Von Goldeseln und ZombiesDichter Innenteil

Wirtschaftskrise? Hauptsache, die Geschäfte laufen (1)

Zu Beginn unserer Serie zur Weltwirtschaftskrise stellen wir die Frage, ob diese Krise bald vorüber sein wird, einem Experten. Bei unserem Zusammentreffen im Vorstadtbeisl überrascht uns der Fachmann mehrfach. Weder kommt er wie wir uns klischeehaft vorgestellt haben im Nadelstreif, noch überfordert er uns mit statistischem Material. Wir erhalten verständliche Antworten:Ich komme aus der 68er-Bewegung, die Eltern, ArbeiterInnen, haben mir das Studium ermöglicht. Damals gab es keinen Druck, rasch das Studium zu beenden, so konnten wir uns allseitig bilden.

Meine Eltern: aufgewachsen in den 30er Jahren, die Großeltern ausgesteuert. In Amiland heißt es: Nie wieder! Nie wieder lassen wir uns vom Kapital so tief ins Elend stürzen! Die nächste Krise ist der Weltkrieg, mit Millionen Opfern, zerstörten Wohnungen, Fabriken, Infrastruktur.

Die kaputte Welt ein Riesenmarkt, dazu neue Technologien Elektronik, Atomkraft, Nylonstrümpfe Wirtschaftswunder! Ein Dach über dem Kopf, ausreichend Essen, Waschmaschine und Fernseher für alle. Haben die Leute alles auf Baustellen, Feldern, in Fabriken selbst hergestellt, durften sie dann auf dem Markt kaufen.

Das Wirtschaftswachstum nach dem Krieg lag bei acht Prozent, schrumpfte aber rasch, während Gewerkschaften immer frecher Lohnforderungen stellten. In Italien besetzten die Belegschaften gar die Fabriken, wie bei Fiat.

In den Hörsälen gab es hitzige Streitgespräche. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und bin gleich in einen linken Zirkel, den Roten Börsenkräsch reingerutscht. Wir haben nächtelang diskutiert, an Fabrikstoren agitiert, in der Vorlesung dann fleißig Marx zitiert.

Damals sind diese Zombie-Filme ins Kino gekommen, wie Die Nacht der lebenden Toten. Leichen, die zum Leben erweckt werden und den Lebenden die Hölle auf Erden bereiten. Unterhaltung pur, obwohl: kein Stereo, kein 3D, aber eben Zombies, so irreal wie der märchenhafte Goldesel.

Bei Beendigung meines Studiums war die Freundin schwanger, wir beide in Geldnöten, in den roten Zirkeln ist nichts weitergegangen, also habe ich mir einen Job gesucht.

Mein Einstieg ins Bankgeschäft in den 70ern, dort habe ich dann schnell gelernt, wie man aus Scheiße Gold macht: Mickriges Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent, wer soll da noch in verbesserte Maschinen investieren? Was tun gegen die Streiks? Geduldig haben wir mit den ArbeiterInnen verhandelt, aber schlussendlich haben wir die Polizei in die Fabriken schicken und Massenkündigungen aussprechen müssen. Schluss mit Wirtschaftswunder, Gürtel enger schnallen haben dann die Politiker gepredigt.

Da begann die strukturelle Arbeitslosigkeit oder, was nun wirklich freundlicher als permanente industrielle Reservearmee klingt, die Sockelarbeitslosigkeit, gegen die wir in Hochschulzeiten noch angeschrieben haben. Hilfreich bei Lohnverhandlungen.

Unser Hauptproblem, um genauer zu werden, war ja nicht die Arbeitslosigkeit, sondern neue Märkte mit lohnenden Gewinnspannen zu finden. Die Kapazitäten in der Industrie waren ja nicht mal mehr zu 80 Prozent ausgelastet. Die Chicago-Boys mit ihrem Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes sind dann vorgeprescht, die CIA an der Seite und ein paar billig gekaufte Generäle vorneweg haben die Drecksarbeit erledigt. Nine Eleven 1973, nackte Gewalt gegen das vereinte Volk in Chile. Schluss mit Volksfront, Allende, Arbeitermacht.

