Was braucht der Mensch? Mit Meeting Basic Needs hat die Künstlerin Anna Paul ein vielschichtiges Langzeitprojekt entwickelt, das zur Kunst, zum Nachdenken und zusammenbringt.
Text: Ruth Weismann
Foto: Jana Madzigon
An einem Samstag im November 2020 fließt ein längliches Brot über eine Kartonkiste am Wiener Naschmarkt. Zumindest sieht es so aus. Auch runde Brotkringel liegen in den Kisten, und auf dem Verkaufstisch türmen sich handgeformte Butterstücke in einem Glaskasten. Wenn man Anna Paul, die beim Stand steht, fragt, was das ist, und in die Kiste zeigt, sagt sie: «Brot». Und das ist es. Aber es ist auch eine Skulptur, je nach Blickwinkel. Genauso die Butter. A Still Life of Bread and Butter heißt diese Arbeit, eine Kooperation: Anna Paul hat die Brote gemacht, Künstlerinnenkollegin Susanna Hofer die Butterskulpturen. Brot und Butter kann man auch kaufen. Und zwar zum Lebensmittelpreis. Willkommen bei Meeting Basic Needs, dem Marktstand und Kunstraum der etwas anderen Art.
Alltagsformen.
Anna Paul ist bildende Künstlerin, mit einem Background in Architektur. Seit 2020 ist sie auch gewerbliche Marktfierantin, wie das im Fachjargon heißt, und steht in unregelmäßigen Abständen an Samstagen mit ihrem Stand am Bauernmarkt des Naschmarkts. Mit Brot arbeitet sie schon länger: Aus übriggebliebenen Weckerln einer Bäckereikette bäckt sie «Bread Pieces», die in Ausstellungen an der Wand hängen. Im ersten Lockdown, als alle Kunstorte zu hatten, weil nur Geschäfte mit Waren zur Befriedigung von Grundbedürfnissen offen haben durften, stellte sich Paul die Frage, was denn ein Grundbedürfnis sei. Und ob Kunst, und damit «ein Nachdenken über die Welt», wie sie es formuliert, nicht auch dazugehöre.
Mit diesen Überlegungen war Meeting Basic Needs – Grundbedürfnisse befriedigen – geboren. «Das Projekt behauptet, dass Kunst ein Grundbedürfnis ist», so die Künstlerin. «Ich stelle mit dem Marktstand diese Fragen, in dem ich Lebensmittel, die jeder kennt, überforme. So wie Brot, aber auch andere Gegenstände, die es am Markt gibt, wie die Kistln.» Nicht nur die Waren, auch das Aussehen der Verkaufstische oder die Art der Materialien, die verwendet werden, bezieht sie in ihre Überlegungen mit ein – auf subtile Weise. Nichts ruft hier: «Herschauen, das ist Kunst!» Nicht mal Plakate oder Flyer gibt es.
Kunst-Markt. «Es geht einerseits um das Zugänglichmachen von Kunst, andererseits um die Hinterfragung der Wertlogiken hinter dem Kunstmarkt», sagt Paul. «Man verkauft ein vergängliches Kunstwerk, und die Leute müssen selbst entscheiden, ob das Kunst oder nicht Kunst ist. Esse ich es auf, gebe ich mich dem Genuss hin, oder hänge ich es an die Wand und schreibe ihm den Wert zu, den es am Kunstmarkt tatsächlich hat?» Denn für ein Brotkunstwerk aus den Händen Anna Pauls zahlen Käufer_innen am Marktstand ein paar Euro. In der Galerie kosten die – etwas größeren und komplexeren – «Bread Pieces» mehrere Hundert. Wofür die Käufer_innen sich auch entscheiden mögen, Anna Paul freut sich über beides.
