Von „Ganz unten“ ins Call-Centertun & lassen

Günter Wallraff im Wien Museum

Vor etwa 20 Jahren ist es um den Aufdeckungsjournalisten Günter Wallraff still geworden. Nun macht er wieder Schlagzeilen: Als er eingeladen wurde, in einer Moschee zu lesen, kündigte er an, dass er die Einladung annehmen werde, um aus Salman Rushdies Satanische Verse vorzutragen. Und er erkundete am Telefon die neue Arbeitswelt der Call-Centers.

Der Augustin traf ihn im Rahmen der Ausstellung Ganz unten im Wien Museum.

Außer Neuauflagen deiner früheren Bücher hat man in den vergangenen 20 Jahren wenig von Günter Wallraff gehört oder gelesen.

Ich bin natürlich in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen. Von einigen meiner frühen Reportagen hatte ich gesundheitliche Spätfolgen zeitweise saß ich im Rollstuhl, um auszukurieren. Dann gab es auch Vorhaben, die ich leider nicht zu Ende führen konnte. Es ist ja nicht so, dass du einen Tipp bekommst und dann die Idee automatisch verwirklichen kannst: Trotz bester Tarnung kann man erkannt werden, oder es gelingt nicht, stichhaltige Beweise trotz großem Einsatz aufzudecken usw. In Folge des großen Erfolges meines Buches Ganz unten (Auflage 4 Millionen, nicht mitgezählt die Millionen Raubdrucke speziell in China, Anm.), das Lebens- und Arbeitsverhältnisse türkischer und kurdischer Arbeiter in Deutschland thematisiert, gründete ich aus den Erlösen die gemeinnützige Stiftung Zusammenleben, mit dem Ziel, eine alte Arbeitersiedlung in Duisburg zu revitalisieren, wo heute Menschen verschiedener Kulturen ein Modell des Miteinander-Lebens praktizieren. Diesem Projekt galt in den vergangenen Jahren der Großteil meiner Arbeit. Die Straße dieses Arbeiterviertels sollte abgerissen werden. Und nun schufen wir neuen Wohnraum. Vor allem für Alis (Wallraffs Deckname als türkischer Gastarbeiter, Anm.) damalige Kollegen. Dort gibt es jetzt auch eine Anlaufstelle für Asylwerber, eine Schule für Kinder von Ausländern mit Sprachdefiziten, ein Kulturzentrum usw.

Der Name Wallraff ist ein Synonym für Literatur der Arbeitswelt und Betriebsreportagen. Gibt es DIESE Arbeitswelt überhaupt noch? In einer zunehmenden Arbeitslosenwelt entstehen immer mehr so genannte atypische, prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Die Arbeitswelt hat sich zwar verändert, doch für die ungesündesten, dreckigsten Jobs braucht man noch immer Mallocher. Was Zeitarbeit oder Arbeit unter extremen Ausbeutungsverhältnissen betrifft, brauchen die Unternehmer heute nicht mehr unbedingt ausländische Arbeitskräfte, sondern aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit existiert mittlerweile eine große Reservearmee, die sich um Billiglöhne beliebig einsetzen lässt. Es gibt ja heute schon jede Menge Deutsche, die Arbeiten, für die sie früher 8 DM bekommen haben, das nun um 2 DM in der Stunde machen. Das sind die 1-Euro-Jobs. Als ich zuletzt in Berlin recherchierte, erlebte ich folgenden Fall: Ein rumänischer Eisenbieger auf einer Großbaustelle hatte sich bei der Arbeit den Daumen abgeflext. Der Polier kommt vorbei, nimmt den Daumen schmeißt ihn in einen Kübel und faucht den Verletzten an: Hau ab, denn du bist bei uns nicht angemeldet. Wenn dir der Daumen wieder gut angewachsen ist, melde dich wieder Das ist kein Einzelfall, sondern das sind Ausbeutungsverhältnisse, die an Formen in Zeiten des Frühkapitalismus erinnern. Es gibt keine Lobby, die dagegen vorgeht, denn die Gewerkschaften stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Betroffenen selbst sind oft gar nicht gewerkschaftlich organisiert.



Zuletzt hast du in einem Call-Center recherchiert. Es ist schwer vorstellbar, dass dort irgendwer gewerkschaftlich organisiert war.


