Wäsche und Modevorstadt

Gschäftl-Report (3. Folge)

Der Familienbetrieb Libert ist einer der letzten Textileinzelhändler Meidlings. Das Ambiente wird dabei nicht nur von den Kund_innen geschätzt – manche kommen seit 50 Jahren –, sondern auch von der Belegschaft. Text: Arthur Fürnhammer, Fotos: Mario Lang.

Es gibt wahrlich schlechtere Beschreibungen für ein Arbeitsklima. «Hier ist es wie in einer Familie», meint die Verkäuferin Sylvia Franz und spielt damit auf die enge Bindung der Mitarbeiterinnen untereinander und auf die zu ihrer Chefin an. Die berufliche Karriere von Frau Franz ist nach heutigen Maßstäben unspektakulär und außergewöhnlich zugleich: Sie hat ihr gesamtes Arbeitsleben bei ein und demselben Arbeitgeber verbracht. Als Lehrmädchen hat Franz im Alter von 15 Jahren beim Textilfachgeschäft Libert in der Schönbrunner Straße 259 angefangen. Nach zehn Jahren legte sie eine Babypause ein, und als sie weitere zehn Jahre später wieder zurückkam, war es «wie nach einem längeren Urlaub», erinnert sie sich. «Alles war an seinem Platz, herrlich.» Auch die letzten 25 Jahre hat sich nicht wirklich viel verändert. Bis auf die Chefin. Vor 22 Jahren übernahm Marlies Aigner den Familienbetrieb von ihrer Mutter und führt diesen nun in dritter Generation. Sylvia Franz arbeitet in einem der letzten Modegeschäfte rund um die Meidlinger Hauptstraße. Zwei andere Textileinzelhändler sperrten vor wenigen Jahren zu, weil die Besitzer in Pension gingen und keine Nachfolger_innen fanden.

Wenn jemand sein gesamtes Arbeitsleben an ein und demselben Arbeitsplatz verbracht hat, kann man wohl von einem idealtypischen Arbeitsverhältnis sprechen. Und man sollte meinen, dass Betriebe, die das dafür nötige Arbeitsumfeld ermöglichen, honoriert werden und florieren. Doch die Zufriedenheit einer Arbeitnehmerin ist in der Regel keine Kategorie, die vom Markt belohnt wird. Was hingegen vom Markt belohnt wird: qualitätslose Billigware aus Übersee, unqualifizierte Mitarbeiter_innen und Produktion großer Stückzahlen zwecks Maximierung des Profits. Wer da nicht mitgehen will und stattdessen auf Qualitätsware und erfahrene Mitarbeiter_innen setzt, muss sich eine Nische suchen. Und eine Nische hat auch die Firma Libert gefunden, und zwar in der Ausrichtung auf ein älteres Kundensegment. Der Altersschnitt liegt zwischen 60 und 70 Jahren. Der Großteil davon sind Frauen. Männliche Kunden sind rar. Nicht selten kauft die Dame für den Mann mit ein.

Nichts für Außenstehende.

Gegründet wurde das Geschäft im Jahr 1933 von Otto Libert, dem Großvater Marlies Aigners. Bis auf eine Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs ist das Geschäft ununterbrochen in Familienbesitz. Marlies Aigner hat BWL studiert und schon während des Studiums im Betrieb und auch bei einem Steuerberater gearbeitet. Seit sie vor 22 Jahren als Chefin eingestiegen ist, erledigt sie sowohl Buchhaltung als auch Steueragenden selbst. Dass dadurch Kosten wegfallen, kommt ihr nicht ungelegen. Aigner: «Man kann in so einem Geschäft nicht sehr viel Geld verdienen, ich sag’s ganz ehrlich.» Das sei auch der Grund, warum die zwei anderen Geschäfte auf der Meidlinger Hauptstraße keine Nachfolger gefunden hätten. Ein Außenstehender tue sich das nicht mehr an.

Verkauft hat ihr Großvater einst ausschließlich Wäsche. Heute umfasst das Sortiment offiziell «Wäsche und Mode». Irgendwann kam also auch die Oberbekleidung dazu. Gemeinhin wird mit Wäsche ja nur das bezeichnet, was zwischen Haut und Oberbekleidung getragen wird – obwohl sich das Wort «Wäsche» eindeutig vom Verb «waschen» ableitet und auch die Oberbekleidung in der Regel gewaschen wird, wenn auch von manchen vielleicht weniger oft. Auf Nachfrage erklärt Frau Aigner, dass Wäsche in Tag- und Nachtwäsche unterteilt wird. Mit Tagwäsche ist alles gemeint, was untertags an Unterwäsche getragen wird, wie Unterhosen, BHs, Slips usw. Zur Nachtwäsche wiederum gehören Pyjamas, Nachthemden und Ähnliches. Was die Oberbekleidung anbelangt, so ist das Sortiment bei Otto Libert auf Alltagskleidung ausgerichtet. Es gibt daher kaum «Anlassmode», wie Abendroben oder Hochzeitskleider, und keine Funktionskleidung wie Sportmode.

