Wald und Weide als Commonstun & lassen

Die gemeinschaftlich genutzte Alm gilt im alpinen Raum als klassisches Beispiel traditioneller Commons. Lisa Rail erforscht diese und andere Formen landwirtschaftlicher Gemeinschaftsgüter.

INTERVIEW: JENNY LEGENSTEIN
FOTO: JANA MADZIGON

Der Begriff Gemeinschafts­güter/Commons hat im Deutschen wie im Englischen die Wurzel des Gemeinsamen, aber auch den Anklang des ­Gemeinen oder Gewöhnlichen. Schon vor der ­aktuellen krisenhaften Entwicklung erfuhren Wörter wie teilen, Shared Space, gemeinsam anschaffen und nutzen durch theoretische Konzepte etwa der Shared Economy oder Solidarwirtschaft Auftrieb. Die Kultur- und Sozial­anthropologin Lisa Rail befasst sich in ihrem Doktoratsstudium damit, wie ­Gemeinschaftsgüter, die in Österreich im ländlichen Raum existieren, vor ­allem Alm und Weideflächen, in die Administration und ins Rechtssystem eingebettet sind. Sie forscht im Salzkammergut und dem Tiroler Oberland, der Arbeitstitel ihrer Dissertation lautet «Nested Commons oder ­Eingefasste Gemeinschaftsgüter».

Was bedeutet «nested»?
Lisa Rail: Auf den Ausdruck bin ich in den Arbeiten von Elinor Ostrom (1933–2012) gekommen. Das ist eine wichtige Commons-Theoretikerin, die auch in meiner Forschung ein Ausgangspunkt sein wird. Mir hat das Wort «­nested» als Arbeitsbegriff gefallen, weil «nest» einerseits etwas Beschützendes hat, gleichzeitig ist das Nest auch das Eingefasste, also beschränkt und abweichend von der Idee freier, unabhängiger Commons. Die Frage ist, wie kann ich diese Mischung aus rechtlichem Schutz aber auch Restriktionen von Gemeinschaftsgütern in Österreich ­fassen. Mich interessiert auch, wie Leute über ­Eigentum reden. Weil z. B. gerade am Land ­viele Menschen Gemeinschaftsgüter praktizieren, aber diese utopischen linken Wörter nicht benutzen. Da geht es weniger um gerechte Verteilung oder Teilhabe oder Solidarität, sondern viel um Heimatverbundenheit und Identität und Gemeinschaft und um Eigentum.

Welche Formen von Gemeinschaftsgütern gibt es in Österreich?
Es gibt Gemeindegründe, die einer öffentlichen Körperschaft gehören, in der Regel einer politischen Gemeinde. Das sind tendenziell die offensten Formen von Gemeinschaftsgütern, weil es Regeln gibt wie: Alle Bewohner:innen des Dorfes, die Tiere auf lokalen Flächen den Winter über halten können, dürfen auf die Alm auftreiben. Die am meisten verbreitete Form sind aber Agrargemeinschaften, das sind ­definierte Gruppen von Familien, eigentlich Liegenschaften, Erbhöfen, die Anteile haben. Üblicherweise sind die Anteilsberechtigten die alteingesessenen Höfe. Was es noch gibt, sind Einforstungsalmen – das Land gehört entweder den Bundesforsten, der Kirche, oder privaten Besitzer:innen und einzelne Höfe haben Nutzungsrechte darauf, und wenn dann mehrere Höfe ein Nutzungsrecht auf derselben Alm haben, bilden die eine Gemeinschaft.
Was ich spannend finde, ist, dass ländliche Commons immer als Land gedacht werden. Erst durch teilnehmende Beobachtung bin ich draufgekommen, dass es ja auch ­andere sehr präsente kollektive Institutionen am Land gibt, z. B. die freiwillige Feuerwehr, bei der sehr viel gemeinschaftliche Organisation mit ­freiwilliger Arbeit geschieht und die oft über nicht ­wenig, auch gemeinschaftlich erwirtschaftetes Kapital verfügt.

Wie sind Gemeinschaftsgüter historisch entstanden?
Die Geschichtsschreibung und die Erzählungen der Commoners selbst fangen oft sehr vage an. Es beginnt mit germanischer Besiedelung und «die Germanen» kannten, wie man oft liest, kein Privateigentum an Land außer selbst urbar gemachtes Ackerland und alle durften von der übrigen Allmende nehmen – von Wald und Weide. Das finde ich recht schwer belegbar. Interessant ist, wie dieses Narrativ weitergeht mit dem Erstarken von Landesfürsten und Gutsherren, also von der feudalen Machtstruktur, die den Zugang zu Wald und Weide für die Bevölkerung zunehmend einschränken. Was sich historisch nachvollziehen lässt, ist, dass es im feudalen System immer wieder Streitigkeiten gibt, entweder von Gruppen einzelner Bauern oder von Gemeinden mit den Landesherren, was ihr Anspruch an Wald und Weide ist. Viele Gemeinschaftsformen, die es heute gibt, ergeben sich aus dieser Vorgeschichte und sind nach dem Ende der Grundherrschaft (1848) dann rechtlich formalisiert worden.

