Große Bandbreite arbeitsweltlicher Demokratie-Experimente:
Ist in einer vom Privateigentum geprägten Wirtschaftsordnung ein Ende der Hierarchie in der Arbeitswelt vorstellbar? Fordern wir das? Sind hierarchiefreiere Betriebe Orte des Demokratielernens? Ende April traten bei einer Konferenz in St. Pölten Personen mit äußerst unterschiedlichen Hintergründen in einen Dialog über diese Fragen. Die ksoe (Katholische Sozialakademie Österreichs) hatte zu dieser Dialogkonferenz eingeladen. Ein Bericht von Markus Blümel.
Illu: Karl Berger
Üblicherweise werden Redefreiheit und Demokratie «am Betriebstor» abgegeben. Bereits in der Schule erfahren wir, dass es «demokratiefreie Räume» gibt: etwa die Schule. Später machen wir die gleiche Erfahrung in Betrieben. Dass dies hinsichtlich einer demokratischen Gesellschaft Fragen aufwirft, ist die eine Seite. Die andere Seite – und diese wird zunehmend auch von Berater_innen und Eigentümer_innen gesehen – ist, dass es für Unternehmen dysfunktional sein kann, «von oben» zu bestimmen. Beispiel Tele Haase, ein Wiener Unternehmen (GmbH), in welchem der Chef und Miteigentümer erkannte, dass es unsinnig ist, den Mitarbeiter_innen Entscheidungen abzunehmen, für die ihm das Wissen fehlt – ein Wissen, das in Wirklichkeit bei den Mitarbeiter_innen liegt. Inzwischen hat dieser Betrieb alle Führungsebenen abgeschafft und von Linienorganisation zu Prozessorganisation gewechselt.
Wolfgang Weber von der Universität Innsbruck hat viele demokratisch-orientierte Unternehmen erforscht. Ein wesentliches Ergebnis: «Organisationale Demokratie» fördert soziale, demokratieförderliche Handlungseigenschaften. Margit Appel und Gerlinde Schein von der ksoe stellten bei ihren Recherchen fest, dass hierarchiefreiere, demokratischere Praxis in Betrieben von «homöopathisch» bis «radikal» reicht und dabei «einige Selbstverständlichkeiten» aufrüttelt. Sie orten, dass es verschiedene Beweggründe und Treiber für Alternativen zur herkömmlichen Unternehmensorganisation gibt: von Gemeinwohlorientierung, Generationswechsel in der Unternehmensführung, Stärkung von Innovation und Flexibilität, die selbstverständlichere Mitbestimmung und Kooperation in wesentlichen Lebensbereichen bis hin zu anderen arbeitsweltlichen Vorstellungen der Generation Y.
Die Dialogkonferenz zeigte, dass es oftmals bereits mehr an demokratischer Praxis in Unternehmen gibt – also mehr als die klassische Mitbestimmung in Form eines Betriebsrates. «Es gibt sie – die selbstorganisierten erfolgreichen Betriebe in der marktorientierten Wirtschaft» oder «Es kann funktionieren», hieß es von etlichen Teilnehmer_innen. In Hinblick auf die Transformation von Wirtschaft und Arbeit sei es gut, dass es viele Experimente und damit auch viele unterschiedliche Lösungen gebe, ergänzten andere. Und das zeigen die verschiedenen Beispiele: Die unterschiedlichen Wege werden von den beteiligten Menschen selbst organisiert und für den jeweiligen Kontext entwickelt. Transparenz ist dabei für hierarchiefreie Organisationen zentrales Wesensmerkmal: Protokolle, Zahlen etc. können von allen eingesehen werden. Im Besten Fall auch, was jede_r verdient.
Das Menschenbild ist in den auf dem Weg befindlichen Betrieben ein Thema: Menschen sind nicht Mittel für den Zweck der Profitmaximierung. Dass De-Hierarchisierung und Selbstorganisation nicht per se Humanisierung und alternatives Wirtschaften bedeuten muss, wurde erkennbar: Wie kann Selbstausbeutung durch Selbstorganisation und Selbstführung (jemand nannte das «Hierarchie 2.0») entgegengewirkt werden? Wie verhindern wir, dass wir durch Hierarchieabbau einen Beitrag zu noch mehr Flexibilisierung in der Arbeitswelt und damit zu Selbstausbeutung leisten und damit vielleicht den Neoliberalismus auf eine nächste Stufe heben? Wie schaffen wir es, dass alle Menschen den Umstieg auf eine hierarchiefreie Organisationsform gut mitgehen können, ohne auf der Strecke zu bleiben?
Thematisiert wurde auch die Frage der Eigentumsverhältnisse: Wer entscheidet schließlich über die Organisationsform? Wie kann hierarchiefreies Arbeiten langfristig dort abgesichert werden, wo die Eigentümer_innen Private sind und eventuell ein Private Equity Fonds darauf wartet, sich das von den Mitarbeiter_innen wirtschaftlich erfolgreich geführte Unternehmen einzuverleiben? Wie zielführend ist es, für die Sichtweise zu kämpfen, Betriebe sollen Bausteine einer demokratischen Wirtschaftsorganisation sein und das Potenzial haben, demokratiegefährdenden Entwicklungen etwas entgegenzusetzen?
Spürbar wurde bei der Dialogkonferenz der Wunsch nach Alternativen. Die Praxisbeispiele wurden als anziehend erlebt und lieferten Stoff zum Nachdenken und für die Weiterentwicklung der eigenen Organisation. Betriebsseelsorger Max Bramberger (Amstetten) hat eine Befragung von Arbeiter_innenbetriebsrät_innen großer Firmen im Mostviertel gemacht. Gefragt nach der Vision, antwortete einer: Es solle werden wie vor 30 Jahren. Offenbar erleben wir eine Gleichzeitigkeit in der Gesellschaft: die Sehnsucht zurück in eine vergangene (männliche) Arbeitswelt und den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und nach neuen, demokratischen Arbeitsformen.