Natürlich gebe es Leute, die einfach nur vorbeigehen. «Interessant ist, wenn Künstler_innen, die man kennt, einfach vorbeigehen – Ich nenne jetzt keine Namen», sagt Paul lachend. Aber grundsätzlich begegne man vielen Personen, mit denen oft gute Diskussionen entstünden. Es sei auch schon vorgekommen, dass mal jemand «A Schas, wos is des?» rief, aber selten. In den Gesprächen wird dann der Blick für Details geschärft. Für das, was man täglich macht, und für die Fragen, die darin stecken: «Was produzieren wir als Gesellschaft, was konsumieren wir als Gesellschaft, und was passiert mit diesen Dingen?»
Situationen für alle. Die Suche nach Antworten darauf ist es, was Anna Pauls künstlerische Herangehensweise ausmacht. Auch außerhalb des Marktstandes. Für ihr Projekt baden / on bathing culture etwa gestaltete sie ein aufblasbares Dampfbad, das an verschiedenen Orten, wie im Laaerbergbad und im Olof Palme Hof, Station machte und die jeweiligen Communitys adressierte. Ebenso wie Brot ist Baden ein Thema, wo jeder mitreden kann, «jeder sein eigenes Ritual dazu hat, jeder Erfahrungen und seine Meinung dazu hat. Mir ist wichtig, dass es für alle ist», sagt Paul. Im Mittelpunkt steht eher der Umgang mit den Objekten als das Objekt selbst: «Ich produziere kein Objekt oder Kunstwerk, sondern eine Situation.»
Am Marktstand hat sie nun schon viele unterschiedliche Situationen kreiert – und verkauft: Wasserskulpturen, die bei minus vier Grad über die Budel gingen und bei Sammler_innen im Gefrierfach harren oder als performativer Akt schon wieder dem Schmelzen übergeben wurden. Kürbisse, in Kooperation mit dem Künstler Giuseppe de Mattia, der für die «Internationale Kürbisausstellung» Keramikkürbisse unter echte mischte, und so den Detailblick der Kund_innen herausforderte. Von Nüssen lernen (in Zusammenarbeit mit dem Koch Lukas Mraz) konnte man am Markt, indem man versuchte, die Nüsse zu gewinnen. Zu kaufen gab es sie nicht. Dafür waren im Oktober 2021 spektakulärerweise Skelettteile zu erwerben. Das menschliche «Fondant Skelett» aus Zucker in Lebensgröße realisierte Paul nach einer Idee von Eat-Art-Künstler Daniel Spoerri. Die Knochen wurden einzeln nach Gewicht verkauft. «Für Daniel Spoerri stellt Zucker das konzentrierteste Lebensmittel dar», schreibt Anna Paul dazu.
Gemeinsame Sache.
Konzentriert im Sinne von Verdichtet ist auch das Material der jüngsten Meeting Basic Needs Edition von Dezember 2021: Ton. Zum ersten mal ein Material, das man nicht essen oder trinken kann. Kein Lebensmittel, aber dennoch «Basic Need» im erweiterten Sinn: Aus dem Ton brannten Anna Paul und Künstlerin Tabea Marschall Gefäße und Keramikplatten. Gebrauchsgegenstände, oder eben Kunstobjekte, ausgestellt in einem eigens gestalteten Marktdisplay. Für die Produktion wurde nichts gekauft, sondern alles in Kreislauf und Gemeinschaft erarbeitet: Auf dem Acker des Biohofs Wiener Provinz, der seinen Naschmarktstand nicht weit von Meeting Basic Needs betreibt, fanden Paul und Marschall den Ton sowie in der Umgebung Material zum Bauen des Brennofens.
Während des Brennvorgangs kamen immer wieder Leute zu Besuch. Sie halfen mit und saßen zusammen um die Feuerstelle, über der gekocht wurde. Warmth Gathers Us ist der poetisch-konsequente Titel des Projekts. Feuer hat Menschen seit jeher zusammengebracht, ihnen bei der Produktion von Gebrauchsgegeständen geholfen und den Erfinder_innengeist beflügelt. (Menschliche) Wärme: ein absolutes Grundbedürfnis. Nicht nur im Winter.
Ab März 2022 plant Anna Paul weitere Ausstellungen am Markstand.
Infos: www.annapaul.at