Die gewerkschaftliche Organisierung nimmt immer mehr ab. Inzwischen ist es sogar so, dass Leuten mit Entlassung gedroht wird, wenn sie bei der Gewerkschaft sind, ohne dass das Folgen für den jeweiligen Unternehmer hätte. Systematisch wird es verhindert, dass Betriebsräte gewählt werden können. Zum Beispiel Porsche: Nach außen hin wirbt der Konzern mit guten Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen. Nun wurden einige Kollegen entlassen. Nur weil ein Kollege dem Chef eine Petition übergeben hatte, in der gefordert wurde, wenigstens die geltenden Gesetze einzuhalten. Der wurde fristlos entlassen. Kollegen, die sich für seine Wiedereinstellung aussprachen, wurden gleich mit auf die Straße gesetzt. Die haben zwar ihre Arbeitsprozesse gewonnen, wurden aber trotzdem nicht wieder eingestellt. Die staatlichen Stellen kapitulieren vor den Konzernen. Man tönt überall von einem Konjunkturaufschwung, doch Meinungsfreiheit wurde in diesem Bereich abgeschafft. Von einer Chancengleichheit sind wir weit entfernt. Es ist inzwischen statistisch belegt, dass die Lebenserwartung umso geringer ist, je weniger Einkommen jemand hat.

Du warst Mitbegründer des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt. Der wurde eine starke Bewegung, dessen Taschenbuchreihe hohe Auflagen erzielte. Es gab eine Vielzahl von Verlagen, die gesellschaftskritische Literatur publizierten. Heute gibt es für realistische Literatur kaum mehr Verlage, obwohl die Armut ständig wächst, die Arbeitsbedingungen schlimmer werden und der Lohnanteil insgesamt sinkt.

Das passt nicht in die Event-Kultur und findet keine publizistische Öffentlichkeit mehr. Doch es formiert sich auch eine Gegenbewegung. Allerdings fehlt ihr noch eine merkbare Stimme. Das passiert jetzt vor allem über Foren im Internet. Die Verhältnisse schreien danach, dass eine neue soziale Bewegung entsteht. Das bemerkt man auch wieder an den Schulen, nachdem die reine Spaßgesellschaft im Abklingen ist, spürt man auch dort, dass Veränderungen sehr wichtig sind. Früher war die Diskussion geprägt durch Worte wie Klassenbewusstsein, Solidarität (Nächstenliebe!) und Veränderung. Heute ist die Stimmung beherrscht durch Angst, Sicherheit, Entsolidarisierung und Rassismus.

In Deutschland begann man früher mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus als in Österreich. Schockierend finde ich, mit welcher Sorglosigkeit in deutschen Talk- und Gerichtsshows mit dem Begriff Asoziale umgegangen wird. Die Asozialen zählten bis Ausbruch des Krieges zu einer der größten Verfolgtengruppen der Nazis.

Sie werden jetzt die Asis genannt. Das geht noch weiter. Wenn der Kölner Erzbischof Meisner von gottloser, entarteter Kunst spricht. Aber ich fand auch erschreckend, was sich anlässlich des Papstbesuches in Österreich abgespielt hat. Der war nicht bloß da, um zu pilgern (ausgerechnet nach Mariazell! Das sagte bereits auch etwas aus!). Der gab ungeheure politische Statements von sich. Und die Staatsspitze hörte andächtig zu und applaudierte wie Hofschranzen. Der wirkt massiv gegen die Kirche der Armen, gegen die demokratischen und sozialen Bewegungen innerhalb seiner Glaubensgemeinschaft und fördert zugleich die reaktionären Kräfte. Die jubelten den zum Pop-Star hoch. Doch der äußerte nicht einen Gedanken, der irgendwie visionär gewesen wäre.

In den Medien ist zu erfahren, dass in nächster Zeit eine weitere Wallraff-Aktion zu erwarten ist. In welchem Bereich wird das geschehen?

Nach meiner Reportage über das Call-Center gibt es Ankündigungen der Politik, dass hier unbedingt Gesetzesänderungen notwendig sind. Das war ein bescheidener Auftakt zur die schöne neue Arbeitswelt. In diesem Bereich werde ich nun fortsetzen, kann jedoch noch nichts Genaues darüber sagen. Nur so viel: Es geht um Zeitarbeit und Rassismus.

Info:

Günter Wallraff ein Synonym für Literatur der Arbeitswelt und Betriebsreportagen. Sein Bestseller Ganz unten ist Namensgeber für die aktuelle Ausstellung Ganz unten. Die Entdeckung des Elends im Wien Museum. Im Rahmen dieser Schau wird am 12. Oktober auch Die rabenschwarze Nacht des Augustin abgehalten.