«Warum nicht enteignen?»tun & lassen

Stadtplanerin und Architektin Gabu Heindl

In Wien ist Wohnraum knapp. Und teuer. Über die Herausforderungen einer wachsenden Stadt, coole Parks in Simmering und den utopischen Horizont einer solidarischen Stadt Wien sprach Kurto Wendt mit der Architektin und Stadtplanerin Gabu Heindl.

Fotos: Christopher Glanzl

Du bist Stadtplanerin und Architektin. Wie geht’s dir, wenn du durch Wien gehst?

An sich ist Wien ein super Ort zum Leben – für die meisten. Viele wohnen noch relativ leistbar, man braucht kein Auto, es gibt schöne Orte, die leicht und auch noch kostenfrei oder günstig erreichbar sind. Das ist Freiheit. Zugleich sehe ich eine Menge Wohnungsneubau, der aber für viele nicht mehr leistbar sein wird. Eher eine Beton-Goldbubble. Wohnungen für Leute, die schon mehr als eine haben, und noch eine zur Wertanlage dazu wollen. Ich sehe viele Schanigärten. Die sind gut für das öffentliche Leben, andererseits bedeuten sie mehr Privatisierung öffentlichen Raums mit Konsumationspflicht. Auffällig ist, dass es im Vergleich etwa zu Berlin wenig Grün gibt. Das wird auch so bleiben: Kein einziger Häuserabbruch schafft eine Grünfläche. Es gibt auch immer mehr Obdachlose und Bettler_innen. Die Schere zwischen Arm und Reich, die viel mit Stadtentwicklung zu tun hat, wird sichtbar. Der Trubel des Stadtwachstums macht eben einige reich und viele arm.

Könnte man da eingreifen?

Politik und Planer_innen können immer intervenieren. Das Dilemma der Architekt_innen selbst ist, dass es meist nicht sie sind, die die Bedingungen des Planens abstecken. Aber ich kann auf jeden Fall bei gewissen Entwicklungen nicht mitmachen und meine Expertise nutzen, um Interventionen zu unterstützen.

Was besprechen die politisch Verantwortlichen?

Ich gehe einmal davon aus, dass sie mit Sicherheit die Wohnungsnot besprechen. Jährlich wächst Wien um eine Zahl von rund 20.000 Menschen. Da spricht auch nichts dagegen. Städte, die infrastrukturell gut erschlossen sind, sollen, ja, müssen mehr Menschen Raum geben, denn Städte haben immer größeres Potenzial für Gerechtigkeit, Kollektivität und Diversität.

Was wäre denn dafür die beste Lösung?

Es bräuchte eine aktivere Boden- und Wohnbaupolitik. Es gibt ja das Modell des geförderten Wohnbaus. Das größte Problem ist aber, dass die Grundstückspreise zu hoch sind. Ein Preis von 250 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche wäre für geförderten Wohnbau möglich. Aktuell liegt der Preis in Wien aber bei 600 bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter. Große Grundstücke haben auch die ÖBB, die allerdings darauf beharren, dass das keine öffentlichen Flächen sind. Das ist absurd, zugleich aber das Ergebnis einer Entwicklung, die die ÖBB dazu bewegen, privatwirtschaftlich unternehmerisch zu agieren. Hier müssten politisch Verantwortliche eigentlich direkt eingreifen.

Generell braucht die Politik mehr Mut. Es gibt etwa das Instrument der Enteignung. Für Infrastrukturprojekte wird darauf wie selbstverständlich zurückgegriffen, warum nicht auch dann, wenn es um geförderten Wohnraum geht? Enteignung bedeutet ja nur, dass die Grundstücke zu einem festgelegten Preis abgelöst werden und Besitzer_innen nicht aus der Not anderer noch Extraprofite lukrieren können. Dafür müsste aber Wohnen als öffentliche Angelegenheit gesehen werden. Man könnte argumentieren, dass Enteignungen im Sinne der Menschenrechtskonvention, wonach Wohnen für jede_n ein Menschenrecht ist, im öffentlichen Interesse liegen.


