«Da kann man gar nichts falsch machen.»
Wann soll ein Kind mit dem Fußballspielen beginnen? Womit soll angefangen werden? Wann soll man in einen Verein eintreten? Der Fußball-Lehrer Bernhard Neuwirth von Austria Wien im Gespräch.
Ein ganz normaler Nachmittag in der Fischhofgasse 12, neben dem Stadion der Austria. In der «Junior Football Academy», wie die Abteilung der jüngsten violetten Nachwuchsspieler heißt, schwirren aufgeweckte Buben durch den schmalen Gang mit den Garderoben. Die U7 und die U8 der Austria spielen heute, letzte Vorbereitungen sind im Gange. An einer violetten Gartengarnitur im Eingangsbereich nimmt sich der Trainer der U8, Bernd Neuwirth, noch Zeit für ein paar Fragen.
Was wird bei so kleinen Kindern schon trainiert?
Sehr viel Technik und Koordination. Gleichgewicht, Rhythmusfähigkeit, Schnelligkeit. Aber nichts mit Ausdauer, Kraft. Taktik nur 1 gegen 1: Wie verteidigt man? Wie stellt man sich zum Ball? Was gibt es für Offensivbewegungen? Übungen ohne Ball gibt es bei uns nicht.
Wird das denn noch wo gemacht?
Das gibt es noch immer. Viele Kinder werden so trainiert, vor allem bei kleinen Vereinen. Man muss nur schauen, wie viele die Kleinen Runden laufen lassen, ohne Ball.
Soll man also sein Kind so schnell wie möglich bei einem großen Verein spielen lassen?
Wir haben für jedes Kind einen Ball. Für neun Kinder gibt es zwei Trainer. Und wir trainieren auf Rasen. Das ist ein Riesenunterschied zu einem schlechten Kunstrasen. Zehn Jahre Kunstrasentraining und die Knie und die Knöchel sind hin.
Ab wann können die Kinder bei der Austria spielen?
Die jüngsten sind heuer 2008er-Jahrgänge. Also fünf Jahre alt.
Ab wann soll ein Kind mit dem Fußball anfangen?
Was heißt anfangen – wenn ein dreijähriges Kind mit dem Vater im Garten mit dem Ball hin und her schießt, ist das auch schon ein Anfang. Alles, was Bewegung mit einem Ball ist, ist gut. Da kann man gar nichts falsch machen. Jede Körper- und Bewegungserfahrung ist gut für das Kind. Auch Radfahren, Eislaufen oder Schwimmen helfen, in irgendeiner Sportart besser zu werden. Das ist eben diese Koordination, die wir extra trainieren müssen, weil es die Kinder nicht mehr machen. Wie viele Kinder fahren in Wien mit dem Rad in die Schule oder in den Kindergarten?
Was ist von den Aussagen ehemaliger Spieler zu halten, dass die Kinder nicht mehr auf der Straße oder im Käfig spielen und daher vieles nicht lernen?
Das stimmt ganz sicher. Das Spielen auf der Straße hat einen riesigen Vorteil – sie haben überhaupt keinen Druck. Sie können dort machen, was sie wollen. Wenn sie 100-mal danebenschießen, wird sich höchstens ein anderes Kind aufregen, aber kein Erwachsener. Kein Trainer, kein Elternteil. Weil es nicht wichtig ist.
Aber Sie werden sich ja auch nicht aufregen, wenn ein Kind einen Fehler macht?
Na ja, wenn es was falsch macht, wird ihm das schon gesagt. Du bist auf die falsche Position gelaufen, du hättest in der Situation abspielen müssen, den Freistoß schneller schießen müssen. So Sachen kommen schon. Das Kind nimmt das auf. Wenn da viel an Informationen kommt, dann beschäftigt das das Kind. Unser Training ist auch geistig anspruchsvoll. Ich bin selbst Lehrer und traue mir zu, das einzuschätzen. Das Kind muss eineinhalb Stunden konzentriert bei der Sache sein. Es ist eben nicht so, wie wenn man in der Freizeit in den Hof kicken geht. Das sind zwei Paar Schuhe. Dieses ganz freie Spielen gibt es hier halt nicht mehr.
Wie sieht das bei den kleinen Kindern aus? Muss man die noch extra motivieren?
Nein. Für die ist es die größte Strafe, wenn sie nicht spielen dürfen.
Und die wissen, dass sie privilegiert sind, sportlich gesehen eine Elite darstellen?
Kinder sind da schnell. Die brauchen genau eine Minute, dann wissen die genau, was läuft. Wenn wir Probetrainer haben, dann schauen die anderen zweimal hin, und wissen sofort: Mit dem mag ich spielen, weil der ist gut, und dann gewinne ich. Oder mit dem mag ich nicht zusammenspielen, weil ich verlieren werde.
Wenn sie jetzt ohnehin nur noch sehr gute Spieler haben, fällt dann ja das Aussortieren weg?
Nein, das gibt es schon. Wenn wir hier einen Neunt- oder Zehntbesten haben, und es kommt einer, der der Beste ist, dann muss der Zehntbeste gehen. Ich könnte jede Woche fünf neue nehmen, dann ist die Kabine in einem Monat voll. Was mache ich dann? Dann kann ich weder trainieren noch spielen. Es ist ja eigentlich schlimm, unter der Woche 30 Kinder trainieren zu lassen, und am Wochenende dürfen gerade mal zehn davon spielen. Die trainieren doch, weil sie spielen wollen. Die wollen ein Match spielen. Es gibt Mannschaften, da sind 30 im Kader. Da sagt der Trainer am Donnerstag zu 20 von ihnen: Danke, aber ihr habt am Wochenende frei. Für die bricht doch eine Welt zusammen.
Deshalb aussortieren.
Deshalb sage ich: das Kind lieber weggeben, so hart das auch ist. Es soll lieber bei einem kleinen Verein spielen, dort ist es der Beste, spielt oft oder immer. Viele Wege führen nach Rom. Nicht nur die Austria. Also diesen Druck, man muss bei der Austria oder bei Rapid sein, finde ich nicht so gut. Viele Eltern sehen es eh ein. Manche sehen es nicht ein. Da bricht für die Eltern eine größere Welt zusammen als für die Kinder. Aber ich tue dem Kind damit nichts Gutes. Denn, wie gesagt: Die Kinder sind brutal. Wenn eines leistungsmäßig abfällt, und ich lasse im Training die Mannschaften wählen, dann bleibt das immer über. Jede Woche, drei Mal. Und das ist ja nicht gut für das Kind, für sein Selbstwertgefühl.
Sind hier alle Trainer auch pädagogisch ausgebildet?
Das müssen sie nicht. Aber wir haben ein paar Lehrer, vor allem bei den Kleinen. Früher gab es kritische Stimmen, die meinten, es gäbe hier zu viel Lehrer im Verein. Ich finde es aber wichtig. Was habe ich davon, wenn ich 7000 Übungen kenne, aber die Kinder weinen im Training?