Vorsicht, Delogierungswelle!tun & lassen

Immo Aktuell

Am Wiener Mietenhimmel braut sich was zusammen. Denn seit April können Vermieter_innen coronabedingte Mietrückstände wieder einklagen und Zwangsräumungen veranlassen.

TEXT: Christian Bunke
ILLUSTRATION: Much

Vinzent ist Augustin-Verkäufer. Seit 2005 lebt er in einer Altbauwohnung in Hietzing. Für die zahlt er 500 Euro im Monat – trotz schimmeliger Wände und schlecht funktionierender Fenster. Das hat er sich nicht unbedingt ausgesucht. «Das Haus ist die Miete nicht wert», sagt er, «aber als Nigerianer findest du nicht so leicht eine Wohnung. Viele Menschen reden schlecht über uns Nigerianer.» Da müsse man sehen, wo man bleibt, und manchmal nehmen, was man kriegt.

Ende der Stundung.

Im vergangenen Jahr machte sich Vinzent auf, seine nigerianische Heimat zu besuchen. Geplant war ein Aufenthalt für einige Wochen. Dann kam die Coronapandemie, und es wurden fünf Monate. Die von der österreichischen Regierung bereitgestellten Notfallrückflüge konnte er nicht mehr erwischen. Die Rückreise war nun versperrt. Vinzent konnte nur abwarten. Es war ein banges Warten, bis die Rückreise endlich klappte. Denn Vinzent wusste, dass sich in der Zwischenzeit im Hietzinger Postkastl die Rechnungen stapelten. Von der Sozialversicherung, aber auch vom Vermieter. Rechnungen, die Vinzent vom Ausland aus nicht bezahlen konnte. Vom Vermieter kam schließlich eine Räumungsklage. Vor Gericht konnte Vinzent eine Aufschiebung erreichen. Bis September hat er nun Zeit, seine Mietschulden zu begleichen.
So wie Vinzent könnte es in den kommenden Monaten einer wachsenden Zahl von Mieter_innen auf dem Wiener Wohnungsmarkt ergehen. Denn seit Ende März ist eine gesetzliche Stundungsregelung ausgelaufen, mit welcher Mieter_innen einen Aufschub für nicht bezahlte Mieten aus den Monaten April bis Juni 2020 erhalten konnten. Das war eine von der Regierung beschlossene Notfallmaßnahme, mit der es nun vorbei ist. Sie wäre ursprünglich schon im vergangenen Dezember ausgelaufen. Durch Druck von Sozialorganisationen und der Arbeiterkammer konnte noch einmal eine Verlängerung herausgeschlagen werden. Doch das Grundproblem bleibt bestehen.

Arme Hascherl.

Mietstundungen sind kein Mietenstopp. Die Arbeiterkammer rechnet für das Jahr 2021 mit 48.000 Kündigungs- und Räumungsklagen in Österreich. 2020 waren es «nur» 23.240 Räumungsklagen. Das liegt auch daran, dass die Bezirksgerichte coronabedingt nur eingeschränkt arbeiten konnten. Seit April mahlen die Mühlen der Justiz aber zunehmend wieder im Vollbetrieb – auch wenn ein hoher Stapel an liegengebliebenen Sachen abgearbeitet werden muss.
Die Anfänge einer kommenden Delogierungswelle seien aber bereits spürbar, meint Bernhard Wernitznig von der Wohnrechtsberatung der Mieter_inneninitiative in Wien. «Die Vermieter machen wieder Druck und versuchen Leute rauszukriegen. Stadtteile, in denen die neue U-Bahn gebaut wird, scheinen besonders betroffen. Es betrifft oft Mieter_innen von Häusern, in denen nur noch ein bis zwei Leute wohnen und das vielleicht aufgewertet werden soll.»
Robert Blum, Leiter der Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) bei der Volkshilfe Wien, erzählt aus der Beratungspraxis: «Es
kommen Leute mit hohen Mietrückständen, die wir so noch nicht kannten. Und es kommen Leute aus der Mittelschicht. Auch das kannten wir so noch nicht. Insgesamt gibt es eine massive Zunahme des Beratungsbedarfs. Viele Klient_innen verspüren starken psychischen Druck. Es gibt einen Anstieg von suizidalen Gedanken.» Dabei stehe Österreich erst am Anfang des Problems. «Jetzt klagen die Vermieter_innen bei den Gerichten auf Zahlung der Mietrückstände. Ab Juni kommenden Jahres kommen dann die Räumungsklagen, es sei denn, es wird vorher politisch gegengesteuert.» Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass es am privaten Wohnungsmarkt in Österreich massive Konzentrationsprozesse gibt. So sieht das Hannah Luschnig, die für das Wahlbündnis LINKS im Brigittenauer Bezirksparlament sitzt: «Ein Beispiel ist die privatisierte Bundeswohngesellschaft BUWOG, die inzwischen dem größten deutschen Wohnbaukonzern Vonovia gehört. Und diese Vonovia will jetzt mit dem zweitgrößten deutschen Wohnkonzern Deutsche Wohnen fusionieren.» Weil Vermieter_innen in den allermeisten Fäl­len also keine armen Hascherln sind, will Luschnig den Spieß nun umdrehen: «Wir wollen fragen, wo eigentlich der gesellschaftliche Beitrag der Vermieter_innen und der Hauseigentümer_innen ist. Deshalb haben wir in der Brigittenau bereits gefordert, alle während der gesetzlichen Covid-19-Einschränkungen entstandenen Miet- und Hypothekenrückstände zu erlassen. Dafür gab es aber leider keine Mehrheit.»

Mehr als nur gut beraten.

Was man im parlamentarischen Betrieb nicht erreichen kann, muss man eben selber machen. Inspiriert von Mieter_innenbewegungen in Deutschland und Mieter_innengewerkschaften in England, klopfte im Mai die politische Organisation Junge Linke an tausende Wohnungstüren in Ottakring, Favoriten und Brigittenau. «Gerade im Altbau werden oft zu hohe Mieten gezahlt. Wir wollten Mieter_innen organisieren, um sich dagegen zu wehren», sagt Serafin Fellinger, der an der Kampagne mitgewirkt hat. «Unser Ziel ist der Aufbau einer politischen Organisierung von Mieter_innen. Es braucht dafür mehr als nur eine Rechtsberatung.» Auf dass aus Miethaien Fischstäbchen werden!