Wie ist das mit der Nutzung von Wald?
Um etwa die Holzrechte zu verstehen, muss man die Geschichte betrachten. Denn da gab es immer wieder Beschneidungen des Zugangs der Bevölkerung zu Waldprodukten durch herrschaftliche Interessen, die auch mit Jagdinter­essen verknüpft waren. Gerade im Salzkammergut kann man so gut erklären, warum es heute dort «nur» Waldnutzungsrechte gibt und keine Gemeindewälder. Im Salzkammergut gab es sogenannte Forstregale, d. h. dort hatte der Bergbau das Primat der Holznutzung und die Höfe durften nur so viel nehmen, wie dann übrig­blieb, oder so viel sie zur Bedarfsdeckung brauchten. Es wurde zunehmend berechnet und reguliert, wie viel Holz und Weide jeder Hof zur Bedarfsdeckung in Anspruch nehmen darf, d. h. Rechte wurden zwar verbrieft, aber sie wurden damit auch eingeschränkt. Die Nutzungsrechte, die es jetzt gibt, sind die direkte Fortsetzung davon. Im Salzkammergut gibt es kaum Eigenwald, also dass einzelne Höfe Wald besitzen. Der Wald gehört fast ausschließlich den Bundesforsten, aber es hat fast jeder Bauern­hof Nutzrechtbezüge, also Weiderecht für soundsoviel Tiere, soundsoviel Festmeter Brennholz, soundsoviel Bauholz, und, wenn durch einen Windschlag das Haus kaputtgeht, dass man dann auch akut über den jährlichen Bezug hinaus das Holz für das Dach bekommt. Was jetzt sehr wertvoll ist.

Wie funktioniert das dann mit dem gemeinschaftlichen Bewirtschaften und der Weitergabe?
Wie die Gemeinschaften sich organisieren und auch fortführen, hängt mit der Rechtsform zusammen. Bei Einforstungsalmen z. B. bildet die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten einer Alm offiziell keine Körperschaft. Organisatorisch ist es so, dass sich die Leute gemeinsam ausmachen, wann sie auftreiben, ob sie zäunen, ob sie schwenden, also die Sträucher und ähnliches wegschneiden, ob sie jemanden möchten, der:die als Hirt:in oben ist im Sommer oder ob sie im Radl selber schauen. Diese ganzen Entscheidungen müssen als Kollektiv getroffen werden.
Bei Agrargemeinschaften ist die Organisa­tion formeller, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist. Ab einer gewissen Größe müssen sie eine Obperson haben, eine:n Kassier:in, sie müssen Buchhaltung machen, Generalversammlungen, die Ämter wählen usw. Die Mitglieder haben Anteilsrechte, der Gesamtbesitz liegt bei der Agrargemeinschaft als Körperschaft, die auch die Geldwerte, das Kapital verwaltet. Wenn sie außer einer Alm Besitz hat, der sich stärker rentiert, z. B. eine Jagd, und die verpachtet wird, wird nach Anteilsrechten der Gewinn an die Mitglieder ausgeschüttet.
Die Vererbung der Anteilsrechte von Agrar­gemeinschaften als auch von Einforstungsrechten läuft über Liegenschaften. Wer den Hof besitzt, besitzt die Rechte. Die Rechte können aber in beiden Fällen auch übertragen werden auf andere Höfe. Bei Einforstungsrechten ist es etwas komplizierter, aber im Grunde kann man Nutzungs- und Anteilsrechte abkaufen.
Bei einer Gemeindealm gehört die Fläche der Gemeinde. Da ist es oft so, dass die:der Bürgermeister:in die Obperson ist, die die Vollversammlung einberuft, die wiederum die Personen für die Funktionen der Almbewirtschaftung bestellt.
Es kommt also drauf an, was die Rechtsform ist, aber was wiederkehrend ist, ist, dass ­Rechte an Höfen liegen und dass an die Grundstücke die Rechte an den Commons gekoppelt sind. Das erlaubt auch, dass man sich sowohl in Agrar­gemeinschaften als auch in andere ­gemeinschaftlich genutzte Landwirtschaftsflächen einpachten kann.

Was ist der Vorteil einer gemeinschaftlich genutzten landwirtschaftlichen Fläche?
Ich finde Modelle gut, die für Neueinstei­ger:innen zugänglich sind, die wirklich eine Art Allmenderecht sind. Meiner Meinung nach ist es von Vorteil, wenn Gemeinschaftsgüter grundsätzlich so ausgestaltet sind, dass es die Möglichkeit gibt, bedarfsorientierter zu sein, und Zugänglichkeit garantiert wird, sodass mehr Güter als etwas gelten, das als Grundrecht angesehen wird. Das kann Agrar- oder Weideland sein oder Wasser oder Energieträger wie Holz. Was noch gut ist an Gemeinschaftsgütern oder Commons, ist die Praxis der Selbstorganisation. Wenn Leute sich zusammensetzen müssen, um gemeinsam etwas zu bewirtschaften, kann das eine extrem politisch bildende oder emanzipatorische Erfahrung sein. Sie haben Erfahrung mit Konsensfindung. Die Mitglieder können sich selbst dazu entscheiden, rotierende Ämter zu haben, um einer Machtkonzentration entgegenzuwirken. Das sind lauter Sachen, die man nicht automatisch hat und die über den Gemeinschaftsalm-Kontext hinaus sehr wertvoll sind. Das ist dann auch, was z. B. Agrargemeinschaften gemeinsam haben können mit neueren, selbstdesignten, urbanen Commons, nämlich, dass es eine gewisse Praxis erfordert, die gelebte Solidarität sein kann.

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