Warum das Heeresgeschichtliche Museum kein Museum istArtistin

Ist das Heeresgeschichtliche Museum mehr als Imagepflege des Bundesheeres? Elena Messner sprach mit dem Wiener Filmemacher Nils Olger über nostalgische Artefakte, Geheimbunker und die Schokoladenseite der österreichischen Kriegsgeschichte.
Illustrationen: Silke Müller

In den letzten Monaten wurde die Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum in Wien (HGM) so laut, dass mittlerweile vier Kommissionen die Vorwürfe prüfen. Beanstandet wird das schlecht ausgebildete Museumspersonal mit hohem Anteil an Burschenschaftern, die intransparente Postenbesetzung, der Verkauf von rechtsextremer Literatur im Museumsshop bzw. bei Museumsveranstaltungen oder die in einem geheimen Bunker auf dem Gelände des Museums privat gelagerten historischen Militärgegenstände. Eine der Kommissionen hat bis Anfang 2020 über die Verlängerung des Dienstvertrags des derzeitigen Direktors Christian Ortner zu entscheiden. Auch der institutionelle Hintergrund des Hauses ist bedenklich. Im HGM, einer staatlichen Einrichtung, die direkt dem Verteidigungsministerium untersteht, stellt sich das Bundesheer im Grunde selbst aus – ohne relevante externe wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung.

Ehre, Siege, Heldenmut.

Das Restaurant Arsenalstuben unweit des Museums ist großteils mit Fotografien aus Zeiten der Monarchie geschmückt. Nachdem der Kellner die Palatschinken serviert hat, kreist das Gespräch mit dem Wiener Filmemacher Nils Olger rasch um die Frage, ob das HGM überhaupt als Museum zu verstehen ist. Denn vieles deute auf den Unwillen der derzeitigen Leitung und der Angestellten hin, ihr Haus als wissens- und geschichtsvermittelnde Institution zu begreifen, die österreichische Heeresgeschichte in ihrer Komplexität darzustellen vermag. Vordergründig wird dort, so Olger, eine angeblich historisch begründbare, pseudowissenschaftliche und in sich geschlossene Kriegsgeschichte von Heldenmut, Ehre und Siegen erzählt. Die hässliche Kehrseite werde mit Absicht versteckt: Es soll nicht gezeigt werden, in welchem Zusammenhang die ausgestellten Objekte stehen und wozu sie benutzt wurden.

Kontaminierte Landschaften.

Solche geschichtsvermittelnden Strategien hat der Filmemacher in seiner künstlerischen Dokumentation Eine eiserne Kassette bloßgelegt, indem er ihnen Faktentreue und Kontextualisierungsarbeit entgegengesetzt. Mittels forensisch anmutender Hintergrundrecherche hat er Fotonegative aus dem Nachlass seines Großvaters Olaf Jürgenssen, eines ehemaligen Offiziers der Waffen-SS, filmisch rekonstruiert, um zu erzählen, was auf der Oberfläche nicht zu sehen ist: was sich in und hinter den Bildern verbirgt. «Wenn mein Großvater Fotos von der Landschaft gemacht hat, war das ja eine schon kontaminierte Landschaft, die ihre Gewaltgeschichte mit sich bringt. Aber erst, wenn ich die Fotos so weit interpretieren kann, dass ich weiß, wann und wo sie aufgenommen worden sind, kann ich das offenbaren. Vordergründig ist also nur eine Landschaft zu sehen», erklärt Nils Olger. Und das, sagt er, könne man durchaus analog zu den Ausstellungsmethoden des HGM sehen. Vor allem in der zeitgeschichtlichen Ausstellung werde die Strategie erkennbar, Objektivität zu suggerieren, indem Militärobjekte scheinbar neutral, jedoch ohne jeden Kontext, gezeigt werden. «Es wird nicht erzählt, wer, wo, was, wie getan hat, und dadurch wird eine geschönte Version österreichischer Heeresgeschichte mit vielen Auslassungen etabliert.»

Nostalgische Betrachtungen.

