Milchquote, Milchpreis und Milchkartell – ein Ausflug aufs Land
Es brodelt im Milchglas. Ein monatelanger Streit zwischen Milchbetrieben und Molkereien ist vorerst beendet – durchaus nicht nur zum Vorteil der Bauern und Bäuerinnen. Angelika Burgsteiner (Text) und Lisa Bolyos (Fotos) haben sich in Kuhställen und Melkständen herumgetrieben, um zu erfahren, ob das Leben der Milchbäuer_innen tatsächlich so romantisch und konfliktfrei ist wie in der Fernsehwerbung.Was macht ein Milchbauer, der im Lotto gewonnen hat? Milch liefern, bis das Geld gar ist.
Ein Witz, über dessen Qualität schwerlich gestritten werden kann. Streiten lässt es sich hingegen trefflich über die Qualität des Umgangs mit Milchbäuer_innen und ihrer Arbeit sowie mit dem Beitrag, den sie zum Erhalt der Kulturlandschaft und – nicht zu vergessen – zum Wohlbefinden leisten. Denn das speist sich doch zu einem Gutteil aus der Nahrung.
Ein Blick zurück ins Jahr 2004: In Erwartung sinkender Milchpreise durch EU-Erweiterung und die Reform der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) verschleuderten die Handelsketten ein Viertel Butter zu 59 Cent und einen Liter Milch zu 54 Cent. Zur nachhaltigen Produktion benötigten die Bäuer_innen jedoch 40 Cent pro Liter – bei den gegebenen Milchpreisen ein Ding der Unmöglichkeit. Vor diesem Hintergrund formierte sich die Interessensgemeinschaft Milch (IG Milch), der binnen weniger Monate 2000 kritische Bauern und Bäuerinnen beitraten. Als 2006 «A faire Milch» in die Supermarktregale kam, bei deren Verkauf 10 Cent Mehrpreis für die Milchbäuer_innen eingehoben wurde, zählte die IG Milch bereits 6000 Mitglieder.
Die Befreiung der Milch. Der Versuch eines kompletten Systemwechsels, weg von der Abhängigkeit, startete zwei Jahre später. Lieferverträge mit Molkereien wurden gekündigt und die Milch von anfangs mehreren hundert Betrieben gemeinsam eingesammelt, um sie an die bestbietende Molkerei weiterzugeben. Schon damals zeigte sich das wettbewerbsrechtlich (und erst recht moralisch) bedenkliche Gebaren der großen Molkereien in Absprachen, der unabhängigen Erzeuger_innengemeinschaft nichts abzukaufen. Die in nächster Nähe des Raiffeisen-Konzerns arbeitenden Molkereien zogen es in den Folgejahren sogar vor, Verträge mit bayrischen Molkereien abzuschließen, selbst wenn diese von der «Freien Milch» ankauften.
«Es ist absurd, wie Genossenschaften, in denen Bauern sitzen, gegen Bauern arbeiten. Vergleichbares hab ich in der Privatwirtschaft nicht erlebt», so der Hofnachfolger und Quereinsteiger aus der Baubranche Johannes Schörkhuber. Er ist einer der wenigen, die sich nach den Ereignissen und Drohungen der vergangenen Wochen nicht verstecken, und das, obwohl er in der Laussa (vom mittelhochdeutschen «Luz» für Versteck) lebt.
Als einer von bis zu 600 Betrieben haben er und seine Partnerin an die Freie Milch geliefert, bis diese nach Wegfall der Milchquote in der EU und damit einhergehend sinkenden Milchpreisen aufgeben musste. Der Schörkhuber-Betrieb war auch unter jenen 37, denen bis zuletzt ein neuer Molkereivertrag verweigert wurde. «Ihr wart mit den falschen Leuten bei’nand», wurde dem Bauern ganz unverfroren von einem potenziellen Abnehmer seiner Biomilch gesagt. Letztendlich hat ihn die Gmundner Molkerei aufgenommen, die biologisch produzierte Milch wird für den Preis konventioneller Milch – 30 Cent – gekauft.
Letzter unter Ungleichen. Ähnlich fällt die Benachteiligung für jene 19 Betriebe aus, die von der Bergland-Molkerei (deren Produktlinien im Handel unter anderem Latella, Schärdinger, Stainzer und Tirol Milch sind) erst im letzten Moment aufgenommen wurden. Ab 1. Mai hätten sie ihre Milch wegschütten müssen, erst zwei Tage vorher kam das Abholangebot der größten österreichischen Molkerei-Genossenschaft mit Hauptsitz in der Welser Schubertgasse. Was wohl der Großvater des Komponisten, ein Bauer, dazu gesagt hätte? Vielleicht: «Niederlagen sind lästig», wie der Geschäftsführer der Berglandmilch Josef Braunshofer es einmal in einem Word-Rap tat. Man könnte dem Agrarökonomen einen Ausflug in die Umgebung der Firmenzentrale anraten, in die benachbarte Anzengruberstraße etwa: Der Theaterdichter Ludwig Anzengruber schuf das erste Bauerndrama, in dem der Bauer als Gleichberechtigter neben den Bürgern auftrat.
