Von Wien nach Paristun & lassen

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Noch einmal die Jugendkrawalle in Frankreich. Kann das bei uns auch passieren? Wenn die soziale Schere weiter auseinander geht, die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigt, die sozialen Aufstiegs-chancen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien sich nicht verbessern und ganze Bevölkerungsgruppen in einen Niedriglohnsektor gedrängt werden, aus dem sie nicht mehr rauskommen: ja.

Man kann einiges tun, um soziales Elend mit blockierter Zukunft zu vermeiden. Da wäre einmal die Schule. Stipendien für AHS- und BHS-Oberstufe sind längst überfällig. Weiters braucht es eine höhere Dotierung von Schulen in sozial benachteiligten Vierteln, um räumliche wie pädagogische Qualität zu verbessern. Die besten Lehrer und Räume gehören nicht nur für die einkommensmäßig gut ausgestatteten Schulen, sondern auch für die aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligten SchülerInnen.

Die Ausbildung von mehrsprachigen LehrerInnen mit Migrationshintergrund an den pädagogischen Akademien muss gefördert werden. Rollenvorbilder und Identifikationspersonen sind sehr bedeutend. In Österreich gibt es ja nicht einmal einen »Alibi-Türken« im ORF, als Schauspieler, im Parlament, in den Zeitungsredaktionen. Sie sind unsichtbar gemacht. Jugendliche türkischer oder auch ex-jugoslawischer Herkunft sind in der »Zeit im Bild«, in Redaktionsstuben, in den politischen Parteien, in den großen NGOs, im Film nicht repräsentiert. Sie sind da und dürfen nicht ankommen. Da ist Paris nicht so weit.

Für die Schule wäre angesagt, den Einsatz zweisprachiger BegleitlehrerInnen massiv auszubauen. Durch Verlängerung und Verlagerung der Förderstunden für Deutsch in die Schulautonomie bei gleichzeitigen Stundenkürzungen ist es zu einem Rückgang der Förderstunden gekommen. Diese Art von Föderalismus ist minderheitenfeindlich, wie wir auch bei der Sozialhilfe seit Jahren sehen. Grundrechtsmaterien gehören universalistisch geregelt. BegleitlehrerInnen sind eine gute Möglichkeit, im Klassenverband zu lernen, individuell zu unterstützen, an den Stärken der Kinder anzusetzen, nicht nur an ihren »Defiziten«. Das ist übrigens auch das Erfolgsgeheimnis so mancher PISA-Siegerländer: Unter einem Dach heterogene Gruppen bilden und nach innen differenzieren sowie personzentriert unterstützen. Das hilft den »Schwächeren« und den »Stärkeren« gleichzeitig.

Weiters gibt es zwischen 3 und 6 Jahren ein »window of opportunity« für spielerisches Lernen. Das kann durch ein Gratis-Kindergartenjahr oder eine Vorschule gefördert werden. Die Pflichtschule sollte verlängert werden, die frühe Selektion mit 10 Jahren fallen. Damit Zukunft nicht von der Herkunft abhängt, braucht es einen Bildungsweg, der nicht sozial selektiert, sondern individuell fördert, es braucht eine gut ausgebaute Frühförderung vor der Schule, Hauptschulabschlusskurse ohne Zugangsbarrieren, und es braucht den politischen Willen, wachsender sozialer Polarisierung entgegenzutreten.

Können in Wien auch Autos brennen? Nur wenn nichts passiert, kann etwas passieren. Die richtige Frage aber wäre: Wie können wir dem Rad sozialer Ausgrenzung in die Speichen fallen.

Martin Schenk

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