Es gibt eine Folge der deutschen Trickfilmserie Die Museumsratten des Marionettentheaters Augsburger Puppenkiste aus den 1960er-Jahren, in der eine Marionetten-Rattenfamilie durch die Säle des HGM hüpft. Der Ratten-Papa erläutert seinen für türkischen Honig schwärmenden Söhnen das ausgestellte osmanische Militärzelt aus der Zeit der Türkenkriege, in dem sie ihre Kindheit verbracht haben, mit folgenden Worten: «Die Innenseite (des Zelts) zeigt man nämlich den Besuchern als Außenseite – weil sie die sogenannte Schokoladenseite ist.» Eine Aussage, die die Ausstellungen des HGM insgesamt treffend illustriere, meint Olger, denn auch hier werde nur die «Schokoladenseite» österreichischer Kriegsgeschichte gezeigt.
In einem Museum des 21. Jahrhunderts müsse die Vermittlung zeitgeschichtlicher Aspekte bedeuten, sowohl erinnerungspolitische Fragen in die Ausstellungen zu integrieren als auch die Instrumente des Ausstellens offenzulegen. Das HGM bedient sich dagegen zumeist veralteter Mittel der Museumspädagogik: Objekte werden nostalgisch betrachtet, romantisch verklärt und auratisch aufgeladen, was zu Fetischisierung und Mythologisierung einlädt. Dass hinter der glorifizierenden Darstellung ein bewusst gewähltes Deutungsmuster steht, erkennt man leicht anhand einer Aussage des Vizedirektors Christoph Hatschek in der ORF-Sendung Aus dem Rahmen: «Die Niederlagen halten wir eher klein, die Siege natürlich eher größer.»
Die Dauerausstellungen in den zeitgeschichtlichen Sälen strotzen vor plumper Ästhetisierung von Waffen, Heeresfahrzeugen und Uniformen. Dass solch eine überholte Geschichtsdeutung und veraltete Ausstellungsdidaktik im Museum zur Verklärung von Monarchie, Verharmlosung von Faschismus und Nazismus sowie Offenheit für Rechtsextremismus führt, liegt nahe. Dass dies gewollt, und kein Interpretationsfehler seitens eines ideologisch vorgeprägten Museumspublikums ist, ebenfalls. «Die Kritik am HGM ist dem HGM ja bewusst, sie wird nur ignoriert», meint Nils Olger.

Online-Helden.

Ein Blick ins Internet zeigt, dass die Wikipedia-Seite des HGM von nahezu aggressiver Selbstdarstellung zeugt. Dort sind unzählige Fotos von Ausstellungsobjekten zu finden, die vorführen, womit man die Internetgemeinde beeindrucken möchte: Exponate, die das Narrativ des Heldentums propagieren. Analog zu den realen Objekten im Museum, deren Hintergründe ausgeblendet werden, wird auch auf der Wikipedia-Seite vieles verhüllt. Allerdings ist die Online-Enzyklopädie ein Medium, das anhand der dahinterliegenden Diskussionsseiten die eigene Versionengeschichte und die Debatten darüber archiviert und zugänglich macht. Revidierungen, Ergänzungen und dazugehörige Rechtfertigungen dokumentieren den Onlineaktivismus von Mitarbeiter_innen und Fans. «Man kann festhalten, dass das HGM seine Strategien nicht nur im Museum selbst, sondern auch hinter der Wikipedia-Oberfläche zu verstecken versucht», stellt der Filmemacher Olger fest.
Sendungsbewusstsein zeigt das HGM auch in YouTube-Videos und auf Social Media. Dort werden die heroisierenden Inszenierungen von User_innen weiterverbreitet. Ein in den Medien mehrfach zitiertes Beispiel ist das Video des Sprechers der österreichischen identitären Bewegung, Martin Sellner, in dem er den rechtsextremen Kult ums Museum propagiert. Aber auch die eigens vom HGM hergestellten YouTube-Videos sind voller Fehlstellen: So bleibe beispielsweise bei der akribischen Beschreibung eines Bundesheer-Tarnanzugs die Herkunft des Flecktarnmusters von der Waffen-SS ausgespart, sagt Olger. Sähe sich das HGM als seriöse geschichtsvermittelnde Institution, müsste es gerade im Netz, wo es in Kommunikation mit seinem globalen Publikum tritt, die Verantwortung wahrnehmen, rechtsextremen Sichtweisen keinen Raum zu geben. Aber auch hier vernachlässigt es seine Kernaufgabe.

Revisionistische Träumereien.

Es gibt also substanzielle Gründe, das HGM als einen Schauraum für Waffennarren, eine Imagekampagne für das Militär und einen Ort für geschichtsrevisionistische Träumereien zu beschreiben. Um als Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ernstgenommen zu werden, müsste es aufhören, Heerestrivia als eine immanent militärische Nabelschau zu vermitteln. Dafür ist eine institutionelle Umstrukturierung vonnöten: eine Übersiedelung aus dem Verteidigungsministerium zu den Kulturagenden. Dann erst wird es möglich sein, aus einer zwielichtigen Rumpelkammer endlich ein Museum zu machen.