Musik ist, was das Herz flattern lässt
Slavko Ninic, die Wiener Stimme des Balkans, bekannt durch seine Gründungen „“Wiener Tsuchschenkapelle““ und „“Tschuschen a capella““, liebt – falls ihm die Zeit bleibt – Seitensprünge in andere musikalische Kontexte. Am 30. April widmet er sich, zusammen mit Überraschungsgästen, im Porgy & Bess dem traditionellen bosnischen Liedgut. Ein schöner Anlass, um ihn mit seinem Ruf, er verabscheue modernistische Experimente mit der gewachsenen Musik der Balkanregion, zu konfrontieren.
Einerseits ist die Wiener „Weltmusikszene“ ohne die seit 15 Jahren praktizierende „Tschuschenkapelle“ kaum vorstellbar, andererseits wirst du von vielen Freunden der Innovation und der Improvisation innerhalb dieser Szene als Purist, als Bewahrer der Traditionen belächelt.
Es geht nicht darum, dass man so singt, wie man vor fünfzig Jahren gesungen hat. Natürlich kannst du das Ausgangsmaterial verjazzen, oder du kannst neue Musik daraus machen – es kommt darauf an, dass es Musik bleibt. Wenn du musikalisch schlecht bist, ist es egal, ob du traditionell bleibst, Jazz machst, Klassik oder neue Musik. Musik ist, wenn das Herz flattert. Und wenn sich eine Träne im Auge meldet. Wenn aber das Publikum einem Haufen von Steinen gleicht und niemand fühlt sich bewegt, ist es doch egal, ob dieses Rührungsdefizit vom Jazz oder von der Volksmusik kommt. Mir geht es darum: Bei uns in Balkanien gibt es schöne Lieder. Sie sind melodisch schön, textlich schön – und sie werden auf eine Weise interpretiert, in der ein historischer Entwicklungsprozess eingeschrieben steht. Natürlich kannst du Sevdalinke (traditionelle bosnische Liebeslieder -R. S.) auch verjazzen, aber die Gefühle, die diese Gattung von Liedern in sich bergen, müssen rauskommen. Wenn sie nicht rauskommen, ist das Resultat misslungen. Wer aus dem Sevdalinke-Material Ethnojazz macht, muss das Potenzial der Sevdalinke in die neue Form hinüberretten. Wenn das nicht geschieht, ist das Lied unter deinen Händen gestorben.
Ein puristischer Wienerlied-Traditionalist könnte die Behauptung aufstellen, dass die „Reblaus“ unter deinen Händen stirbt.
Wenn die „Tschuschenkapelle“ oder die „Tschuschen a capella“ ein Wienerlied singt, macht sie das nicht deshalb, weil sie den Anspruch hat, das Wienerlied weiterzuentwickeln. Der Grund ist simpel: Wir lieben diese Lieder. Und wir haben hundertmal die Erfahrung gemacht, dass es für das Publikum lustig ist, wenn ich das Lied mit meinem komischen Akzent singe. Es hat wohl seinen eigenen Charme, wenn ich nicht jedes A und O so treffe, wie es der Wiener Dialekt verlangt. Selbstverständlich ist das keine Richtung, in die sich das Wienerlied entwickeln muss, das ist ebenso wenig unser Anspruch wie die Parodie des Wienerlieds. Nichts gegen Parodie, aber die muss in sich selbst ihre Berechtigung haben. Unser Zugang ist: Wir haben einen Spaß und die Leute haben einen Spaß. Das ist alles.
Es geht um das Verfremden. Es macht dir Spaß, das Wienerlied zu verfremden, in deinem Fall über die Sprache. Den Balkanjazzern macht es Spaß, traditionelle Musik zu verfremden mittels anderer Musiksprache.
Wir machen doch nur einen Seitensprung ins Wienerische. Unsere Hauptaufgabe bleibt das Balkanische. Ich zweifle nicht daran, dass Balkanjazzer mit Leib und Seele mit den Liedern aus ihrer Kultur umgehen. Wenn sie das tun, ist es legitim. Die deklamatorischen Begleiterscheinungen, die Anpassungsfähigkeit der Musiker an die Rhetorik der World-Music-Industrie – das allein macht aus den neuen Ethnoexperimentierern noch keine wirklichen Avantgardisten oder Weiterentwickler.
