Vormoderne Zwangsgemeinschafttun & lassen

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Integration sagt man. Nicht nur in der Diskussion um Migration, auch bei Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen ist es ein geflügeltes Wort geworden. Allerdings kommen langsam Zweifel an der herrschenden Verwendung des Integrationsbegriffs auf. Denn die Vorstellung einer umfassenden Integration von Menschen in ein Gesellschaftssystem ist eine vormoderne Idee. Hier wurde die Zugehörigkeit von Personen zu einer bestimmten Gesellschaftsform zu einer Familie, einem Dorf, zum Adel, Klerus oder Bauernstand bereits durch die Geburt festgelegt und bestimmte die Lebenschancen der Menschen nachhaltig: Einkommen und Vermögen, Bildung, soziale Kontakte und Heiratsmöglichkeiten.

Integration ist hier die Einbeziehung einzelner Teile in ein übergeordnetes Ganzes. Von gleichen Rechten, gleichen und gerechten Chancen ist da nicht die Rede. Integration wird dann rein kulturell verstanden: Schnitzel essen, Dialekt sprechen, Schifahren, Blasmusik hören, etc…

Mit den modernen Demokratien veränderte sich der Anspruch an den Integrationsmodus grundlegend. Eindeutig geregelte soziale Zuordnungen wie Adel, Arbeiter oder Bauernstand sollen nicht die Zukunftschancen der BürgerInnen bestimmen, sondern individualisierte Teilhabemuster werden bedeutend. Die moderne Gesellschaft ist vielmehr darauf angewiesen, dass Personen nicht integriert, sondern teil- und zeitweise in die verschiedenen Gesellschaftssysteme einbezogen werden: Als Erwerbstätige und Konsumenten ins Wirtschaftssystem, als Lernende ins Bildungssystem, als Kranke ins Gesundheitssystem, als Wähler ins Politiksystem, als öffentliche Person ins Mediensystem, als Bürger ins Rechtssystem, als Gläubiger in religiöse Systeme, usw. Um die Moralisierung und Kulturalisierung des Integrationsbegriffs zu vermeiden, spricht die Systemtheorie hier von Inklusion. Also drinnen sein: die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in die einzelnen Funktionssysteme wie Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Politik. Dabei sein heißt teilhaben an den Leistungen und Chancen der einzelnen Funktionssysteme unserer Gesellschaft.

Wer nicht inkludiert ist, ist exkludiert, also draußen. Statt als Ausgrenzung aus der Gesellschaft muss Exklusion als Ausgrenzung in der Gesellschaft verstanden werden. Erst dann werden die Ausgeschlossenen wieder in den Verhältnissen sichtbar, die sie ausschließen und mit denen sie sich auseinandersetzen. Die Ausgegrenzten sind Teil der Gesellschaft, auch wenn sie nicht an ihren Möglichkeiten teilhaben. (Kronauer).

Dass Inklusion gut und Exklusion schlecht sei, ist keine so ausgemachte Sache. Besonders an den Nahtstellen Arbeitsmarkt und Sozialhilfe, Erwerbstätigkeit und schwer Vermittelbare wird das Mischungsverhältnis zwischen staatlicher Hilfe und Zwangsmaßnahme brisant. Für die Betroffenen kann Ausschluss hinsichtlich staatlicher Verhaltensregulierung positive Seiten gewinnen, oder eine derartige Inklusion als massiv freiheitsbegrenzend abgelehnt werden.

Also Vorsicht bei Integration, oft ist damit Zwangsgemeinschaft gemeint. Da passt der Begriff Inklusion besser. Vorsicht bei Inklusion. Oft ist damit Zwangseinschluß gemeint, da passt wieder Teilhabe besser. Das ist nicht i-Tüpfel Reiterei: Um die Welt zu begreifen, braucht man die richtigen Begriffe.