Antonia Schubert hat vor 10 Monaten die Notschlafstelle VinziBett gegründet
steht auf dem Türschild beim Hauseingang. Meist werden daraus mehrere. Wer hier herkommt, soll sich wohl fühlen. Das ist die Philosophie von Antonia Schubert. Die Leiterin von VinziBett geht dabei unkonventionelle Wege in der Arbeit mit Obdachlosen.
Von der Ferne betrachtet, deutet nichts darauf hin, dass das stolze Gründerzeithaus eigentlich schon abgerissen hätte werden sollen. Die Lage in unmittelbarer Nachbarschaft der amerikanischen Botschaft, einiger Universitätsinstitute und eines Swingerclubs würde durchaus auch Anwälten, Ärzten und Professoren gefallen. Das weckt Begehrlichkeiten und bringt Spekulanten auf Ideen. Doch wer sich dem Haus nähert, merkt bald, dass es seine besten Jahre lange hinter sich hat und für oben genannte Interessenten ungeeignet ist. Zum Glück: Denn auch der Franz-Josefs Bahnhof ist nicht weit, und so ergibt sich Wohnbedarf für eine andere Klientel, die ebenfalls Karriere gemacht hat: als Obdachlose.
Vor knapp einem Jahr gründete die Obfrau der Vinzenzgemeinschaft St. Martin die Notschlafstelle VinziBett. Mit ein paar Möbeln der Vormieter, mit Sach- und Geldspenden und Improvisation wurde für bescheidene Gemütlichkeit gesorgt. Nach der Eröffnung ging Schubert zum nahe gelegenen Franz-Josefs-Bahnhof, um den dort weilenden Obdachlosen einen Schlafplatz anzubieten. 2 Wochen später war das neue Quartier restlos ausgebucht. Heute stehen 52 Betten zur Verfügung, und es vergeht fast kein Tag, an dem nicht etliche Gäste abgewiesen werden müssen, weil kein Bett frei ist. Schubert bezeichnet die Bewohner ganz bewusst als Gäste. Damit soll einerseits bekundet werden, dass sie von ihr als Gastgeberin willkommen sind, dass sie allerdings auch wie in einem Hotel irgendwann wieder abreisen sollen. Kosten für die Nächtigung inklusive einer warmen Mahlzeit: 1 Euro. Die meisten, die Wärme für eine Nacht suchen, hängen noch ein paar Nächte dran. Etwa 7080 % der Betten sind von Stammgästen belegt, die zum Teil seit Anfang an hier ihre Nachtruhe finden. Tagsüber müssen sie allerdings raus, denn für einen Tagesbetrieb fehlt es an Geld und ehrenamtlichen Mitarbeitern.
Luxus Wäsche waschen
Neben Bett und Essen stehen den Gästen sanitäre Einrichtungen und 2 Waschmaschinen zur Verfügung. Für 50 Cent kann man hier seine Garderobe wieder in Ordnung bringen, ein Luxus für die meisten. Zu jedem Bett gibt es ein absperrbares Kästchen, in dem die Gäste ihr Hab und Gut aufbewahren können. Ein Kofferradio da, ein kleiner Fernseher dort, manchmal aber auch nur ein Rapid-Trikot oder die Stofftier-Sammlung. Wer hier wohnt, hat keinen Schatz angespart.
Kritik gab es zu Beginn, als es hieß, nur ÖsterreicherInnen würden aufgenommen werden. Dies entstand aus dem Gesamtkonzept aller Vinzi-Projekte, die eigene Angebote für MigrantInnen beinhaltet. VinziBett sollte daher speziell heimischen Bedürftigen zugute kommen. Entschieden verwehrt sich die überzeugte Anti-Rassistin Schubert gegen Diskriminierungsvorwürfe. In Wahrheit wurden stets Obdachlose aller Nationalitäten aufgenommen, und eigentlich ging es um eine praxisnahe Lösung für eine komplexe Problematik: Denn auch unter den Ärmsten sind Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verbreitet. Diejenigen, die am wenigsten haben, sorgen sich darum, dass andere besser gestellt werden könnten. Dies führt zu Konflikten, die sich oft an der Trennlinie ethnische Herkunft entzünden.
Ein Phänomen, das in der ganzen Gesellschaft auftritt, spitzt sich hier zu. Dem Dilemma, einerseits Bedürftige ungeachtet ihrer Herkunft zu versorgen und andererseits das Konfliktpotenzial für die Hausbewohner niedrig zu halten, wird daher mit Fingerspitzengefühl begegnet. Es soll keine ethnische Gruppe überproportional vertreten sein. Und im Sinne der Stimmung im Haus wird darauf geachtet, dass sich die Bewohner sprachlich verständigen können. Wenn ein Gast mit fremdenfeindlichen Äußerungen zu weit geht, kann es auch passieren, dass er das Haus verlassen muss.
