Verbote und Absagen statt Medaillen und Rekorde. Das Sportjahr 2020 wird nur einen schmalen Prachtband hervorbringen, vor allem im Amateur_innensport.
TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTO: MARIO LANG
Wenn für Sie – wie für mich – Sport etwas ist, dessen professionelle Ausübung man in den Medien verfolgt, dann hat sich heuer eigentlich nicht so viel geändert. Sicher wurden Großereignisse verschoben und so manche Meisterschaft gekürzt oder abgebrochen. Aber wer etwa am Wochenende vor Redaktionsschluss das gute alte Fernsehmöbel eingeschaltet hat, konnte allein auf den heimischen Sendern Fußball, Skifahren, Skeleton, Bob, Skispringen, Eishockey, Motorsport, Judo, Handball, Tennis und Basketball verfolgen. Live. Wenn Sie an denselben Tagen vor die Tür gegangen wären und sich in den Parks und Anlagen umgesehen hätten, wäre außer vereinzelten Joggenden nichts dergleichen zu sehen gewesen. Weil Sport nämlich «verboten» ist. Derzeit.
Das ist keine Kleinigkeit. Nicht nur, weil laut Statista zwei Drittel der Bevölkerung mindestens einmal in der Woche sportlich aktiv sind. Sport ist gesellschaftlich mit hohem Prestige ausgestattet, wird von Krankenkassen, Arbeitgeber_innen und Versicherungen gern gesehen, vom Staat zur Hebung der Volksgesundheit gefördert. Es ist eine Absurdität dieser Pandemie, dass sich aus Sorge um eben diese Volksgesundheit eben dieses Volk vorübergehend nicht mehr körperlich verausgaben soll. Doch Absurditäten wie diese sind eingepreist in zweifelsohne notwendige Maßnahmen. Weil es das Gesundheitssystem sonst nicht mehr packt, in keinem Bundesland, in keinem halbwegs besiedelten Staat.
Gefährliche Geselligkeit.
Man blickt auf die Fallzahlen und 7-Tage-Inzidenzen. Dementsprechend ändern sich die Verordnungen, und es kann trainiert werden oder nicht. Wobei der Sport selbst oft gar nicht das Problem ist, wie Minister Kogler Anfang November in der ORF-Sendung Sport am Sonntag neue Einschränkungen rechtfertigte: «Bei der aktiven Ausübung – im Freien wohlgemerkt – ist relativ wenig passiert. Indoor ist das anders. Dass im Sport gar nichts passiert, stimmt leider nicht.» Vor allem die Kontakte vor und nach dem Sport bereiten Sorgen. Also das Plauscherl in der Garderobe, das Bier in der Kantine. Was für viele den Sport erst richtig gemütlich und gesellig macht. Der Sport selbst sei weiterhin nicht nur geduldet, sondern erwünscht, so Kogler.
Wie, wo und mit wem man den ausüben darf, das hat sich heuer mehrmals geändert. Es war ein stressiges Jahr für alle, die hinter den Kulissen des Sports arbeiten. Verordnungen mussten kommuniziert und umgesetzt werden. Die FAQ-Seiten der Bundessportorganisation Sport Austria dürften nie besser besucht gewesen sein. Letzten Endes geht es oft um die Frage: Was geht jetzt noch? Wer weiß schon, dass bei einem Verbot von Kontaktsportarten auch das kontaktlose Training der Kontaktsportart untersagt ist? Ein Fußballverein darf also kein Schusstraining abhalten. Die nicht unwesentliche Frage: «Wo erhalte ich finanzielle Unterstützung?» kennt zwei Antworten, je nach Status. Der NPO-Fonds ist für den Non-Profit-Bereich, Sportstätten, die unternehmerisch geführt werden, sind beim Umsatzersatz besser aufgehoben. So sollen Härtefälle abgefedert werden, «gesundstessn» wird sich wohl niemand.
Extrawurst für Profis.
