„Was ich mir erträumte, fand statt“Artistin

Airan Berg: Auch Theater, das versucht, unpolitisch zu sein, ist Politik

Airan Berg verlässt nach sechs Jahren das Wiener Schauspielhaus, um in Linz als künstlerischer Leiter für darstellende Kunst für die Kulturhauptstadt 09 zu arbeiten. Und schweigt nach wie vor über interessante Projekte denn Dinge, die man zu früh verrät, kommen dann nicht, erklärt er im Augustin-Gespräch. Wie sehen Sie die Stadt Linz?

Oh nein, es geht um Linz (lacht). Ich dachte, es geht um das Schauspielhaus. Es macht mir immer mehr Freude und Spaß, in Linz zu sein. Ich genieße, dass die Stadt so wirklich am Fluss liegt, und weil es darum geht, eine Kulturhauptstadt zu machen, und nicht wie hier ein Theater zu leiten, ist ein Kennenlernen der Stadt auf vielen Ebenen nötig. Neulich waren Gäste aus Amerika da, und wir haben uns innovative Unternehmen im Exportbereich angeschaut. Es gibt in der Stadt Betriebe, die world leaders im Kommunikations- oder High-Tech-Bereich sind.

Und von der Kunst her?

In Linz ist sehr viel los für eine Stadt mit 270.000 BürgerInnen. Das Engagement ist sehr groß. Von der ARS Electronica bis zum Lentos. Unsere Aufgabe ist es, der Kunst, die schon vorhanden ist, einen anderen Stellenwert zu geben und noch zusätzliches Publikum zu gewinnen. Wenn du das Schauspielhaus programmierst, ist dein Publikum immer ein Kulturpublikum. In der Stadt Linz gibt es momentan bei der so genannten normalen Bevölkerung eine offene Energie der Kulturhauptstadt gegenüber. Daher muss man lernen, dass unser Zielpublikum kein von vorneherein schon an der Kunst interessiertes Publikum ist. Das muss man beim Programmieren mitdenken. Linz 09 ist für alle, die in Linz leben und dazu gehören Obdachlose, MigrantInnen, Flüchtlinge … Es ist sehr wichtig, dass die alle einen Raum bekommen. Eine Kulturhauptstadt ist eine komplexe Geschichte, da gibt es nicht ein Thema oder eine Richtung. Im Grunde ist die ganze Stadt Bühne, und man muss lernen, die erst einmal zu bespielen. Mein Arbeitsweg sieht immer so aus, dass ich mich für Künstler und Künstlerinnen von internationalem Rang entscheide, bei denen ich das Gefühl habe, die würden in einer Stadt etwas zu erzählen haben. Ich lade Leute nach Linz ein und schaue, ob die Lust haben, für Linz etwas Spezielles zu entwickeln, und dann verknüpfen wir die mit lokalen Künstlern. Auch wenn es nur ein Jahr ist, versuche ich einen intensiven Dialog stattfinden zu lassen.

Sie sind ja nicht der Erste, der offene Konzepte mit prozesshaftem Charakter vertritt. Stella Rollig, die Leiterin des Kunstmuseums Lentos, wurde genau dafür heftig angegriffen …

Ich finde das Lentos ein sehr aufregendes Museum, und nur weil z. B. von der Kronenzeitung das Prozesshafte angegriffen wird, ist es ja nicht falsch. Kunst entsteht aus Prozessen. Sicher kann man alles, was gut und teuer ist in dem Jahr, einladen, aber da tut man dem Publikum und der Stadt nichts Gutes. Bei meiner Aufgabe geht es darum, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, damit gute Prozesse stattfinden können. Im Juli ziehe ich nach Linz, weil ich es extrem wichtig finde, in der Stadt zu leben, in der ich arbeite. Das kommt einmal im Leben, so etwas zu machen, und das ist bei mir jetzt

Vom Schauspielhaus her: Hat sich das Konzept in den Jahren getragen?

In der allerersten Voraufführung von Medea saß ich im Publikum, und die Wand ging auf und die wunderbare Melita Jurisic kroch kroatisch redend aus dieser Lade heraus, und hinter mir sagte eine Stimme: Das ist ja nicht Deutsch, so eine Frechheit. Da wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass Medea schon Stadtgespräch wurde, gab uns viel Auftrieb. Wir entwickelten ein anderes Bewusstsein für ein Theater für alle. Bei Saray kamen türkische, in Wien lebende Menschen ins Theater, bei den Troerinnen koreanische, bei den Vorstellungen für Gehörlose und Blinde saß ein gemischtes Publikum. Es entwickelte sich eine sehr internationale offene Szene um das Haus. Wir konnten ein Stück in Kambodschani machen, und die Bude war voll. Das hätte wohl niemand gedacht, dass das außerhalb der Wiener Festwochen möglich wäre. Und letztendlich war es auch ein Haus mit Produktionen für und über Wien, wie z. B. Familientisch, das in sieben Sprachen von in Wien lebenden Menschen erzählt. Familientisch ist ein utopischer Entwurf für Wien. Jetzt bei der Neuauflage in der dritten Generation dieser Produktion ist schon fast alles ausverkauft.

