Was haben wir getan?tun & lassen

Österreich steht an der Spitze beim Racial Profiling

Angst, Wut und Vertrauensverlust: Das sind die Folgen von Racial Profiling. Christof Mackinger hat sich mit Betroffenen und Expert_innen darüber unterhalten, wozu

rassistische Polizeiwillkür führt und was man ihr entgegensetzen kann.

Foto: iStock

Im Zug von Wien nach Linz steigen zwei Polizeibeamte ein und durchschreiten langsam den Waggon. Bei einer Gruppe von Schwarzen Fahrgästen bleiben sie stehen und bitten die vier um ihre Ausweise. «Wir haben unsere Ausweise gezeigt. Wir waren aber der Meinung, dass wir nur kontrolliert werden, weil wir die einzigen Schwarzen im Zug waren», erzählt Mariama D., eine der vier. «So etwas passiert einem in Österreich ständig, wenn man Schwarz ist.»

Häufig sind es junge Männer mit migrantischem Hintergrund und dunkler Hautfarbe, die von der Polizei angehalten werden, und viel seltener ihre mehrheitsösterreichischen Mitbürger_innen. In der Sozialforschung gibt es dafür einen Fachbegriff: Racial Profiling. Er bezeichnet alle Formen von polizeilichen Handlungen gegenüber Personengruppen, die aufgrund der äußeren Erscheinung als «Fremde», der Nationalität oder mutmaßlichen Zugehörigkeit zu einer Religion erfolgen. In Frau D.s Worten: «Bist du in Österreich Weiß, hast du zu 90 Prozent die Chance, ruhig zu leben. Als Schwarze hast du zu 100 Prozent Probleme.»

Wahrnehmung und Tatsachen.

Der Wiener Polizei zufolge handelt es sich beim Racial Profiling «zu einem hohen Prozentsatz um eine subjektive Empfindung der Betroffenen», so die Pressesprecherin Daniela Tunst. Man arbeite intensiv und ständig an der Sensibilisierung der Beamt_innen. Außerdem sei das Thema ohnehin gesetzlich geregelt. Ein Erlass des Innenministeriums legt fest, dass die Sicherheitsorgane alles unterlassen müssen, das «den Eindruck der Voreingenommenheit vermitteln könnte oder als Diskriminierung» empfunden werden kann. Ob jemand wegen seines Verhaltens, seiner Hautfarbe oder lediglich aufgrund des kriminalistischen «G’spürs» des Inspektors kontrolliert wird, ist aber tatsächlich schwer festzustellen. Eine diesbezüglich

aussagekräftige Statistik über Polizeikontrollen gibt es nicht.

Tatsache ist aber, dass es in Österreich übermäßig viele Schwarze Menschen sind, die ohne ersichtlichen Grund von der Polizei im öffentlichen Raum angehalten und zum Aushändigen eines Ausweises verpflichtet werden. Dass dies nicht nur eine «subjektive Empfindung» der Betroffenen ist, wie es die Polizei gerne sieht, belegt eine unlängst von der EU-Agentur für Grundrechte vorgelegte Studie. Hierfür wurden über 25.000 Menschen mit unterschiedlichem migrantischem Hintergrund in allen EU-Ländern befragt; allein in Österreich jeweils 500 Schwarze Menschen bzw. Menschen mit türkischem Hintergrund. Unter allen EU-Ländern haben sich nur in Finnland (45 %) mehr Schwarze aufgrund ihres Äußeren oder ihrer Religion diskriminiert gefühlt als in

Österreich (42 %).

Mit der EU-weit höchsten Rate des wahrgenommenen Racial Profiling wurden in Österreich 66 % der Befragten in den vergangenen fünf Jahren von der Polizei kontrolliert. Von ihnen sind mehr als die Hälfte (56 %) davon überzeugt, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei angehalten wurden.

Folgen.

«Es macht mich wirklich traurig. Man bekommt das Gefühl, hier nicht willkommen zu sein», sagt Mariama D.. Die 27-jährige Studentin blickt auf: «Man fragt sich immer, was haben wir getan, was ist unsere Sünde? Dass wir Schwarz sind?»

Die Folgen rassistischer Polizeikontrollen sind vielschichtig, das weiß auch Tino Plümecke. Der Soziologe ist bei der Schweizer «Allianz gegen Racial Profiling», einem Zusammenschluss, der den institutionellen Rassismus in der Polizei sowie seine strukturellen Ursachen bekämpft.

Plümecke befragte für eine Studie zum Thema Betroffene. «Viele beschrieben, dass sie sich bei der Kontrolle in der Öffentlichkeit total vorgeführt und schikaniert gefühlt hätten.» Die Verarbeitung eines solchen Erlebnisses erfolge unterschiedlich: «Mehrere Befragte haben berichtet, dass sie anfangs sehr stark sich selbst die Schuld gegeben haben, immer wieder in Polizeikontrollen geraten zu sein. Dann berichten viele, dass sie ein Vermeidungsverhalten entwickelt haben, bestimmte Orte zu umgehen versuchten.»

Langfristige Auswirkungen seien Angst, Wut und ein Vertrauensverlust gegenüber der Polizei, bis hin zu Aussagen wie: «Ich würde auch als Zeuge oder Opfer einer Straftat nicht zur Polizei gehen, weil ich kein Vertrauen darin habe, korrekt behandelt zu werden.»

Gegenstrategien.