Erst mal die Disziplin in den Fabriken wiederherstellen, nachdem die Gewerkschaften verboten und die Rädelsführer umgebracht waren. Dann wurde alles privatisiert, was noch staatseigen war. Das Kapital, das unter Allende aus dem Land abgehauen ist, war gleich wieder da. So hats begonnen mit dem Neoliberalismus.

Alles lässt sich auf dem Markt verkaufen

Thatcher in England hats nicht leicht gehabt mit der britischen ArbeiterInnenschaft, dem sozialen Netz. Bei ihr hat das gleiche Modell Mehr privat, weniger Staat funktioniert. Was glaubt ihr, was das britische Bahnsystem bei entsprechender Bewirtschaftung bringt? Nein, ich meine nicht die Zugunglücke, die Verspätungen, sondern die Verteuerung der Tickets. Gewinne, Leute! Wenn das Teil pleite geht, kann mans ja wieder verstaatlichen. Haben wir ja Erfahrungen damit, nach 45. Das Gesundheits-, das Ausbildungswesen, die Pensionen, alles lässt sich auf dem Markt verkaufen.

Dann ist Reagan auf den Zug aufgesprungen, der alte Antikommunist. Und 89 ist der Osten zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Revolution! Revolution! haben wir alle gerufen. EU-Erweiterung, neue Märkte, ist doch ne Revolution! Bloß, neue Märkte ohne neue Ideen erschöpfen sich rasch.

Da haben die Jungen in den US-Garagen neue Ideen aufgebracht: mailen, chatten, Musik und Filme tauschen, alles an der Börse käuflich. Die Start-ups haben enormen Finanzierungsbedarf gehabt. Dort haben wir unsere stets wachsenden Kundengelder hindirigiert. Pensionsfonds sind dazugekommen, Hedgefonds, was weiß ich welche Fonds. Die Kurse sind in die Höhe geschossen wie Schwammerln nach dem Regen.

Wir waren dann auch die ersten, die gemerkt haben, dieser Hype steht auf unsicheren Fundamenten. Also haben wir unsere eigenen Anlagen zurückgezogen, und das ist halt das Gesetz des Marktes: Fällt die Nachfrage, fällt der Kurs. Wer zu spät (drauf-)kommt, den bestraft die Geschichte. Milliarden an Dollarwerten innerhalb von Tagen, Stunden vernichtet! Tausende ArbeiterInnen verlieren ihre Pensionen, die in den Fonds waren.

Mit der Dotcom-Krise fielen die Zinsen. Die Löhne waren bereits mickrig. Jetzt, wo sollen die armen Menschen wohnen, die sich keine Wohnung leisten können? Muss ja erstmal gekauft, bezahlt werden. Also räumen wir ihnen Kredit ein. Ist ja kein Risiko dabei, ist alles hypothekar besichert. Und die Häuserpreise, die sind explodiert bei der steigenden Nachfrage.

Die McJobber, die Working Poor, die haben sich plötzlich wieder was leisten können, trotz niedrigem Einkommen! Durch Kredite: aufs Eigenheim, auf die Kreditkarte. Eine richtige Win-win-Situation, wir haben die Kredite vergeben, fein säuberlich gebündelt wie Banknoten, verpackt und auf die Reise geschickt. Gehandelt haben wir mit denen, von New York bis Reykjavík, und die Anleger haben uns die Wertpapiere aus den Händen gerissen, die Kurse sind gestiegen wie noch nie!

Klar, steigende Immobilienpreise und Kurse treiben die Kreditzinsen in die Höhe, und dass die Hungerleider dann ihre Kredite nicht mehr bedienen können, ist vorauszusehen. Aber alle haben nur noch die goldene Nase gesehen, die sie sich verdienen können Geld vermehrt sich von selbst! Die Chinesen haben an die Amis geliefert wie wild, auf Kredit, Dollarkredite. Wie alle Welt. Jetzt müssen sie den Dollar stützen, sonst sitzen sie selbst in der Patsche, weil sie auf den Dollars sitzen.