Immer mehr Menschen interessiert an den Kulturen vor allem deren Bastardisierung, sie finden die Vermischungen am schönsten; es gibt in der fiktiven Augartenstadt einen Stadtrat, der den Spruch „Je reinrassiger, desto blöder“ zum Regierungsprogramm erklärt hat. Auf das Feld der Musik übertragen …
Eine Mischung von Esel und Pferd führt in eine Sackgasse, wie ich gelesen habe. Pflanzt sich nicht fort. Von mir aus soll der Bastard leben. Natürlich muss man Musik nicht als etwas Statisches betrachten. Sie wird immer von außen beeinflusst. Nichts steht ein für allemal fertig und abgeschlossen da. Alles ist erlaubt. Alle Mischungen, alle Beeinflussungen. Aber das Produkt muss schließlich in sich stimmen. Es muss Gänsehaut hervorrufen oder das Herz flattern lassen. Es muss ja nicht unbedingt amerikanischer Einfluss sein. Die Verbreitung des amerikanischen Mainstreams in der ganzen Welt hat mehr mit Kulturimperialismus als mit transkulturellen Experimenten zu tun. Mit welcher Begründung soll man nordamerikanischen Jazz in die Balkanmusik fließen lassen?
Zum Beispiel darum, weil das daraus entstehende Produkt die Hände von tausend Menschen in die Höhe treibt.
Die Kulturindustrie formt den Massengeschmack. Die Popmusik in Indonesien hört sich deshalb heute nicht mehr viel anders an als die Popmusik in Griechenland oder in Brasilien. Die Vielfalt wird zur Strecke gebracht.
Aber gerade die Kritik an der Amerikanisierung treibt viele Musiker, die vom Jazz her kommen, nämlich von der amerikanischen Standard-Art des Jazz, zurück zu ihren Wurzeln. Und das Resultat ist eben – wenn diese Musiker z.B. aus dem jugoslawischen Raum kommen – Balkanjazz. Sie drängen das Amerikanische, das Globalistische, eben zurück in ihrer Musik. Nenad Vasilic hat das in einem Augustin-Gespräch so erklärt. Nach dem Abwerfen der amerikanischen Bomben auf seine Stadt, sagte er, habe er sich nicht mehr vorstellen können, bei den amerikanischen Jazzstandards zu bleiben, mit denen er sich bisher identifizierte. Balkanjazz hieß für ihn: Loslösung von der Amerikanisierung.
Das ist legitim. Aber ich komme von der Volksmusik und brauche den Jazz überhaupt nicht. Jazz wäre eine künstliche Beigabe. Für einen aber, der vom Jazz kommt, ist es sicher eine Bereicherung, wenn er seine Wurzeln entdeckt, wenn er sein Musikschaffen dann für Harmoniefolgen öffnet, die ganz anders sind als beim westlichen Mainstream-Jazz. Noch einmal: Nicht der Vorsatz, den einer sich an die Stirn heftet, ist entscheidend. Entscheidend ist, ist ob das künstlerische Resultat dem schon Bestehenden gewachsen ist, oder ob es hinter dem Gewachsenen, Bestehenden zurück bleibt.
Ob es sich um weltmusikalische Improvisationen, um imaginäre Folklore handelt, wie dieses Genre anderswo bezeichnet wird, also um Mischungen, denen du skeptisch gegenüber stehst, oder um authentische Musik, wie du sie pflegst – beide tragen zum Balkanboom bei, und beide Stilrichtungen profitieren gleichermaßen von dieser Modewelle. Das günstige Klima, das deiner Art zu singen hohe Akzeptanz bringt, wird heute auch stabilisiert durch Bands, denen du möglicherweise Missachtung der Traditionen vorwirfst.
Der Boom wird vergehen wie jeder Boom, das sagt ja schon der Begriff. Die Zeit wird die Spreu vom Weizen trennen. Aber greifen wir nicht vor. Ich bin froh, dass so viele Leute Balkanmusik hören, obwohl ich nicht weiß, ob sie das tun, weil es modisch ist. Der Boom ist wohl durch die Filme Kusturicas entstanden. Oder durch den Krieg, der einerseits unsere Regionen interessant gemacht hat, andererseits viele Musiker in den Westen getrieben hat. Wir werden abwarten und schauen, welche Balkangruppen noch spielen werden, wenn es in fünf Jahren einen Spanienboom gibt, welche Platte dann von den Menschen noch gehört wird, die in den Jahren des Balkanbooms gekauft wurde.
Ich denke, du glaubst die Antwort auf diese Frage zu wissen: Die Tschuschenkapelle wird übrig bleiben, weil sie auch schon vor 15 Jahren gehört wurde, als es noch keinen Balkanboom gab.
Wärst du zufrieden mit einer Antwort wie: Die Tschuschenkapelle wird alles überleben?
Welche Verbindungen bestehen zum so genannten jugoslawischen Ghetto in Wien?
