Was ich noch erleben möchteDichter Innenteil

Meine Bucket-List* für Österreich nach der Angelobung

Bld: Der Mann der vom Himmel fiel (Illustration von Jella Jost)

Ich möchte so vieles noch erleben. Ach, wäre ich doch Esoterikerin. Ich hätte dann einfache Erklärungen für die Welt, ich würde denken, ich schicke meine Wünsche ins Universum, und wenn mich das Universum erhört (nur wenn ich es sehr brav und richtig mache), dann kriege ich all das, was ich mir wünsche (fällt ja einfach wie Regen vom Himmel). Ich kenne ernsthaft solche Leute. Ja. Das ist wie mit dem Christkind. In der Nacht legt man meinen Wunschzettel vors Fenster und das Christkind holt ihn ab, fliegt wieder rauf mit seiner Drohne mit dem Kreuz drauf zum allseits verehrten Vater und holt sich aus dem Super-Gott-Markt exakt jene Patriarchen-Suppe, die man dann unten auf der Erde auszulöffeln hätte.
Diese absurde Sichtweise findet sich auch bei Wähler_innen. Sie schmeißen ihren Christkindl-Zettel in die Urne und erhalten in der Tat vom Universum den politischen Protagonisten, der vom Himmel fiel. Zack. Bum. Aus dem Nichts. Dann wird richtig Scheiße gebaut, gezockt, betrogen, korrumpiert. Und dann wieder: zack. Weg ist er. Wieder zurück ins Nichts. Bis zum nächsten Christkind. Letztlich ist es so einfach, wie es aussieht, aber es tut doch verdammt weh, dabei zuzusehen, wie das Land sich verändert, kalt wird, man reicht die Hand nur mehr, wenn es produktiv ist, Vorteile bringt, sagte Life-Ball-Gründer Gery Keszler richtig. Und es schmerzt so sehr, weil ich dieses Land liebe, meine Freunde, meine Familie, die Berge, die Seen, den Zentralfriedhof, die Heurigen, das Musizieren, das Dudln und das Gänsehäufl – ja ok, auch die Fahrradwege und die Mahü. Weil wir alle hier miteinander friedlich leben wollen. Und es schmerzt so sehr, weil es so viel Arbeit ist, den zähnefletschenden Rüden den Beißkorb umzuschnallen und gesellschaftlich akzeptable Manieren beizubringen.

Mich wundert, dass es bis dato noch keine übergriffige sexistische Bemerkung über unsere Bundeskanzlerin gegeben hat? Kann das sein? Sollte Österreich in der Lage sein sich zu wandeln? Diesen Zettel hatte ich dem Christkind gar nicht mitgegeben! Ich halte das für eine österreichische Sensation. In Notzeiten hebt man uns Frauen gerne in den Regierungspalast. Erinnern wir uns an Susanne Riess, die erste Vizekanzlerin im Jahr 2000. War das ein gutes Omen für das Millennium? Möglicherweise. «Ich war jung und eine Frau, ein doppeltes Handicap», sagt Susanne Riess in der Zeit. «Königskobra» lautete einer ihrer vielen respektlosen Beinamen, die sie aus einem trivialen Grund erhalten hat: «Weil ich als Frau Sachen gemacht habe, die man bei einem Mann super finden würde», sagt sie. Und falls es nicht abschätzig wird, dann zumindest verniedlichend und aufs Mütterliche reduzierend. Die ÖVP-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic nannte sich selbst Landes-Mutter, was vielleicht nicht so klug war, denn sie wurde verniedlichend zur «Landes-Mutti». Würden wir aber jemals die Bezeichnung Präsidenten-Opi oder Kanzler-Pappi in den Mund nehmen? Mitnichten. Ich bitte euch. Nehmt euer Tun und Handeln ernst. Macht euer Kabarett zu Hause oder auf der Insel. Für Frau Klasnic schrieb ich damals ein Gedicht, als sie zur «Opferbeauftragten» der katholischen Kirche befugt wurde, um die zahlreichen Missbrauchsfälle aufzuklären:

 

Grüß Gott, Kirche. Katholisches Fegefeuer. Na und ob. In ständiger Behausung Verhütung Moralisierung. In jedem Schlafzimmer aus Spaß über Kohle gehen. Nein ganz im Ernst. Lebenszensur Zäsur und Gedankenkastration. Glaubensverstümmelung und Volksbeschneidung. Tarantella im Tabernakel. Abendland Abendrot Abendbrot. Das ist Angst die Grüß Gott sagt. Die Hand streicht über doppelten Boden und fährt in verschlossene Türen. Man ruft Frau K. Sie solle bitte bügeln und glätten. K. wie Klasnic: mütterlich weise umsorgend treu ehrlich warm-herz-ig auf-richtig natürlich echt gerad-linig unerschütterlich auf-opfer-nd. Das Opfer! Schreien Sie bitte! Schreien Sie laut!!! K. wie Kinder, Küche, Kirche: Das Säubern. Das Kümmern. Das Erledigen. Das Aushalten. All diese Jahre Tausende an der Zahl überzeugen nicht! All diese Wunder wundern nicht! Äonen Generationen Galaxien! Ich drucke Gedichte auf Papier für Frauen mit oder ohne K. Auch Sie vergilben. Sind eines Tages nicht mehr da. Wen kümmert es. Aber Grüß Gott!