Heute scheint der Bauer auch unter Bauern nicht gleichberechtigt. Die Handreichung gnadenhalber von Seiten der Berglandmilch knebelt die Betroffenen durch ein Verbot, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, und setzt sie in noch größere Abhängigkeit als zuvor. Jede Verfehlung führt vertraglich festgelegt mit sofortiger Wirkung zum Ausschluss. Biobauern und -bäuerinnen müssen auch hier ihre aufwendig produzierte Milch zum Preis von konventioneller verkaufen und zusätzlich eine «Schüttgebühr» abliefern, da sie nicht in die Genossenschaft aufgenommen werden.
Psychischer Ausnahmezustand. Auch die IG Milch möchte sich in dieser Situation nicht mehr zu den Verträgen und dem Gebaren drumherum äußern. «Es hat sich ein mächtiger Block zwischen Bauern und Konsumenten geschoben, mit dem Ziel, keine Informationen mehr durchkommen zu lassen», konstatiert Ernst Halbmayr, langjähriger Geschäftsführer der Freie Milch Austria. «Viele Familien befanden sich in den Wochen des Bangens um ihre Existenz in einem psychischen Ausnahmezustand, der kaum beschreibbar ist.»
In Gesprächen mit Bäuer_innen, die der Augustin in den vergangenen Tagen führte, reichte die Palette von Resignation und Erstarrung über blanke Angst bis hin zu Selbstmordgedanken.
Beeindruckende Ausnahme ist der Laussa-Bauer, die Bäuerin Kathrin und die vier Kinder. Sie arbeiten vielseitig und bedienen damit viele Ansprüche. Neben den Pinzgauer Milchkühen gibt es Fleischschafe, Schweine, Hühner, Puten, eine Fischzucht. Durch die Beteiligung am Projekt «Schule am Bauernhof» eröffnen sie jährlich 30 Schulklassen neues Wissen über bäuerliche Arbeitswege und -ethik. Auch für freiwillige Helfer_innen steht ein eigenes kleines Häuschen am Grund. Schon bisher betrieben die Schörkhubers Selbstvermarktung zu rund 15 Prozent des Gesamtgeschäfts. Das soll nun ausgeweitet werden.
Kritischer Milchkonsum. Die Produktionshallen stehen schon, was noch fehlt, sind Gerätschaften und das notwendige Kapital dafür. Mit Crowdfunding setzt der Biobetrieb nun auf die Beteiligung aller Interessierten – unter «Biolosbichl» im Internet zu finden.
Auch Julianna Fehlinger von der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen-Vereinigung hofft auf starke Allianzen mit den Konsument_innen. Wie kann das konkret aussehen? «Schließt euch foodcoops (Lebensmittelkooperativen) an, kauft in Bioläden, auf Bauernmärkten, informiert euch bei Direktvermarktern wie Bersta oder den Hoflieferanten und bestellt bei kleinen Molkereien.» Ein Problem ist, dass im wirklich preisgünstigen Segment kaum was geboten wird. «Ad hoc fällt mir da nur der Hartkäse ein, den kann man in größeren Mengen bestellen, weil er gut hält. Die Scheiben werden zu deutlich höheren Preisen verkauft.»
Genug zum Leben. Was wären nun annehmbare Milchpreise, um gut zu leben und nachhaltig produzieren zu können? «60 Cent für Bio und 45 für konventionelle Milch», sagt Johannes Schörkhuber. Ein anderer Jung-Biobauer erinnert sich gern an Zeiten, als es noch 50 Cent gab: «Da können wir mit 20 Kühen gut davon leben.»
Das Aberwitzige an der bestehenden Organisation der Genossenschaften ist und bleibt die systematische Benachteiligung kleiner Milchviehbetriebe. Die Staffelung der Milchpreise läuft, man mag es für sinnwidrig halten, von unten nach oben. Je weniger Milch abgeliefert wird, desto niedriger der Milchpreis. Die Großbetriebe profitieren. So wie es auch bei der im Herbst 2016 von der Regierung beschlossenen Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge für ein Quartal war. «Die Förderung wurde allen gewährt, anstatt nur den Klein- und Mittelbetrieben», so Julianna Fehlinger.
Was es neben fairen Preisen und der Fairness gegenüber kleinen Betrieben noch für eine demokratische Milchpolitik braucht, ist im «Milchmanifest» nachzulesen (www.ig-milch.at/wp-content/uploads/2016/03/Milch-Manifest.pdf). Etwa ein Abbau der Bürokratie, die just innovative, artgerechte Tierhaltung erschwert.