Einerseits hat die Tschuschenkapelle da einen guten Ruf. Bei uns verdient man als Musiker eben bei einem Auftritt oft so viel wie in einem ganzen Monat auf der Bühne eines Jugo-Lokals, und man gilt als angesehener Mann, auf den die ORF-Kameras gerichtet sind. Andererseits gibt es genau deswegen auch Gefühle des Neids. Wir spielen gerne auf rein (ex-)jugoslawischen Festen. Die Leute tanzen, sind ausgelassener als das Wiener Multikultipublikum. Es gibt einen Typus von Jugo-Lokalen, der mir aber sehr suspekt ist. Viele dieser Lokale bieten Live-Musik, um Sentimentalitäten zu befriedigen, die Sehnsucht nach der Heimat oder nach einer verflossenen Liebe, und legitimieren damit ihre überteuerten Getränkepreise. Schau dir einmal die entsprechenden Lokale am Gürtel an. Dass sie kaum noch Besucher haben, ist keine Tragödie.
Was bedeutet dein Hut? Ist diese Performance das Zeichen für deinen Traditionalismus?
Hut ist gut, wenn stehen tut. Wo ich herkomme, in Slawonien, gibt es viele Bauern, die solche Hüte tragen, wenn sie in die Kirche gehen, und manchmal auch in die Arbeit. Die sind aber speckiger als meiner, und auch ein wenig kleiner. In der ersten Tschuschenkapelle-Generation haben wir alle Hüte getragen, sogar die Frauen, und das hatte schon etwas zu tun mit dieser Tradition im Balkanraum. Wir trugen den Hut aus romantischen Motiven. Im Laufe der Entwicklung unserer Kapelle bin ich als einziger Hutträger übrig geblieben. Ich wollte mich schon ebenfalls von ihm verabschieden, doch meine Band war dagegen. Ich trage den Hut also auf Zuruf hin.
Es gibt das Gerücht, dass du den anderen verboten hast, Hüte zu tragen, um deine führende Position hervorzukehren.
Das Gerücht ist falsch. Jeder kann einen Hut kaufen. Du könntest sogar mit deiner Mütze bei uns spielen, wenn du musikalisch zu gebrauchen wärst.
Verlangst du von den MitgliederInnen der Kapelle neben musikalischer Qualität auch eine bestimmte Art zu denken, die Welt anzuschauen?
Erstens: In der Tschuschenkapelle wird kein Mazedonier spielen, für den Mazedonien über alles steht, oder kein Kroate, für den Kroatien über alles steht. NationalistInnen sprechen wir nicht an. Wir werden uns immer unterscheiden von jenen nationalistischen Bands, die nur aus Kroaten oder ausschließlich aus Serben bestehen. Zweitens: Wir spielen lieber die Musik, die die GastarbeiterInnen lieben, als jene, an der sich die Upper Class ergötzt. Drittens: Die MitgliederInnen der Band sind bereit, manchmal auch ohne Honorar zu spielen, wenn dadurch soziale Projekte unterstützt werden. Viertens: Wir treten für die Gleichberechtigung der Migrantinnen und Migranten, die hier leben, ein. Wir sind aber eine Band, die für diese Intentionen nicht den Zeigefinger einsetzt.
Du hast Soziologie studiert. Wärst du heute nicht Musiker, sondern Soziologe – was würde dein wissenschaftliches Interesse erregen?
Ich würde erforschen, warum es zu einem Krieg kommt. Der Krieg am Balkan hat mir sehr viele schlaflose Nächte beschert. Ich hätte nie geglaubt, dass es zu einer derartigen Eskalation kommen könnte. Ich hielt Jugoslawien für ausreichend konsolidiert, nahm eine gegenseitige Gelassenheit unter den Ethnien wahr. Der Ausbruch des Hasses in den 90er Jahren hat mich völlig überrascht. Andererseits hab ich mich an meine Diplomarbeit über das „soziale Wesen des Faschismus“ erinnert, in der die Manipulierbarkeit der Menschen das Thema war. Offensichtlich haben sich die Menschen nicht geändert. Die Medien können sie bis zu jenem Punkt bringen, an dem sie mit dem Selbstdenken aufhören. Dieses sozialpsychologische Phänomen, das nicht losgelöst von der ökonomischen Lage betrachtet werden kann, interessiert mich. Warum nimmt man vom Nachbarn, mit dem man zwanzig Jahre lang gemeinsam Feste gefeiert hat, plötzlich an, dass er einem den Schädel einschlagen will, nur weil er in die andere Kirche geht?
Slavkovo sevdah sijelo – ein Abend mit bosnischer Musik“
30. April, 21 Uhr, Porgy & Bess
im Rahmen des Fesivals BALKAN FEVER
www.balkanfever.at