Aber was kann abseits vom zitierten gesetzlichen Diskriminierungsschutz gegen rassistische Polizeikontrollen unternommen werden?

Laut Wiener Polizei werden «natürlich alle Personenkontrollen – wie alle anderen Amtshandlungen auch – dokumentiert.» Da jedoch nur Namen, Geburtsdatum und Wohnadresse aufgenommen werden, lässt sich daraus nicht ablesen ob sich unter den Beamtshandelten auffällig viele Schwarze Menschen finden.

Eine mögliche Lösung wäre ein Quittungssystem wie bei der Polizei in London, meint Plümecke. Hier bekommen Kontrollierte am Ende einer Amtshandlung eine schriftliche Bestätigung ausgestellt. «Jede Polizeikontrolle muss dort dokumentiert und begründet werden.» Außerdem müsse notiert werden, welcher Ethnie sich die betroffene Person zugehörig fühlt. «Das sagt dann schon was aus.» Mit weiteren Maßnahmen habe dies in London zu einer Verringerung sogenannter verdachtsunabhängiger Kontrollen – im Speziellen von Schwarzen – geführt. «Ohne dass eine Zunahme an Kriminalität zu verzeichnen war. In der Regel sind das ohnehin völlig unsinnige und zudem schikanöse Kontrollen», meint Plümecke.

Die alleinige Lösung kann das Quittungssystem natürlich nicht sein. Es würde aber einen Rahmen schaffen und Daten bereitstellen, anhand derer eine öffentliche Diskussion in Gang gesetzt werden könnte. «Dann sieht die Polizei auch mal, dass sie da selbst ein Problem produziert.» In zwei Schweizer Städten gibt es bereits Initiativen zur Einführung eines Quittungssystems nach englischem Vorbild.

Selbsthilfe und Solidarität.

Doch bis so etwas greift, müssen sich Betroffene selbst helfen. «Es gibt immer welche, die sich sehr widerständig verhalten, jedes Mal nach dem Grund der Kontrolle fragen, die Polizei in Diskussionen verwickeln, oder auch den Ausweis nicht zeigen», berichtet Plümecke. Doch die Formen des Widerstands hängen auch vom Status der Betroffenen ab: Jemand mit Staatsbürgerschaft traut sich mehr als Menschen im

Asylverfahren oder ohne Papiere.

Noch besser ist es aber, wenn sich Außenstehende einmischen, wie bei der eingangs geschilderten Kontrolle von Mariama D. im Zug: «Nachdem wir die Polizei nach dem Grund der Ausweiskontrolle gefragt haben, ist eine Weiße Frau aufgestanden und hat sich beschwert: «Ich finde das total diskriminierend! Warum kontrollieren sie nicht uns, sondern nur die Schwarzen Fahrgäste?» Frau D. musste gar nicht mehr mitdiskutieren, nachdem sich noch ein zweiter, bis dahin ebenso unbeteiligter Fahrgast solidarisch eingemischt hat. Die junge Frau erzählt gerührt: «Als die Polizei weg war, entschuldigte sich die Weiße Frau bei mir für die österreichische Polizei.»

 

Überblick

In Österreich gibt es keine allgemeine Ausweispflicht. Polizeiliche Identitätsfeststellungen benötigen immer eine konkrete rechtliche Grundlage.

§ 35 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) und § 118 Strafprozessordnung (StPO) regeln Fälle, in denen die Polizei Kontrollen durchführen darf: So etwa bei mutmaßlichen Täter_innen oder Zeug_innen einer Straftat oder wenn sich die Person an einem Ort aufhält, für den der dringende Verdacht besteht, dass sich dort schwere strafbare Handlungen ereignen. Sogenannte verdachtsunabhängige Ausweiskontrollen sind rechtlich umstritten.

Rechtliche Grundlagen hingegen gibt es für Identitätskontrollen im Bereich des Reiseverkehrs (Bahnhöfe, Züge, Flughafen etc.), wenn angenommen werden kann, dass Betroffene im Zuge einer noch andauernden Reisebewegung die Binnengrenze überschritten haben oder überschreiten werden, ebenso wenn Betroffene entlang eines internationalen Verkehrsweges unter Umständen angetroffen werden, die für grenzüberschreitende Straftaten typisch sind; allein aufgrund der Hautfarbe bzw. der ethnischen Zugehörigkeit kontrolliert zu werden, ist auch hier nicht erlaubt.

Schließlich lässt auch das Fremdenpolizeigesetz (FPG) Identitätsfeststellungen zu: Nicht-Österreicher_innen müssen grundsätzlich ein Reisedokument bei sich führen oder in der Nähe bereithalten: EWR-Bürger_innen, Schweizer Bürger_innen und begünstigte Drittstaatsangehörige sind Österreicher_innen gleichgestellt. Hier ist eine Identitätsfeststellung bei Verdacht auf rechtswidrigen Aufenthalt erlaubt.

Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 29 SPG zufolge sind die Befugnisse so anzuwenden, dass unter mehreren zielführenden jene angewendet werden, welche die Betroffenen am wenigsten belasten. Außerdem muss der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den zu erwartenden Schäden und Gefährdungen stehen.

Opfer und Zeug_innen von rassistischer Polizeiwillkür können sich übrigens bei der Bürgerinformation der Polizei – Tel.: (01) 313 10-78 900 – beschweren. Rechtliche Unterstützung bietet zudem die Beratungsstelle ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (zara.or.at) an.

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