Das Konzept klingt sehr offen …

Wir wollten Leute einladen, die diesen Blick von außen auf unsere Gesellschaft haben, die können oft schneller, schärfer und analytischer agieren, die bringen keinen Ballast mit. Ich glaube, dass meine Linie für manche meiner Wiener Kollegen, die nicht am Haus gearbeitet haben, zu streng war, aber das Haus musste eine Identität nach außen ausstrahlen. Ich war sehr konsequent darin, auch denen eine Stimme zu geben, die in unserem Kulturleben keine Stimme haben, z. B. in Bezug auf Sprachen, die ich auf der Straße aber nie im Theater höre. Es war aber nicht Exotismus oder Folklorismus, sondern machte inhaltlich Sinn, z. B. eine Aufführung auf Türkisch zu machen.

War das politisches Theater?



Theater ist immer politisch. Auch wenn man versucht, nicht politisch zu sein, das ist ja auch ein Statement. Man kann ja auch mit sinnlichem, humorvollem Theater in starker Bildsprache vermitteln.


Wie war der Abschied von Regisseur Barrie Kosky?

Natürlich denkt man, man hätte es auch zusammen zu Ende bringen können. Eine Arbeitsbeziehung von viereinhalb Jahren ist lang. Niemand kannte Barrie Kosky vorher, es war auch die Weitsicht von Marboe, uns beiden das Haus zu geben. Wir machten in sechs Jahren sechs Koproduktionen mit den Wiener Festwochen. Wir spielen auf fast allen Kontinenten, von Australien bis Amerika bis Asien. Aus Südafrika hatten wir junge Techniker, die bei uns lernten. Ich höre zwar am 30. Juni auf, aber Saray spielt in Mannheim, Poppea beim Edinburgh Festival, Die Troerinnen gehen nach Korea und Amerika, Das verräterische Herz geht nach Australien es hallt noch schön nach. Ich glaube, so viel im Ausland hat kein anderes österreichisches Theater gespielt.

Wie haben Sie das geschafft mit der Unmenge an Arbeit?

Wenn man etwas tut, was man gerne macht, ist das kein Problem. In den sechs Jahren gab es wenig Pausen. Ich bin kein Premierendirektor, sondern gerne im Haus, schaue zu und beobachte Leute und Produktionen beim Wachsen. Ich hatte wunderbare kaufmännische Direktorinnen und RegisseurInnen mit einer eigenen Theatersprache. Es gibt, glaube ich, wenige künstlerische Leiter, die sagen können, ich hatte alles. Alles, was ich mir mit den Künstlern erträumt habe, hat stattgefunden. Es ist alles genauso passiert. Und kam auch so auf die Bühne. Ich habe meine eigene künstlerische Arbeit mehr in den Hintergrund gestellt, denn mit internationalen Menschen intensiv zu arbeiten, erfordert viel Zeit. Wenn jemand wie Ong Keng Sen nach Wien kommt, musst du ihn betreuen. Du musst ihn zuerst mal finden, und dann musst du schauen, dass er herkommt.

Sie und Ihr Team werden eine Lücke hinterlassenn …

Mit dem Motto Treten Sie ein in eine andere Welt haben wir etwas in den Raum gesetzt, das sich wirklich als andere Welt versteht. Ich denke, das Theater, das es war, wird es sicher in den nächsten Jahren in Wien nicht geben. Ein Theater, das sich so für andere Kulturen interessiert. Viele in der Stadt meinten, man braucht dieses Multi-Kulti-Haus nicht, aber letztendlich entscheidet das Publikum, was es braucht und was es nicht braucht.



Wie ist eigentlich die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur entstanden und wie schaut sie aus?

Die Aktion entstand aus dem Bedürfnis ein Theater, das mit öffentlichen Mittel gefördert wird, so offen wie nur möglich zu gestalten. Die Schwelle für die Menschen zu reduzieren, die sich Theater nicht leisten können. Man ist von vielem ausgeschlossen, wenn man kein Geld hat in dieser Gesellschaft, und man sollte nicht aus dem Kulturleben, das ein Teil eines gesellschaftlichen Rituals ist, auch ausgeschlossen sein. Andere Menschen können die Karten für Menschen, die sich das nicht leisten können, kaufen. Es ist sehr leicht, in die Armutsfalle zu tappen. In Wien machen über 30 Kulturinstitutionen mit über 80 Sozialeinrichtungen, die die Pässe verteilen, mit. Das Arbeitsmarktservice, Städte wie Graz und Salzburg und jetzt auch das Land Oberösterreich haben sich der Aktion angeschlossen. Hunger auf Kunst und Kultur wird nun ein selbstständiger Verein, denn das wird einfach zu viel für das Schauspielhaus.

Kann ich nicht schon irgendein Beispiel von Linz haben? Es gab die Warnung, dass nichts ausgelassen wird, als was dann eh schon auf der Homepage steht.

Nein (lacht). Über darstellende Kunst steht nichts auf der Homepage. Weil der Berg sagt nichts. Das Projekt Schaurausch ist schon passiert, denn dass was läuft, verrät man ja, dass was 2009 kommt, verrät man nicht. Es ist noch zu früh. Das hat auch mit Aberglauben zu tun: Dinge, die man zu früh verrät, kommen dann nicht. Ich bin dafür, die Pläne immer gemeinsam und ordentlich zu verraten und nicht scheibchenweise. Nix wird verraten, denn es muss ja in sich stimmig sein. Man muss ein bisschen Spannung erzeugen.

Mit verschiedenen Methoden, oder?

(Airan Berg schweigt und lacht.)

Mit Airan Berg sprach Kerstin Kellermann