Für die Arbeiterfamilien wars kein Honiglecken, eben erst das Eigenheim eingerichtet, schon delogiert. Wo die jetzt alle schlafen? Die Realwirtschaft war ja schon die ganze Zeit angeschlagen, und jetzt die sinkende Nachfrage, da purzeln einige Jobs. Millionen. Und senken weiter die Nachfrage, das geht nicht an der Wirtschaft vorbei.

Und wir sitzen in den Banken auf tonnenweise faulen Krediten, die Geschäfte am Finanzmarkt sind ja um ein Vielfaches größer als in der so genannten Realwirtschaft. Weiß ich, ob die Nachbarbank, wenn sie einen Kredit möchte, den auch zurückzahlen kann? Ich kenne ja unsere eigene Situation! Warum soll ich da noch wem trauen?

Der Staat wirds schon richten

Da zeigt der Staat endlich, wozu er da ist: mit Garantien und Kapitalaufstockungen. Nicht verstockt wie nach dem Krieg, als er noch verstaatlicht hat. Kein Politiker redet uns drein, wenn wir unsere Wertpapiere zu Fantasiekursen in die Bilanz reinnehmen. Müssen wir, sonst wär die Bilanzsumme zu niedrig und es hieße, wir seien längst pleite.

Im Vertrauen, selbstverständlich sind wir, wir Banken, Versicherungen, längst pleite. Nicht die Vorständler, die kriegen wieder Bonuszahlungen, wir weisen ja auch wieder Gewinne aus. Aber Geschäfte? Unser Hauptgeschäft ist es, Geld vom Staat zu nehmen und Vertrauen in die Zukunft auszustrahlen. Auch nicht einfach, mit den vielen Leichen im Keller.

Wies mit der Krise weitergeht? Die Blasen der letzten Jahre haben zumindest einen realen Hintergrund gehabt. Das Internet, die Wohnhäuser gibt es ja. Aber frisch gedrucktes Geld vom Staat, wo soll da ein Gegenwert sein? Nur, wir brauchen sein Geld, und er braucht uns, weil wir Systembanken sind. Ohne uns gäbe es die Marktwirtschaft nicht mehr.

Und deshalb leben wir immer noch, oder schon wieder. Wie die Zombies, von denen wir geglaubt haben, die gibt es gar nicht. Aber die gibt es, wie die Goldesel, diese Esel.

Ob diese Krise bald vorbei sein wird? Die Blase der staatlichen Unterstützungen wird platzen wie alle Blasen. Halb so schlimm, solange darunter nicht das Vertrauen der kleinen Leute in das System leidet. Solange sie nicht auf dumme Gedanken kommen, wie 2001 in Argentinien Volksaufstand! Auch wenn sie schon unter Kurzarbeit leiden, die Steuererhöhungen und Sparpakete kommen erst.

Da müssen wir durch, wie durch jede Krise. Was meint ihr, was wir verloren haben? Schwamm drüber, Hauptsache, wir können weiter Geschäfte machen. Nach jeder Krise kommt eine größere Konjunktur.



Sagt unser Experte. Wir denken: Und nach der größeren Konjunktur kommt eine größere Krise. An dieser Stelle hat unser Gespräch geendet, nachdem am Nachbartisch ein paar Bauarbeiter mit Migrationshintergrund sich darüber unterhalten haben, unserem Gesprächspartner den französischen Brauch beizubringen. Während wir noch darüber grübeln, ist der Bengel schon weg. Was ist dieser französische Brauch? Welche Gedanken haben die Menschen in Argentinien 2001 in die Tat umgesetzt? Was sind die geheimnisvollen Selbstheilungskräfte des Marktes? Und: Gibt es Leben jenseits der Marktwirtschaft? Wir werden berichten.