«Was ich machen möchte»vorstadt

Lokalmatadorin

Jill Barth rettet Lebensmittel, zudem hilft sie Hunger leidenden Menschen in Wien.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Was tun mit 150 Kilogramm Paradeiser und Gurken, die Bäuer_innen von der Frischgemüse-Genossenschaft LGV knapp vor dem Wochenende anliefern? Jill Barth steht im Innenhof einer ehemaligen Tischlerei an der Rechten Wienzeile. Schnell weiß sie, was jetzt zu tun ist. Die junge Ernährungswissenschafterin kann sich dabei auf das im Studium Gelernte verlassen – und auf den neuen begehbaren Kühlraum im Lager eines Vereins, der sich MUT nennt.

M wie Mensch.

Die drei Buchstaben stehen schon seit dem Jahr 2005 für Mensch, Umwelt und Tier. Für die 26-Jährige wurden sie zu ihrem Lebensinhalt: «Ich habe mir immer gedacht, dass der Beruf, den ich einmal ausüben möchte, erst erfunden werden muss. Doch da habe ich mich geirrt. Das ist hier genau das, was ich machen möchte.»
Jill Barth leitet die Gruppe der ehrenamtlichen Lebensmittelretter_innen. Gemeinsam gelingt es, Paradeiser, Gurken und viele andere Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu retten. Außerdem hält sie an Schulen und für Erwachsene Workshops, in denen sie erklärt, wie man Nahrungsmittel richtig lagert, Restln verwerten kann und was genau das Mindesthaltbarkeitsdatum aussagt.
Eine ihrer Kernbotschaften: «Man kann sich auch ohne großen finanziellen Aufwand gesund ernähren.»
Die Paradeiser und Gurken werden noch vor dem Wochenende vorne in der Gratis-Greißlerei zur freien Annahme angeboten. Und gerne angenommen, wie die Umverteilerin wieder einmal mit großer Freude feststellt.
Wichtig ist ihr der Hinweis, dass die Lebensmittel in erster Linie für jene da sind, die sie am dringendsten benötigen. Menschen, die verhindern wollen, dass Verzehrbares achtlos weggeschmissen wird, sind aber auch willkommen.
«Diese Botschaft ist noch immer schwer zu vermitteln», erklärt Jill Barth. Daher wiederholt sie einen Satz, den man sich gerne auf der Zunge zergehen lassen darf: «Es ist in dieser reichen Stadt genug für alle da – mehr als genug.»
Auch an diesem Freitag besuchen gut dreißig Klient_innen und Kund_innen des sozialen Hilfsvereins dessen Greißlerei. Sie können auch Brot und Gebäck, Milchprodukte und andere kleinere Leckereien mit nach Hause nehmen. Zu verdanken ist das nicht zuletzt der aufgeschlossenen Filialleiterin und ihrem Team im benachbarten Hofer-Supermarkt sowie der «Wiener Tafel», mit der seit Anfang an ein freundschaftlich-wertschätzender Austausch besteht.

U wie Umwelt.

Das Herz ginge ihr jedes Mal auf, erzählt Jill Barth, wenn sich Gäste vor dem Nachhausegehen im MUT persönlich bedanken: «Also wenn jemand sagt, dass wir seinen Tag oder sein Wochenende gerettet haben, dann ist das schon großartig.»
Das Engagement der Ernährungswissenschaftlerin verdankt sie selbst und verdanken wir alle einem geografischen Zufall: «Ich wohne gleich ums Eck. Da war es wohl nahe liegend, dass ich auf dieses Angebot stoßen würde.»
Aufgewachsen ist die gebürtige Schwäbin am Stadtrand von Ulm. Ihre Mutter, eine gelernte Krankenschwester und Fitnesstrainerin für Senior_innen, konnte ihr früh den Wert von gesunder Ernährung schmackhaft machen, ganz ohne Zwang: «Natürlich habe ich als Pubertierende gegen ihre gesunde Küche rebelliert, habe wochenlang Süßigkeiten und McDonald’s konsumiert, konnte dabei aber schnell feststellen, wie wenig gut mir das tut.»

T wie Tiere.

Nach dem Abitur begab sie sich auf eine einjährige Reise durch Neuseeland und Thailand. Dort reifte ihr Entschluss: «Ich möchte etwas mit Ernährung machen, und gleichzeitig mich als Pädagogin für eine gerechtere, Ressourcen schonendere Welt einsetzen.»
Ihre Bachelorarbeit hat sie über die gesundheitlichen Aspekte des Fastens geschrieben. Doch schon vor dem Abschluss des Studiums hat sie begonnen, im MUT ehrenamtlich mitzuarbeiten. Seit zwei Jahren ist der Verein ihr wichtigster Bezugspunkt in der großen Stadt, und ihr regulärer Arbeitgeber. Der einiges in Wien bewirkt: «Dank der vielen Helfer_innen können wir inzwischen mehr als 2000 Kilogramm Lebensmittel pro Monat vor dem Wegwerfen retten.»
Jill Barth hat durch den Verein auch die fremde Stadt, in die sie gezogen ist, um zu studieren, allmählich schätzen gelernt. War es für die Deutsche anfangs gar nicht so einfach, in Wien Fuß zu fassen, weiß sie heute einen großen Kreis an Freund_innen und Bekannten um sich.
Bedürftige können sich übrigens im MUT kostenlos duschen, ihre Wäsche in einer Waschmaschine waschen lassen oder frische Kleidung und Dinge des täglichen Bedarfs kostenlos entgegennehmen. Und Jill Barth hält bei Interesse auch gerne einen Workshop. 

www.verein-mut.eu

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