Warum ich den Begriff Slum vermeidevorstadt

Die Wienerin Margit Niederhuber porträtiert afrikanische Metropolen

Die Wut kriecht in ihr hoch, wenn sie mitkriegt, welches Afrika-Bild die österreichischen Medien in den Köpfen der Menschen verfestigen. Afrika – das ist die Tristesse der Slums, der ununterbrochene Krieg, der sich ausbreitende Djihadismus und das halbverhungerte Kind. Die Wiener Autorin Margit Niederhuber porträtierte vier afrikanische Hauptstädte und zertrümmert dabei Klischee um Klischee. Robert Sommer befragte sie dazu.

Foto: Eduardo Mathlombe

Nairobi, Maputo, Johannesburg und Dakar sind die vier Metropolen, die die in Linz geborene Afrika-Kennerin – unter anderem war sie Beraterin beim Aufbau des nationalen Frauen-Radioprogramms in Mocambique – unter die Lupe nimmt. Dass es sich durchwegs um Städte handelt, die bloß am Rande der Aufmerksamkeit publizistischer Beobachter_innen aus der weißen Welt stehen, habe auch einen positiven Aspekt. Ihre Nicht-Präsenz signalisiere den Mangel an jenen «Sensationen», die im Norden für schlagzeilenwürdig betrachtet werden. Der negative Aspekt ist die Missachtung des Engagements urbaner Aktivist_innen, die eben nicht alle, wie die Berichterstattung suggeriert, den Kontinent verlassen und damit vermeintlich zur Prolongierung der «Unterentwicklung» beitragen.

Nehmen wir das jüngste ihrer Städtebücher zur Hand: das Buch über die senegalesische Hauptstadt Dakar. Wie in vielen westafrikanischen Städten, die am Meer liegen, herrscht hier eine entspannte Atmosphäre, wie sie die gehetzten Wiener_innen nur aus ihren Tagträumen kennen. Die gesellschaftliche Realität ähnelt in keinem Punkt den stereotypen Vorstellungen darüber, wie sich «der Islam» angeblich auf das gesellschaftliche Leben auswirkt. Dakar ist eine der Metropolen des Hip-Hop, Dakar ist eine der Metropolen der zeitgenössischen Street-Art, Dakar ist d i e Modestadt schlechthin. Und Dakar ist durch und durch islamisch. Nur jeder und jede Zwanzigste glaubt an den christlichen Gott.

«Durch die Straßen von Dakar zu gehen heißt, Mode in einer unglaublichen Vielfalt zu erleben», schreibt Margit Niederhuber. «Egal in welchem Bezirk, ob im Zentrum oder in den Vororten, in ärmeren Gegenden oder in reichen Villenvierteln – überall gibt es sehr viel Mut und Kreativität (…) Die höchste Dichte an Kleiderwundern besteht am Freitag, auf dem Weg zur Moschee.» In den letzten drei Hauptstadt-Büchern wird der Begriff Slum nicht verwendet, weil er unter österreichschen und deutschen Leser_innen Assoziationen erweckt, die wenig mit der Realität zu tun haben.

Kibera, mitten in Kenias Hauptstadt Nairobi gelegen, gilt als größte der «informellen» Siedlungen Afrikas. Manche sprechen von einer Million Einwohner_innen. In Kibera sind unzählige NGOs und Projekte zuhause, manche bieten geführte Wanderungen durch den Slum an. In Niederhubers Stadtporträt-Quartett werden großartige Frauen vorgestellt, eine davon lernte die österreichische Autorin zufällig bei einem Spaziergang durch Kibera kennen. Es ist Cecilie Ayot. Sie und andere Frauen ärgerten sich über den paradoxen Zustand, dass in Kenia zwar eine allgemeine Schulpflicht herrscht, dass aber die Schulbücher und die Schuluniformen von den Eltern in den armen Vierteln nicht bezahlt werden können. Außerdem braucht man, um zur Schule zu gehen, eine Geburtsurkunde. Solche Dokumente besitzen viele Kinder nicht, auch in Kibera. Einige Frauen rund um Cecilie begannen 2008, eine eigene Schule aufzubauen.

Die erste Hip-Hop-Akademie des Kontinents

Die erwähnte Hip-Hop-Bewegung in Dakar und in ganz Senegal ist nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein politisches Phänomen. Viel dazu erfährt man vom Manager der Organisation «Africulturban», dem Niederhuber breiten Raum in ihrem Dakar-Buch gewährt. 3000 Hip-Hop-Gruppen gäbe es im Land, sagt Amadou Fall Ba. 1500 davon leben in der Hauptstadt. Hip-Hop ist, anders als in den Ländern der reichen Welt, eine durch und durch politische, widerständige Kultur – wie gesagt, ausgeübt vom Nachwuchs muslimischer Familien. «Africulturban» hat eine Universität für Hip-Hop ins Leben gerufen, die erste dieser Art in Afrika. Sie nennt sich schlicht Hip-Hop-Academy. Auch die Poetry Slam-Bewegung gewinnt in Dakar immer mehr Anhänger_innen. Poetry Slams in Dakar sollen durch die Bank performativer sein als ihre Wiener Pendants.

Den größten Platz in den vier Büchern nehmen nicht die Eigentexte der Autorin ein, sondern die Fotos (durchwegs von Fotograf_innen aus der jeweils porträtierten Stadt) und die transkribierten Interviews mit den Menschen dieser Metropolen – von Stadtplaner_innen bis zum Taxifahrer. Bücher, in denen Europäer_innen die afrikanische Situation erklären, gäbe es ohnehin mehr als ausreichend, meint Niederhuber im Augustin-Gespräch. Dass sie ihr Mithilfe am Aufbau eines Frauen-Radioprogramms erwähnt habe (siehe oben), dürfe man nicht missverstehen: Mit «Entwicklungszusammenarbeit» habe sie nichts am Hut. Jede Entwicklungshilfe sei in dem Moment entbehrlich, in dem gleichberechtigte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nord und Süd etabliert werden. Derzeit laufen noch gegenteilige Prozesse ab. Das neue Fischereiabkommen zwischen Senegal und der EU werde dazu führen, dass die großen europäischen Firmen die Existenz weiterer Fischerfamilien aus Dakar ruinieren.

Info:

Die vier Städtebucher (Nairobi, Maputo, Johannesburg, Dakar) sind im Wiener Mandelbaum-Verlag erschienen. Alle sind zweisprachig. Das jüngste, über Dakar, wird am Donnerstag, dem 11. Februar, in der Brunnenpassage (1160 Wien, Yppenplatz, Beginn 19 Uhr) präsentiert. Musik von Ibou Ba und Masour (Djembe) und John Ntsepe (Klavier). Der Eintritt ist frei.

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