 

Ich widersetze mich

 

«Eine Eisbrecherin verändert noch nicht die politische Kultur», sagt Maria Rauch-Kallat. Das ist richtig und genau deshalb brauchen wir die Gleichstellung der Geschlechter, durchgehend in allen Bereichen. Das muss endlich Normalzustand werden. Denn:

Ich widersetze mich, bei jeder Frau, die in ein wichtiges Amt gehoben wird, zu jubilieren! Ich widersetze mich, sexistische und gewalttätige Postings über Frauen zu lesen, ohne rechtliche Folgen für jene, die das geschrieben haben! Ich widersetze mich, jeden Tag aufs Neue aufzustehen, Frühstück für meine Kinder zu machen, zur Arbeit zu gehen und abends völlig erschöpft ins Bett zu fallen, mit dem Wissen, dass ich es nur zu einer Mindestpension schaffen werde, egal wie sehr ich mich erschöpfe! Ich widersetze mich, für meine Arbeit 36 % weniger Bezahlung zu erhalten als Männer, bei gleicher Leistung! Ich widersetze mich, jüngere Frauen von der Wichtigkeit des Feminismus überzeugen zu müssen! Ich widersetze mich, von Männern mit misogynen Methoden runtergemacht zu werden! Ich widersetze mich, wenn ich mich dabei erwische, wie ich dieselben verinnerlichten patriarchalen Methoden anwende, um mich zu wehren! Ich widersetze mich, wenn die Darstellung von Gewalt in Pornos, das Mann-Frau-Macht-Gefälle und die vorwiegend männlich verwaltete Pornoindustrie verharmlost werden! Ich widersetze mich, wenn schwarze Limousinen mit dröhnender Musik pulsierend vibrierend, mit bärtigen Insassen, in einer 30er-Zone mit 80 km/h an mir vorbeipreschen und ich das Glück hatte, nicht einen Schritt nach links getreten zu sein! Ich widersetze mich der alltäglichen sichtbaren und unsichtbaren Gewalt von Männern! Ich widersetze mich, auf Facebook meine Zeit damit zu vertun, um Irregeleiteten und Wahnsinnigen zu antworten! Ich widersetze mich, wenn man ältere Frauen mit Oma anspricht! Ich widersetze mich, dass über die Klitoris nicht genauso gesprochen wird wie über den Penis! Ich widersetze mich, nach einer weiblichen Ärztin fragen zu müssen, wenn mich ein männlicher Arzt gynäkologisch untersuchen will! Ich widersetze mich, dass das Jungfernhäutchen eine Bedeutung hat, der sich Männer bedienen können! Ich widersetze mich zu sehen, wie Mütter die patriarchalen Strukturen in den Familien übernehmen! Ich widersetze mich, von angeblicher Tradition zu hören, obwohl es um die Kontrolle unserer weiblichen Körper geht! Ich widersetze mich, darüber nachzudenken, wohin das alles führen kann, wenn diesen Denksystemen nichts entgegengesetzt wird! Ich widersetze mich, meine Lebensweise rechtfertigen zu müssen! Ich widersetze mich, zusehen zu müssen, wie die Zerstörung der Welt und der Erde geleugnet wird! Ich widersetze mich, Angst um die Zukunft meiner Kinder zu haben! Ich widersetze mich, nicht zu wissen, wie es für mich im Alter sein wird! Ich widersetze mich, als weibliches Stereotyp gesehen zu werden. Ich widersetze mich, als Künstlerin mit Almosen abgespeist zu werden! Ich widersetze mich, mein Leben nicht genauso leben zu können, wie ich es will. Ich widersetze mich jeder Art von Chauvinismus, Androzentrismus und überholter Männlichkeitsbilder! Ich widersetze mich jeglicher Art von Überlegenheitsgefühlen! Ich widersetze mich den untergriffigen Blicken von Männern, die tatsächlich glauben, sie wären Frauen allesamt überlegen! Ich widersetze mich dem Gedanken, dass Kriege notwendig seien! ich widersetze mich nicht dem Gedanken, dass Welt-Frieden umsetzbar ist! Das ist befreiend. Und mithilfe der Poesie kann ich Bilder ausdrücken, an die ich mit meinem Verstand allein nicht rankomme.

 

War es nicht eines Morgens so klar, als würde es wie in den Himmel hinein gehängt erscheinen, die Gedanken wie bunte Tücher und die Erinnerungen, deren Farben, die im Äther den Regenbogen generieren. Wenn alles die Türe hinausfliegt, bleibt nur mehr die Einsicht, sich zu verabschieden. Da stand ich und schaute den Menschen in langen schwarzen Wollmänteln nach, die sich weit weg von meinem Eingang entfernt hatten. Die mit den langen Haaren und der weißen Haut an Händen und Gesichtern. Darin zwei Kohlestücke. Wütend waren sie und kapitulierten. Einer drehte sich um, spuckte aus und hauchte seinen stinkenden Atem laut zu mir herüber. Ich habe nur meine Pflicht getan, hatte ich die Worte meines Vaters noch im Ohr. Ich dachte, es wäre Frieden mit dem alten Stamm von Menschen, die ich nicht kenne und die ich vorher nie gesehen. Zogen und ziehen an meinem Haus vorüber, leise stampfend ihre Stiefel und das Geräusch der schleifenden Mäntel über dem Gras. Es dampfte. Verwundert wie als Kind atmete ich die kalte Luft. War es nicht eines Morgens so klar, als würde es nie wieder passieren können?

 

INFO:

Frauenhelpline: Tel.: 0 800 222 555

Gewaltfreies Alter: www.gewaltfreies-alter.at

ZARA – Gegen Gewalt im Netz: www.zara.or.at

 

* Bucket-List ist sozusagen die allerletzte To-do-Liste, denn «Kick the bucket» heißt in den USA «den Eimer treten» und bedeutet «den Löffel abgeben». Diese wohl wichtigsten To-do-Listen des Lebens werden z. B. auf Bierdeckel gekritzelt, mit den besten Freunden ausgebrütet oder nach lebensverändernden Ereignissen, wie einer schweren Krankheit, auf Papier festgehalten.