Waffenrad und Rennmaschinevorstadt

Vergangenheit und Gegenwart der Puch-Räder

Früher waren Fahrräder der Marke Puch fast allgegenwärtig im Straßenverkehr. 30 Jahre nach dem Ende der Produktion in Graz las Jenny Legenstein die «Geschichte der Puch-Fahrräder».

Nur dichtes Schneetreiben konnte meine Mutter bewegen, ihren Weg in die Arbeit zu Fuß in Angriff zu nehmen, sonst bewältigte sie die rund einen Kilometer lange Strecke bei jedem Wetter auf ihrem weinroten Fahrrad, Marke Puch Jungmeister. Über 30 Jahre war das robuste Gefährt fast täglich im Einsatz. Einkäufe, Verwandten- und Bekanntenbesuche und kleine Ausflüge wurden damit bewältigt, und ein paar Jahre wurde auch ich im Kindersitz damit herumkutschiert, bis ich mein eigenes Fahrrad bekam und selber in die Pedale treten durfte. Außer hin und wieder einen «Patschen» oder Ausfall der Lichtanlage gab es keine Pannen. Erst als gröbere Getriebeschäden auftraten, mottete Mutter ihr Jungmeister-Rad ein. Eingemottet oder besser eingestellt wurde die Puch-Fahrradproduktion vor 30 Jahren, als die Steyr-Daimler-Puch AG ihren Zweiradsektor an Piaggo verkaufte. Da es Piaggo bei der Übernahme nur um die Ausschaltung eines Konkurrenten ging, beendete die italienische Firma die Moped-, Motorrad- und Fahrradherstellung der Marke Puch umgehend. Inzwischen sind sowohl Steyr-Daimler-Puch als auch Piaggo als eigenständige Firmen passé, Puch-Fahrräder sind aber noch immer im Einsatz.

Hoch- und Niederräder.

Begonnen hat die Geschichte des Grazer Fahrradherstellers 1889, als Johann Puch eine Fahrradfabrik gründete und vermutlich ab 1890 mit der Produktion von Hoch- und den heute üblichen Niederrädern begann. Puchs Räder zeichneten sich durch besonders hohe Qualität des Materials und der Verarbeitung sowie durch Eleganz aus. Käufer lobten, dass selbst bei hoher Beanspruchung keine Reparaturen nötig waren. «Puch hat von Anfang an die besten Maschinen eingekauft und den teuersten Stahl verwendet und sich überlegt, wie er das Radl noch prunkvoller verzieren kann», erläutert Walter Ulreich, der gemeinsam mit dem Journalisten und Volkskundler Wolfgang Wehap die sehr umfang- und detailreiche «Geschichte der Puch-Fahrräder» schrieb. Der 1862 als Janez Puh bei Ptuj in Slowenien geborene Johann Puch hatte also einen hohen Qualitätsanspruch, dazu kam wohl auch ein Gespür für Trends und das Erkennen des Potenzials technischer Neuerungen. Nicht immer konnte sich Puch sofort mit technischen Innovationen anfreunden, so konnte er etwa dem Freilauf nichts abgewinnen, sah andererseits die Zukunftsträchtigkeit von Motorrad und Automobil und erweiterte sein Unternehmen um diese Sparten. Entscheidend für seinen Erfolg war unter anderem jedoch, die richtigen Leute zur Mitarbeit zu gewinnen und insbesondere potente Finanziers zu finden.

Als gelernter Schlosser tüftelte Puch oft persönlich an der Verbesserung technischer Komponenten und war von morgens bis spätnachts in seinem Werk anwesend und tätig – heute würde er wohl als Workaholic bezeichnet. Puch muss sich schließlich frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen von der aktiven Tätigkeit zurückziehen und stirbt mit 52 Jahren nur wenige Tage vor Beginn des 1. Weltkriegs an einem Schlaganfall. Die Erinnerung an seinen Gründer wurde im Unternehmen immer hochgehalten. Die Mitarbeiter_innen des Werks nannten sich stolz «Puchianer», und 2003, als der Name Puch aus der Firmierung verschwunden war, entstand auf dem Werksgelände in Thondorf das Puch- Museum.

Kein Interesse der Konzernleitung.

Weltkriege, Wirtschaftskrisen, Fusionen (z. B. 1934 mit dem schärfsten Konkurrenten Steyr) konnte die Produktion der Puch-Räder überstehen. Seit dem 19. Jahrhundert bis in die 1980er-Jahre konnten Fahrer_innen auf Puch-Maschinen nationale und internationale Sporterfolge einheimsen. Warum die Fahrradherstellung der Grazer Tradionsfirma, gerade als der neue Radfahrboom anfing, zu Ende ging, hat vielfältige Gründe. Der schwerwiegendste war das vollkommene Desinteresse der Konzernleitung, die sich ausschließlich auf den Vierradsektor konzentrierte.

Wie gesagt, Puch-Räder sind ganz besonders in der Steiermark noch immer im Einsatz, weil sie entweder nie ausgemustert wurden oder alte Räder (seien es Waffenräder, edle Rennmaschinen oder coole Highriser) gerne wieder von Liebhaber_innen instand gesetzt werden. Inzwischen hat ein schwedischer Konzern Piaggo und damit die Puch-Markenrechte gekauft und fertigt neue Puch-Modelle. Zugegeben habe ich selbst nur ein einziges Puch-Rad besessen, das ich nach dem Breakdown ihres Jungmeister (s. o.) meiner Mutter abtrat. Auch Walter Ulreich, der historische Räder sammelt, gibt zu, trotz der intensiven Beschäftigung mit Puch bis vor kurzem keines dieser Marke sein Eigen genannt zu haben: «Vor etwa einem halben Jahr habe ich mir einen Rahmen gekauft, den ich jetzt aufbaue. Damit ich wenigstens ein Puch-Rad habe.»

 

Walter Ulreich befasst sich seit langem mit der Geschichte des Fahrrads und hat ein umfangreiches Forschungsarchiv zu diesem Thema angelegt. Nachdem er 1995 einen Band über das Steyr-Waffenrad veröffentlicht hatte, begann er mit der Arbeit an einem Buch über Puch-Fahrräder, um eine Lücke zu füllen, denn es gab bereits zahlreiche Publikationen zu Motorrädern, Mopeds und Autos der Marke Puch. Koautor Wolfgang Wehap ist gebürtiger Grazer, dessen Großvater bei Puch gearbeitet hatte.

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Walter Ulreich, Wolfgang Wehap:

Die Geschichte der Puch-Fahrräder

Weishaupt Verlag, 2016,

400 Seiten, 48 Euro