Liebe durch Tun
Frau Schubert ist keine Politikerin und trotzdem oder vielleicht deswegen eine Frau der Tat. Das verbindet sie mit dem Hl. Vinzenz von Paul und dessen Leitsatz: Liebe sei Tat. Sein Einsatz für Bettler, Kranke, Verwirrte, Häftlinge und Flüchtlinge dient der weltweit tätigen Vinzenzgemeinschaft als Vorbild. Katholiken gilt er als Schutzpatron für Gefangene und Waisen. Schubert selbst ist aus der Kirche ausgetreten, denn: Ich hab Gott in mir, der ist nicht da oben oder in der Kirche. Wir sind alle göttliche Wesen. Schuld und Sünde passen nicht in ihr Denken. Trotzdem: Als Vinzi-Pater Wolfgang Pucher ihr seine Pläne unterbreitete, meinte er: Sie schickt uns der Himmel. Aus dem Munde eines Geistlichen klingt das nach Expertise.
Geschickt hat sich Antonia Schubert freilich selbst: Die heute 60-Jährige brach ihr Psychologiestudium ab, arbeitete als Finanzberaterin und machte die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin. Dabei absolvierte sie Praktika in der Psychiatrie und sammelte Erfahrungen, die für ihr Engagement im VinziBett ebenso hilfreich waren wie ihre Arbeit in der Wirtschaft. Ob Bankdirektor oder Bankbewohner, sie urteilt nicht über den Lebensweg eines Menschen: Das Einzige, was Menschen wirklich zu sich selbst bringt und verändert, ist, dass man sie so annimmt, wie sie sind, und dass man nichts von ihnen will.
Schubert und ihr ehrenamtliches Team verfolgen eine im Sozialbereich eher unübliche Linie: Nur wenige Spielregeln sind für die BewohnerInnen verbindlich: Keine Gewalt, kein Konsum von harten Rauschmitteln (Schnaps, Heroin etc.) und nicht im Bett rauchen! Ihr geht es um ein respektvolles Miteinander mit sinnvollen Vereinbarungen, die auch weitgehend eingehalten werden. Für viele Konflikte gibt es daher keinen Hausordnungsparagraphen. Stattdessen arrangieren sich die Bewohner das Zusammenleben selbst. Wenn es trotzdem Brösln gibt, unterstützt das Team die Streitparteien. Man kann alles tun, aber so, dass man Rücksicht auf die anderen nimmt, ist Schuberts Devise. Sie selbst bringt ihren Gästen viel Wärme und Respekt entgegen und ist damit Vorbild für das Verhalten der Bewohner untereinander: Man braucht nur sein Herz öffnen, dann kriegt man einen breiteren Horizont.
Freiheit und Mut
Die Wertschätzung für ihre Klienten rührt daher, dass Antonia Schubert nicht nur deren Schwächen, sondern auch deren Stärken sieht: Es ist bewundernswert, was viele Obdachlose tun. Diese Freiheit, sich einfach aus der Angepasstheit auszuklinken, wo wir uns ununterbrochen verkrampfen, damit wir in diese Gesellschaft passen. Das imponiert mir. So kommt es etwa vor, dass jemand nach ein paar Nächten auf einer weichen Matratze Erholung braucht: Eine Nacht auf einer Parkbank unter freiem Himmel ist für manche ein unverzichtbares Lebensgefühl. Ich bewundere ihren Mut, weil sie nichts mehr verlieren können. Wir sind so abhängig von Materiellem.
Die Philosophie, ihre Gäste so zu nehmen, wie sie sind, trägt Früchte: Durch das Angenommensein bei uns fühlen sie sich anerkannt und gebraucht. Manche Bettgeher kümmern sich um die Reinigung oder erledigen Bastelarbeiten, andere malen oder musizieren. Einige melden sich zu Kursen an oder nehmen einen Job an und finden in ein geregeltes Leben. Die Gäste fühlen sich wohl und entlastet. Bei euch kann man einmal richtig loslassen, da wird man nicht unter Druck gesetzt. Ich komme heim, zitiert sie einen Gast. Das waren genau die Worte, wegen denen ich das gemacht habe. Das war wie ein Geschenk.
Info:
VinziBett braucht ehrenamtliche Mitarbeiter und Spenden:
Vinzigemeinschaft St. Martin: Kto.-Nr.: 28546499300, BLZ: 20111
Tel: 0664/38 21 466
Radiohinweis: Radio Augustin sendet am Montag, dem 10. September, zwischen 15 und 16 Uhr auf Orange 94,0 einen Beitrag über das VinziBett.