Was passiert, wenn die Stadt nicht eingreift?

Die Deregulierung des Wohnungsmarkts führt fast automatisch zu Preisexplosionen. Deshalb sind Mieterschutz, aber auch fixe Mietpreise im Bestand, im Gemeindebau und im sozialen Wohnbau so wichtig. Viele wachsende Städte sehen Wien als Beispiel für eine Stadt, die es historisch gut gemacht hat. In Vancouver etwa ist die Innenstadt perfekt herausgeputzt – und praktisch entvölkert, Wohnungen sind dort zu gestapelten Sparbüchern verkommen. In Basel dagegen müssen Investor_innen, die in attraktiven Lagen mit Widmungsgewinn Projekte verwirklichen, eine Mehrwertabgabe von 50 Prozent des Mehrwerts zahlen, die für Grünanlagen und öffentlichen Raum – auch in weniger attraktiven Stadtteilen – zweckgewidmet ist. In Wien müssen Investor_innen bei Umwidmungen jetzt auch was für den öffentlichen Raum rund um ihr Projekt tun, allerdings werten sie damit vor allem ihr eigenes Projekt auf. Wien braucht aber Umverteilungsmaßnahmen, die die leeren Stadtkassen auffüllen, damit coole Parks auch in Simmering errichtet werden – und zwar nicht privat.

Eine 50-prozentige Abgabe heißt im Übrigen nicht, dass Investor_innen etwas weggenommen wird. Sie bekommen einfach nur mehr die Hälfte geschenkt! Wenn wir schon dabei sind: Wenn Eigentum durch Umwidmung im Wert steigt, ist das genauso ein Eingriff ins Eigentum, wie im umgekehrten Fall bei einer Widmungsabgabe oder einer Enteignung. Bloß jammert da niemand.


Ist Privatbesitz an großen Miethäusern in Städten nicht insgesamt unmoralisch? Da werden alle Kosten des Besitzes wie die Grundsteuer über die Betriebskosten an Mieter_innen umgewälzt.


Das Dilemma beim Übertragen dieser Kosten auf Mietende gibt es allerdings bei allen Steuern und Abgaben. Die türkis-blaue Regierung stellt sich ja Menschen grundsätzlich als Eigentümer_innen vor. Also sagt sie: «Eigentum muss sich wieder lohnen!», und will Schutzparagrafen im Mietrecht außer Kraft setzen. Das ist ein klarer Angriff auf Wien, wo ein Großteil der Mieter_innen Österreichs lebt.

Du bist ja auch an der Gestaltung des Donaukanals mitbetraut. Der Rechnungshof hat zu Recht die geringen Pachtgebühren für dortige Unternehmer_innen kritisiert. Die neue Ausschreibung würde aber v.a. kleinere Nischen-Initiativen wie Central Garden oder Hafenkneipe bedrohen. Was ist deine Strategie?

Da wird der Kritik an neoliberalen Zuständen mit noch mehr Neoliberalismus geantwortet. Jeder Quadratmeter Kaifläche am Donaukanal hat einen Wert, dessen Preis für Unternehmen nicht zu gering sein soll. Die Pachtgebühr hat aber per se nichts damit zu tun, wie klein oder groß und kommerziell Unternehmen am Donaukanal sein sollen.

Grundsätzlich ist der Donaukanal für alle Wiener_innen wertvoll, also ein klassisches Gemeingut. Damit soll niemand spekulieren, weder private Unternehmen noch die öffentliche Verwaltung.

Das Gestaltungs- und Entwicklungsleitbild «Donaukanal Partitur», das Susan Kraupp und ich im Auftrag der MA19 geschrieben haben, bezieht klar Stellung für ein ausgeglichenes Verhältnis von Freiraum zu Gastronomie in kleinen und temporären Formen: keine Großstrukturen, die aus der Uferzone ein Big Business machen wollen. Central Garden, Hafenkneipe und auch der City Beach würden dem entsprechen. Das, was der Ausschreibung der Stadt zufolge nun zum Zug kommen müsste, tut es nicht! Also unterstütze ich den Widerstand, der sich soeben entwickelt.

