Vorlehrlinge und Messerschleifer-Assistententun & lassen

Ausgeliefert & ausgebeutet

Was unsere Regierung als „Pakt für die Jugend“ bezeichnet, nennt der ÖGB einen „Freibrief zur Ausbeutung“Stolz haben Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein Ende Mai einen „Pakt für Jugendliche“ präsentiert. Neben vier neuen Lehrberufen und den schon von der alten Koalition beschlossenen Steuerzuckerln für Ausbildnerbetriebe (60.000 S Steuerfreibetrag pro Lehrling) fasste man damals ein neues Auffangnetz für jene ins Auge, die keine Lehrstelle finden.

Am 6. Juli wurde dieser Pakt von den Regierungsparteien beschlossen als Novelle zum Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz, welche am 1. September in Kraft getreten ist. Nur der Passus zur Nachtarbeit wurde ganz unternehmerfreundlich noch vor der Sommersaison wirksam: Lehrlinge können/dürfen/müssen seither bis 23 Uhr arbeiten. Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel kritisierte: „Mit diesem ,Pakt für die Jugend` liefert die Regierung die Lehrlinge vollständig den Unternehmern aus.“ Und die Opposition ortete in der Novelle zahlreiche weitere Verschlechterungen für Jugendliche.

Neu ist zum Beispiel die Vorlehre für alle. Früher konnten lernschwache Jugendliche durch eine Vorlehre mit Spezialbetreuung das erste Lehrjahr innerhalb von zwei Jahren absolvieren. Ab sofort können die Lehrbetriebe selbst entscheiden, ob sie einen Jugendlichen als Lehrling oder als preiswerten Vorlehrling einstellen. Denn die Vorlehre kann auf bis zu drei Jahre ausgedehnt werden ( davon werden aber nur sechs Monate auf die nachfolgende Lehre angerechnet). Dadurch kommt etwa ein Maler und Anstreicher seit September auf eine Ausbildungszeit von bis zu fünfeinhalb Jahren.

Und nicht nur, dass man als Vorlehrling im ersten Halbjahr jederzeit gefeuert werden kann, die Wirtschaft kann ab sofort auch billige Arbeitskräfte rekrutieren, weil Vorlehrlinge drei Jahre lang nur die niedrigste Lehrlingsentschädigung erhalten. Ursula Woditschka von der HGPD-Jugend (Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst) gibt ein Beispiel: „Wenn zum Beispiel ein Vorlehrling bei einem Friseur anfängt, erhält er in den ersten drei Jahren 138.180 Schilling; einem normalen Lehrling stehen 193.970 Schilling zu.“ Außerdem hat der Vorlehrling nicht einmal Anspruch auf ein echtes Lehrverhältnis (samt anerkanntem Abschluss), erlernt nur niedrige Hilfsdienste und ist im Prinzip völlig der Willkür des Lehrherrn ausgeliefert.

Außerdem wurde die Probezeit für normale Lehrlinge von zwei auf drei Monate verlängert. Geschäftstüchtige Unternehmer könnten jetzt zum Beispiel während der saisonalen Engpässe einen billigen Lehrling aufnehmen und das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der drei Monate ohne Angabe von Gründen wieder auflösen. Ausgleichende Ungerechtigkeit: Die Behaltefrist nach dem Lehrabschluss wurde von vier auf drei

Monate verkürzt.

Schmalspurlehren ohne jede Zukunftsaussicht

Weiters wurde laut ÖGB durch die Erfindung neuer Lehrberufe ein Heer von Billig-Hilfskräften geschaffen. Ein so genannter „Werkzeugschleiftechniker“ ist nichts anderes als ein preiswerter Schleifer von Sägen und Messern. Ein „Hotelierfachmann“ entpuppt sich nach Alfred Gajdosik, Vorsitzender der Gewerkschaft HGPD, als Mädchen für alles. Er muss Koffer schleppen, Frühstück aufs Zimmer tragen und Betten herrichten. Gajdosik: „Das ist doch eine Schmalspurlehre ohne jede Zukunftsaussicht!“

Für Alfred Freundlinger vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) sieht die Sache anders aus: Gab es Ende Dezember 1998 erst knapp 1.800 Lehrlinge, die in Berufen wie EDV-Techniker, Verwaltungsassistent, Medienfachmann oder Fitnessbetreuer ausgebildet wurden, so betrug diese Zahl Ende 1999 laut „ibw“ bereits 4.131. Auch die Aufnahme neuer Lehrlinge konnte gegenüber dem Vorjahr deutlich auf fast 2.000 gesteigert werden. Die Anzahl der Lehrbetriebe, die neue Lehrberufe ausbilden, wurde von 853 auf 1871 mehr als verdoppelt. Und mindestens zwei Drittel aller Lehrstellen in den untersuchten Berufen seien laut „ibw“ als zusätzliche Stellen zu werten. Bei den Unternehmen gebe es fast ungeteilte Zustimmung für die neuen Lehrberufe. 95 Prozent der Ausbildungsbetriebe gaben an, dass ihren Anforderungen entsprochen worden sei, 87 Prozent wollen auch weiterhin Jugendliche in den neuen Berufen ausbilden.

Die Gewerkschaft hat anscheinend andere Quellen: Auf 15.000 Suchende kommen laut ÖGB derzeit nur 8.000 offene Lehrstellen. Und seit Herbst sind jene Förderungen für Stiftungen gestrichen, mittels derer im Jahr 1999 noch 4.000 neue Ausbildungsplätze geschaffen wurden.

Gehrer und Bartenstein sagen: Bei den Stiftungen seien die Übergangsquoten in eine normale Lehre mit 23 Prozent zu niedrig gewesen gegenüber 50 Prozent bei den Lehrgängen. In diese Lehrgänge kommen nur Jugendliche mit einem Pflichtschulabschluss, (während in Stiftungen Jugendliche mit Defiziten und ohne Schulabschluss untergebracht wurden). Die Wirtschaftskammer, welcher die Arbeitnehmer ja ein grundsätzliches Anliegen waren, sind und immer sein werden, begrüßt das Auslaufen der Arbeitsstiftungen und sieht darin eine Chance für die Vorlehre. Behauptet die Opposition nicht, dass Vorlehre eine Verschlechterung für Jugendliche bedeutet? Für SP-Sozialsprecherin Heidrun Silhavy ist die Abschaffung der Stiftungen jedenfalls ein „Anschlag auf sozial Schwache“.

Doch als Ersatz für die Stiftungen wurden so genannte „Produktionsschulen“ geschaffen. Das sind praxisorientierte Ausbildungsstätten, welche die Jugendlichen nach zwei Jahren als qualifizierte Helfer, also ein Mittelding zwischen Fachkraft und Hilfsarbeiter, entlassen. Vielleicht als so etwas wie einen Werkzeugschleiftechniker-Assistent? Das wäre dann jemand, der dem Messerschleifer die Messer reicht. Oder kann er ihm auch das Wasser reichen? Egal, dafür wird dem Assistenten die Ausbildungszeit auf die Lehre nicht angerechnet. Man kann halt nicht alles haben.

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