Musikarbeiter unterwegs … von heute nach gestern nach morgen
Nach jahrzehntelanger Pause greift Reinhart Sellner, 1947 geboren, wieder öffentlich zur Gitarre und lässt seine Stimme und Lieder erklingen.
TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG
Das soll 2021 gewesen sein? Es ist nicht nur der Schnee, der gerade fällt, der das Volksstimmefest im September, im Wortsinn und zwischenmenschlich sonnengeflutet, unendlich weiter weg erscheinen lässt, als die drei Monate und ein bisschen was, die es kalendarisch tatsächlich her ist. Das ungeschissene Wien, mit der Sehnsucht nach der ungeschissenen Welt; zelebrierte Kultur und vielfältige Dialoge, Diskurse und Diskussionen, mit fortschreitender Stunde vielleicht mit Zungenschlag, aber … Musikarbeiter Krispel hatte das Vergnügen mit Sibylle Kefer und Gottfried Gfrerer am Sonntag auf der Sigi Maron Bühne spielen zu dürfen. Dass gerade unsere Version von Marons Geh no ned furt bei dieser Gelegenheit gelang, freute uns. Ein Lied übrigens, mit dem Maron samt musikalischer Kinks-Anleihe Suizid(-Versuch) thematisierte und damit 1985 zehn Wochen in den Charts war, höchste Position eine erstaunliche Fünf. Das waren andere Zeiten.
Es gibt kan Gott.
Auf der CD Walk On des Reinhart Sellner Duos, von Reinhart mit seinem musikalischen Partner Timo Brunnbauer im Winter 2020/21 in Linz eingespielt, wird Marons Es gibt kan Gott interpretiert. Mit John Lennons Working Class Hero, Take This Hammer, mit Pete Seeger assoziiertes Traditional, Brownie McGhees titelgebendem Walk On und Sellners eigenen Liedern in bester Protest-Song-Gesellschaft auf diesem unprätentiös kraftspendenden Tonträger. Wobei, wie das launige Instrumental Ottensheim Blues von Duo-Genossen Brunnbauer, sind das vor allem andere wunderbare Lieder, die etwas sagen, sagen wollen – und sagen können. Wahrscheinlich, sehr sicher sogar, haben Timo und Reinhart das Lied auch am 5. September auf der, genau, Sigi Maron Bühne gespielt. So oder so hat nicht nur mich der Auftritt in seiner Klarheit und Unmittelbarkeit sehr berührt. Reinhart Sellner rehabilitierte nachhaltig einen scheinbar aus der Zeit gefallenen Liedermacher-Begriff. Ihm fehlt dabei jegliches Protest-Pathos großer, leerer Widerstands-Gesten, stattdessen swingt und bluest die alltägliche Wichtigkeit des Bemühens, die Welt einen besseren place zu machen, in großer Selbstverständlichkeit, und die Erkenntnis, dass dies schon unsere eigene Zuständigkeit ist. «Der Blues ist ein Arbeiterlied», wird eine Wortspende im Zusammenhang mit Reinhart Sellner überschrieben, und das passt schon sehr, sehr gut. Der links sozialisierte Sellner, der als Lehrer und Gewerkschafter 1973 in die KPÖ eintrat, kontextualisierte seine Musik immer klar politisch. «Klassenkampf ist augsagt, Comrades», freestylt er jetzt launig in der extended und vielsprachigen Version von Walk On. Das, genau das, muss immer wieder gesungen und gesagt werden, während der ewiggestrige Kapitalismus uns in seiner stupiden Repeatschleife das Leben stiehlt.
Des waa scho wos.
Auf einem Tisch vor der Bühne gab es die CD, die mensch sich – gerne gegen Geld – mitnehmen konnte. Was nicht nur ich tat, mein liebster Kultur-Sputnik Friedl (Preisl) wusste von Sellners früherer Musik zu erzählen. Wie Reinhart selbst, als wir uns Monate nach dem Konzert treffen. In seinem ersten Musikerleben veröffentlichte er die Alben Halten Verboten – Lieder für Zeitgenossen (1979) und Dankeschön (1981), neben diversen Compilation-Beiträgen folgte 1988 noch Des waa scho wos, als Reinhart Sellner & The Quintet veröffentlicht. In der zweiten Reihe hinter den Großen (Ambros, Danzer, Heller …) samt Berührungspunkten zu denselben im Engagement der Künstler für den Frieden, mit Friedenszug und Stadthallenkonzert mit Harry Belafonte als Redner. Was Reinhart Sellner darüber zu erzählen hat, sprengt leider den Rahmen. Wie auch über sein Engagement als Gewerkschafter und Lehrer spricht er darüber sehr präzise, mit grundsätzlich namensgenauer Erwähnung anderer Beteiligter, weil «allein machen sie dich ein» und Solidarität hat auch etwas mit Platz geben und nehmen zu tun. Seinen als Musiker nimmt sich Reinhart Sellner nun, seit einiger Zeit im Eben-nicht-Ruhestand, im Rahmen der Möglichkeiten wieder. Wie und mit wessen Beiträgen und Hilfe es dazu kam (und mehr!), ist launig auf seiner Homepage nachzulesen – am besten beim Hören von Walk On. Weil: «Gib ned auf, der neiche Dog braucht vüle Händ´!»
Reinhart Sellner Duo: Walk On
(ATS Records)
www.reinhartsellner-liederlichbluesig.at