Was hat Fußball mit Betteln zu tun?tun & lassen

SP, VP, FP einig gegen die Ärmsten der Armen

Am 28. März beschloss der Wiener Landtag eine Novelle des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes. SPÖ, ÖVP und FPÖ stimmten geschlossen dafür, allein die Grünen sprachen sich dagegen aus. Die Stadt hatte es eilig es wurde sogar eigens ein Sonderausschuss einberufen, um die Umsetzung bis Anfang Juni hinzukriegen. Ist die öffentliche Sicherheit in Gefahr?Die SP-StadträtInnen Sandra Frauenberger und Grete Laska sind besorgt: Das Betteln im öffentlichen Raum nehme immer mehr zu, über 700 Anzeigen im Jahr 2007, und dabei wurden 161 Kinder, meist als Begleitpersonen, erfasst. Das Kindeswohl sei in Gefahr und müsse zukünftig besser geschützt werden. Und was schützt Kinder besser als ein Paragraf?

Das novellierte Gesetz bedroht mit einer Geldstrafe bis zu 700 Euro oder einer Woche Ersatzfreiheitsstrafe, wer an einem öffentlichen Ort eine unmündige minderjährige Person zum Betteln veranlasst oder diese bei der Bettelei mitführt. Was die PolitikerInnen motiviert hat, ist angeblich das Wohl der von Ausbeutung bedrohten Kinder. Im Gesetzestext wird erklärt, dass Kinder in letzter Zeit vermehrt gezwungen würden, der Bettelei in Wien nachzugehen. Pauschal ist von AnstifterInnen die Rede, die physische und psychische Entwicklung der Kinder stark gefährdeten, indem sie sie bei jeder Wetterlage stundenlang an einer Stelle ausharren ließen. Und von Hintermännern, die bei den Frauen und Kindern abcashen. Das alles wird behauptet. Belege dafür und konkrete Zahlen gibt es keine.

Dieter Wabnig, einer der sich seit langem für rumänische BettlerInnen in Wien einsetzt, sie im Falle von Anzeigen unterstützt und zu Polizei und Gericht begleitet, meint dazu: Allein 150 Anzeigen im Jahr 2007 betreffen drei Frauen, um die ich mich im letzten Jahr gekümmert habe. Es ist daher relativ leicht hoch zu rechnen, wie viele Frauen sich hinter den 700 Anzeigen verbergen. Die Frauen würden immer wieder von der Polizei, vor allem in der Innenstadt, kontrolliert, auf die Wachstube mitgenommen, angezeigt. Eine Frau hätte innerhalb eines Tages vier Anzeigen ausgefasst. Das ging bisher nur unter dem strafbaren Tatbestand aufdringliches, aggressives oder organisiertes Betteln. Aber die Auslegung, was das genau ist, ist mitunter fantasievoll. Und quasi genormt: So genügt etwa für die Polizei die Beobachtung, dass drei BettlerInnen Blickkontakt zueinander haben, um sie der organisierten Bettelei zu bezichtigen und anzuzeigen. Die Beobachtungsprotokolle in den Anzeigen bestanden einige Zeit, obwohl sie immer wieder andere Situationen betrafen, aus den immer gleichen Textbausteinen. Die des Deutschen nicht mächtigen BettlerInnen, so Wabnig, konnten ja sowieso der Darstellung nicht widersprechen. Aber er konnte, und so änderte sich das.

Mutter-Kind-Zellen: Wo bleibt das Kindeswohl?

Viele NGOs, die Grünen, die Arbeiterkammer äußerten Kritik an der Gesetzesänderung. Sogar das Innenministerium sieht keine Strafwürdigkeit beim bloßen Mitführen eines minderjährigen Kindes. Die einzige durchwegs positive Stellungnahme stammt von der Wirtschaftskammer. Sie fordert originellerweise noch eine Ausweitung: das Verbot der Bettelei mit Tieren, insbesondere von Pferden und Eseln, weil diese erfahrungsgemäß zu einer empfindlichen Störung des Stadtbildes und zu einer unhygienischen Verunreinigung in der Innenstadt führten.

BettlerInnen mit Geldstrafen zu belegen, erscheint keine effiziente Maßnahme die missliche soziale Lage von armen Familien zu beheben. Auch nicht sie durch die Androhung derselben an der Möglichkeit zu hindern, ihre Lage und die ihrer Familie durch Betteln zu verbessern. Die Journalistin Doris Knecht schreibt treffend am 30. 3. im Kurier: Während sich die Stadt konsequent weigert, Wiener Hundekot-Bürgersteig-Verschmutzer empfindlich zu bestrafen was in dieser Sache das einzig Zielführende wäre , beschließt man munter enorme Geldstrafen für ausländische Bettler. Aber die wählen ja nicht.

Diese Maßnahme kann nur als Verschiebung des Problems gesehen werden. Armut wird unsichtbar, aber sie verschwindet nicht. Es werden nicht nur nicht die Ursachen bekämpft, die Betroffenen werden auch noch kriminalisiert. Wo bleibt das Kindeswohl, wenn die kleinen Kinder von Bettlerinnen den Müttern weggenommen oder die Mütter in die neuen Mutter-Kind-Zellen gesperrt werden?

Bettler-Paranoia wie vor der WM in Deutschland

Betteleinschränkungen und -verbote müssen in einen breiten Kontext gestellt werden: dem Diskurs über Armut, über Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen, aber auch im Kontext von Rassismus: Stereotype Bilder des das Mitgefühl der ÖsterreicherInnen ausnutzenden Fremden, der mafiösen Bettlerbanden aus Osteuropa sind gängig im öffentlichen Diskurs, in den Medien wie in der Politik. Seit Ende der 90er Jahre wird in europäischen Staaten und Städten auch zunehmend eine Debatte um öffentliche Sicherheit und Ordnung geführt und begleitend wird die Zugänglichkeit attraktiver urbaner Zonen und des öffentlichen Raums eingeschränkt. Kaufkräftige KonsumentInnen haben Vorrang. Und alles was den schönen Schein der bunten Warenwelt und das Geschäft stört, wird an den Rand gedrängt. Obdachlose, Punks und BettlerInnen – ihre pure Anwesenheit wird oft als aggressiv erlebt, ihr Anblick als Belästigung. Eine unangenehme Erinnerung an verdrängte Risiken, daran, dass es auch WohlstandsverliererInnen gibt.

Stephan Nagel von der Diakonie Hamburg betont, dass die Gegenargumentation gegen den ausgrenzenden Diskurs nicht nur auf Mitgefühl und Toleranz basieren dürfen. Es geht um Menschen- und um Bürgerrechte denn damit verteidigen wir die Grundrechte von uns allen.

Und was hat das alles nun wirklich mit Fußball zu tun? David Ellensohn von den Grünen erzählt, er sei misstrauisch geworden, als ihm eine Notiz in die Hände fiel, dass in einigen deutschen Städten kurz vor der Fußball-WM die Diskussion um notwendige Maßnahmen gegen Betteln aufflammte. Plötzlich fiel der Groschen und brachte Licht in die plötzliche Dringlichkeit bei der Gesetzesnovellierung. Tausende von sensiblen Fußballfans werden Wien im Juni heimsuchen. Sie sollen nicht durch die aggressive Präsenz von BettlerInnen in ihrer Feier- und wohl auch Konsumlaune beeinträchtigt werden. Um in die Endrunde der EURO 08 zu kommen, wird Österreich nicht einmal Betteln etwas nützen. Und schon gar kein Bettelverbot.

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