Wie schätzt du die Bedeutung von Initiativen wie Recht auf Stadt oder Urbanize ein? Bleibt das eine Avantgarde, oder lässt sich daraus eine breitere Bewegung für die Demokratisierung der Stadtentwicklung formen?

Ich schätze diese Initiativen sehr und bin ja teils selbst darin involviert. Konkrete Bewegungen im Stadtraum passieren aber dann, wenn es brennt, so wie im Jahr 2015 im Fall der Donaukanalwiese. Die Zivilgesellschaft hat diese Wiese gerettet. So wie sich Leute an Bäume am Donaukanal ketten würden, um die Kommerzialisierung einer Innenstadtwiese zu verhindern, so hoffe ich aber auch, dass es starke Bewegungen gibt, die die Errichtung von Lagern für Refugees am Stadtrand verhindern. Beide Entwicklungen hängen nämlich unmittelbar zusammen. Das ist eine neoliberale Raumaufteilung, die der Rechtspopulismus dazu instrumentalisiert, die vielen davon Nicht-Profitierenden gegeneinander auszuspielen. Wenn wir es schaffen, diese Zusammenhänge unter den vielen schon existierenden Teilbewegungen und den zahllosen unzufriedenen Menschen deutlich zu machen, wird es eine breite Bewegung für die Demokratisierung der Stadtentwicklung geben.

Wenn du 2020 Bürgermeisterin würdest, nominiert von einer fiktiven Partei, was würdest du stadtplanerisch umsetzen? Was würde sofort gehen? Und was wäre dein utopischer Horizont einer demokratischen, solidarischen Stadt Wien?

Schöne Frage, auch weil sie in Stufen formuliert ist. Ich denke hegemoniepolitisch, also in möglichst radikalen, aber machbaren Schritten, über den Alltag und die Kultur des Zusammenlebens nach, ohne dabei den Blick auf den utopischen Horizont zu verlieren. Da kann frau viel lernen von der Steuer- und Wohnbaupolitik des vergangenen Roten Wien. Allerdings brauchen wir viel demokratischere Möglichkeiten der Selbstinitiative und der Selbstverwaltung. Viele Leute haben Ideen für solidarisches Zusammenleben, aber keinen Zugang zu zentralen städtischen Flächen oder Häusern, um sie umzusetzen. Daher bräuchte es mehr Teilhabe für Wohnende und Nutzer_innen des öffentlichen Raums und weniger Teilnahme von Investor_innen an Planungsprozessen, also eine Umkehrung der jetzigen Situation. Als eine Sofortmaßnahme würde ich eine hohe Leerstandsabgabe einführen. Ich wäre für eine aktive Bodenpolitik, dafür also städtische Grundstücke zu vergesellschaften anstatt sie zu privatisieren. Darüber hinaus würde ich den Mieterschutz ausweiten, die Privatisierung öffentlicher Güter stoppen und Private-Public-Partnership-Projekte, die von öffentlich zu privat umverteilen, unterbinden. Und, um das Wichtigste nicht zu vergessen: Solidarisierung gegen Rechts.

Was den utopischen Horizont betrifft, so würde ich mir ein neues Verhältnis zwischen Regierenden und denen, die als Nutzer_innen die Stadt weiterentwickeln wünschen. Eines, das ohne Paternalismus auskommt, in Richtung «feminisierter Munizipalismus» geht und allen Wahl- und Teilnahmerechte bietet, die in der Stadt leben – unabhängig von Herkunft, Klasse, oder Geschlecht.

 

Gabu Heindl ist Architektin und Stadtplanerin. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit städtebaulicher Planung und forscht zu Planungspolitik und öffentlichem Raum.