Kommen wir zum «privilegierten» Spitzensport. Dieser darf weiter ausgeübt werden, wenn gewisse Auflagen eingehalten werden. Aber wenn zwei Drittel Österreichs regelmäßig trainieren, wie viel sind dann dem Spitzensport zuzurechnen? Eine Anfrage bei Sport Austria bringt keine klare Antwort: «Grundsätzlich sind diese Dinge schon gesetzlich definiert, es ist allerdings eine sehr breite Definition. Die Fachverbände müssen hier viel selbst auslegen, da jeder Verband und jede Sportart anders funktioniert.» Theoretisch kommen also viele in Frage, praktisch ist das oft zu aufwendig und teuer. «Um diese Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen zu können, müssen in der Regel folgende Punkte erfüllt sein: erstens ein Präventionskonzept und zweitens regelmäßige Tests vom (Verbands-)Arzt. Kleinere Vereine können das oft gar nicht umsetzen», heißt es in der Stellungnahme von Sport Austria gegenüber dem AUGUSTIN. Den Lockdown trage man natürlich mit, teilweise hatte man aber doch das Gefühl, «dass man es sich hier manchmal leicht macht. Dem Sport wird die Perspektive genommen, es gibt keine Planbarkeit.» Viele Verbände kritisierten mangelnde Differenzierung, was die geleisteten präventiven Maßnahmen, was das tatsächliche Risiko von Infektionen oder schweren Verletzungen betrifft. «Wir empfehlen natürlich, möglichst risikoarme Sportarten auszuüben.»
Mit Abstand und nebeneinander ausgeübt, kann man Bogenschießen zu den sicheren Sportarten zählen. Der Präsident des Verbandes ÖBSV ließ aber mit einem «Appell an die Vernunft» aufhorchen. «Österreich war in diesen Tagen das Land mit der höchsten Infektionsrate, gemessen an der Einwohnerzahl. Das sind Rekorde, die wir nicht anstreben. Mir ist klar, dass die Infektionsgefahr besonders beim Outdoor-Bogensport gering ist, aber es geht auch um eine Signalwirkung für Personen, die nicht so vernünftig sind […] Drei Wochen sind nicht lang. Nutzen wir die Zeit für den Aufbau von Kondition und Kraft – das wird ohnehin gerne unterschätzt», so Präsident Herwig Haunschmid in einem offenen Schreiben an seine Bogenschützlinge.
Once Around The Block.
Kurz bevor der harte Lockdown Mitte November in Kraft tritt, zeigt sich bei einem Lokalaugenschein im dritten und zehnten Bezirk der Schnitt, den der Soft-Lockdown in der Welt des Sports gesetzt hat. Die Hallen sind bereits gesperrt, etwa die sonst wuselige Kletterhalle Boulder Bar in der Maria-Lassnig-Straße beim Hauptbahnhof. An der Tür kleben noch schicke Hinweissticker, die schon nicht mehr gültige Maskenregeln erklären. Die ungewohnt leeren Kletterwände wirken mit ihren bunten Griffen wie poppige Riesenskulpturen.
Ganz anders die Situation bei den Tennisplätzen am Arsenalgelände. Jeder Court ist gefüllt, allerdings dürfen zu diesem Zeitpunkt nur mehr Einzelmatches ausgetragen werden. Hier werden die letzten Partien für längere Zeit gespielt, weil es eben gerade noch geht. Ob man es soll, darf zu diesem Zeitpunkt noch jede_r selbst entscheiden. Das Problem sind weniger die Sandplätze als das Büro und das Stüberl, mit gemütlichen Anbauten im Wintergartenstil.
Wie alle Hallenbäder ist das öffentlich zugängliche Schwimmbad in der Alfred-Adler-Straße im Sonnwendviertel gesperrt. Für Profischwimmer_innen wären die Bahnen ohnehin zu kurz, was passiert nun mit dem großen Wasserbecken? Um auf Tigergarnelenzucht umzustellen, dafür ist der Lockdown dann doch wieder zu kurz. Der joviale Herr von der zuständigen Gebäudeverwaltung weiß wenig Spektakuläres zu berichten. «Wir lassen es abkühlen, das schon. Wochenlang unbenutzt auf dreißig Grad zu heizen, zahlt sich natürlich nicht aus. Aber das Wasser auslassen auch nicht.» Angesprochen auf die wirtschaftlichen Folgen und die entsprechenden Fördertöpfe winkt er ab. Man sei ein Mischbetrieb, falle in eine Kategorie, bei der mindestens 40 Prozent Umsatzverlust nachzuweisen sei. Das geht sich bei ihnen knapp nicht aus. «Und das Gesetz ist wirklich gut gemacht, man wird da nicht betrügen können.»
Für den Herrn von der Hausverwaltung heißt es warten, rechnen, hoffen. Er wirkt zerknautscht, um Mitleid heischt er sicher nicht. Und wie es mit dem Sport und den Sportstätten weitergehen wird, weiß er auch schon: «Ich bin ja nicht ungescheit. Es wird so sein: Vor Weihnachten sperren wir wieder auf, im März kommt der nächste totale Lockdown, im Sommer und Herbst die Impfungen und ab Dezember 2021 wird es wieder ‹normal›. Wer bis dahin durchhält, kann dann 2022 wieder Geld verdienen.» Ob seine Firma dazuzählt, weiß er noch nicht.