«Libert Wäsche», so der ursprüngliche Name des Geschäfts, liegt unweit der Meidlinger Hauptstraße im Gebäude des Magistratischen Bezirksamtes. Wie die meisten Bezirksämter Wiens verfügt auch jenes von Meidling über eine repräsentative Gründerzeitfassade. Als besonders stilvoll fällt dabei die in Originalsubstanz erhaltene dunkelgrüne Holzvertäfelung ins Auge, mit der die Geschäftslokale beiderseits des Eingangs, und damit auch jenes von Libert, eingefasst sind.

Konservative Öffnungszeiten.

Das Interieur des aus einem einzigen großen Raum bestehenden Geschäftslokals könnte man als unmodern bezeichnen, was aber kein Nachteil ist, da viele moderne Geschäftslokale heute gesichtslos sind. Das Geschäftslokal der Firma Libert ist aber alles andere als gesichtslos. Natürlich nagt der Zahn der Zeit hie und da am Mobiliar. Dafür fühlt man sich ein wenig in die sechziger Jahre zurückversetzt. Etwa beim Betrachten der im Männerbereich vorhandenen, teils verglasten Schaukästen mit den herausziehbaren Ladenelementen, in denen zum Beispiel Socken oder Krawatten aufbewahrt werden.

Auch bei den Öffnungszeiten ist man konservativ, und zwar ganz bewusst. Geöffnet ist das Geschäft von 8.30 bis 18 Uhr und samstags von 9 bis 13 Uhr. Am Abend und auch am Samstagnachmittag nicht länger geöffnet zu haben, war eine bewusste Entscheidung der Chefin zwischen etwas mehr Umsatz und deutlich weniger Lebensqualität. Aigner hätte es nicht übers Herz gebracht, gleich zwei Mitarbeiterinnen am Nachmittag arbeiten zu lassen. Nachdem sie sich daher gemeinsam mit einer Mitarbeiterin jeden Samstag selbst ins Geschäft gestellt hat, empfand sie das bald als zu starke Einschränkung ihrer Freizeit. Weshalb die Tür an Samstagnachmittagen irgendwann zublieb.

Bewusst keinen Webshop.

Ein anderer Trend, der bewusst ignoriert wird, ist der Online-Handel. Zwar gibt es einen Internetauftritt, entgegen allen Ermutigungen der Wirtschaftskammer, um doch «auf den Zug aufzuspringen» und «mit der Zeit zu gehen», aber keinen Webshop. Aigner weiß, dass bei manchen von ihren älteren Stammkunden das Interesse am Online-Einkauf gestiegen ist. Der Großteil aber würde auf die persönliche Beratung nicht verzichten wollen. Anderen ist es schlichtweg zu mühsam, bei Nichtgefallen die Retourware zur Post zu bringen. Das Hauptargument bleibt die persönliche Beratung. Da es sich um langjährige Mitarbeiterinnen handelt, wissen diese bestens über Geschmack, Vorlieben und Größen ihrer Stammkund_innen Bescheid. Viele Kund_innen, meint Aigner, seien außerdem einsam und schätzten auch aus diesem Grund den persönlichen Kundenkontakt. Aigners Mitarbeiterinnen wüssten daher nicht nur über die Modewünsche der Kundschaft bestens Bescheid, sondern auch über deren Krankengeschichten.

Die Krankengeschichten werden auch deshalb erzählt, weil man als Stammkunde darauf vertrauen kann, dass das Verkaufspersonal auch beim nächsten Einkauf noch das gleiche ist und so ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann. Nicht ohne Stolz weist Aigner darauf hin, dass in ihrem Betrieb niemand aus einem anderen Grund aufgehört hat, als in Pension zu gehen. Genau das könnte auch Frau Franz nächstes Jahr tun. Sie wird aber vielleicht noch ein, zwei Jahre anhängen, weil ihr die Arbeit Spaß macht.

Erst kürzlich hat eine neue Mitarbeiterin angefangen, weil eine andere in Pension gegangen ist. Zum ersten Mal kontaktierte Aigner das AMS und begab sich auf die Suche nach qualifiziertem Personal. Der Auswahlprozess gestaltete sich schwierig. Von den drei eingeladenen Bewerberinnen erschien die Erste gleich gar nicht. Die Zweite kam im Jogginganzug und erwies sich auch sonst als wenig kompetent. Die Dritte kam zwar aus der Schuhbranche, hatte damit aber immerhin Verkaufserfahrung im Modebereich. Sie ergänzt das Team seitdem wunderbar.

Noch ein Wort zur Kundentreue: Laut Auskunft von Frau Franz hat Libert nicht nur Stammkund_innen außerhalb der Bezirksgrenzen, sondern auch im Ausland. Eine Dame, die schon vor einiger Zeit in die Schweiz ausgewandert sei, komme bei einem Heimatbesuch immer noch zu Libert, um sich mit Wäsche und Mode einzudecken. Manche Bindungen halten eben ewig. Fast wie in einer Familie.

Translate »