemeinsam gesessen. Es gab da eine Polizeistation, aber mit denen hatten wir nie ein Problem, und sie nicht mit uns. Einmal haben wir den Postenkommandanten eing’wacht. Er hat mit uns getrunken, dann ist er quasi auf allen vieren wieder in die Wachsstube gekrochen.
Nachdem mein Freund gestorben war, bin ich weiterhin zu dem Platz gefahren. Ich fahre immer noch hin. Dort ist ein Brunnen, dort kann man sitzen, und … ich sag’s mal so: Ich habe den Menschen über alles geliebt. Und wenn man jemanden als Toten findet, den man über alles geliebt hat, das vergisst man nicht.
Im Hilfswerk wohnen war am Anfang schön , aber dann wurde es eine Katastrophe. Die Leute bekommen alle einen Sachwalter, es wird über sie bestimmt. Mir wollten sie zweimal einen Sachwalter geben, aber da haben sie pfeifen gehen können.
Im Dezember letzten Jahres habe ich einen Film gesehen, mit Robert de Niro. Eine wahre Begebenheit: Seine Frau ist gestorben, und er saß ein Jahr lang nur in der Wohnung. Dann ist er rausgegangen, spazieren, egal bei welchem Wetter, und hat eines Tages auf einer Tafel gelesen: Seniorenpraktikant gesucht! Und er hat sich beworben. So hat er sein Leben wieder aufgebaut. Von ganz unten, hinauf! Dieser Film hat mich so motiviert, dass ich am nächsten Tag in den 6er gestiegen bin. Ich bin drei Jahre lang mit keiner Straßenbahn, keiner U-Bahn, keinem Autobus gefahren. Ich bin also eingestiegen, und bin zum AUGUSTIN gefahren. Nachdem ich drei Jahre nicht gearbeitet hatte, wegen dem Unfall. Mich hatte ein Auto erwischt. Darum habe ich auch den Rollator.
Ich habe es geschafft. Seit Dezember habe ich das Gefühl, es geht bergauf. Ich bin jeden Tag AUGUSTIN verkaufen gegangen, beim Billa in der Absberggasse, wo ich immer noch bin. Mit dem Personal dort verstehe ich mich sehr gut, sie sind super. Sie wissen auch, dass ich behindert bin, und helfen mir jederzeit. Ich habe bei jedem Wetter verkauft, auch wenn es minus fünf Grad hatte, es war mir wurscht. Ich wollte ja aus dem Hilfswerk ausziehen, und habe mir also ein Sparbuch zugelegt. Heuer im Juni bin ich zur Wohndrehscheibe von der Volkshilfe gefahren, und habe dort alles einer Sozialarbeiterin erzählt. Ich hatte auch schon gespart. Jetzt habe ich 45 Quadratmeter, keine Stufen, behindertengerecht. Und die Möbel habe ich alle selbst ausgesucht.

Protokoll: Ruth Weismann