«Was ihnen zusteht»vorstadt

Lokalmatadorin

Franziska Haberler bringt ihre Weltsicht in einer Brennpunktschule im 20. Bezirk ein.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Drei Schüler_innen aus ihrer Klasse: «Die Tochter eines Schuldirektors, die auf ihrer Flucht aus dem Mittelmeer gefischt werden musste. Ein junger Mann mit Bart, vier Jahre älter als alle anderen. Eine Elfjährige, die Älteste von vier Geschwistern, die von der Mutter aufgrund ihrer psychischen Probleme ferngehalten werden und die mit ihrem Vater auf 43 m2 wohnen.»
Franziska Haberler sitzt jetzt alleine in ihrem Klassenraum. Die Schulglocke läutet an diesem Montagnachmittag nicht mehr. Sie arbeitet in einer (Neuen) Mittelschule in der Brigittenau, nahe des Wallensteinplatzes. Ihre Bilanz nach dem ersten Schuljahr erlaubt keine Schönfärberei: «Es gibt in meiner Klasse so gut wie kein Kind, das eine halbwegs geradlinige Biografie hat.»

Hohe Wellen.

Die Quereinsteigerin hat im Sommer des Vorjahrs bei der gemeinnützigen Bildungsnitiative «Teach for Austria» angedockt und dort eine pädagogische Zusatzausbildung absolviert. Ihr sind hohe Wellen und soziale Ungleichheit aus ihrem früheren Leben nicht fremd. Dennoch hält sie fest: «Die Heftigkeit an unserer Schule hat mich am Anfang doch überrascht.»
Ihr Auftrag ist klar formuliert: «Ich kümmere mich um jene Schüler_innen, die aufgrund einer sozialen Benachteiligung bereits ins Hintertreffen geraten sind.» Dadurch sollen die Kolleg_innen an der Schule entlastet werden.
Ihre Einschulung war intensiv. Dabei musste die gebürtige Bayerin das Unterrichten nicht extra erlernen: «Ich bin mit meinem Mann und meinen vier schulpflichtigen eigenen Kindern zuvor vier Jahre lang auf einem Katamaran um die Welt gesegelt. Da musste ich meine Kinder selbst unterrichten.»

Rohe Gewalt.

Es ist jetzt ganz ruhig in dem mehrstöckigen Schulhaus. Nur der Schulwart ist noch am Werken. Franziska Haberler erzählt. Sie ist in einer alternativen Lehrer_innen-Familie in Bielefeld aufgewachsen. Die Stadt in Ost-Westfalen gilt seit den 1970er-Jahren als Zentrum für Reformpädagogik.
Viel hat sie gelernt: Von ihren friedfertigen Eltern, auch im Sprachstudium in Berlin und Graz (Anglistik, Texttechnologie, Deutsch als Fremdsprache), bei der Arbeit in ihrer eigenen Kneipe in Bielefeld, im Europaparlament in Brüssel und im Goethe-Institut in Santiago de Chile sowie beim Navigieren über stark aufgewühlte, Angst einflößende Ozeane. Auf eine Frage hat sie jedoch niemand vorbereitet. Diese Frage beschreibt Franziska Haberler so: «Wie gehe ich mit roher Gewalt an der Schule um, wie mit den Schlägereien in den Parks?»
Immerhin konnte die Neue in ihrem ersten Jahr aufgestaute Energie in andere, in positive Bahnen lenken. Mit Schaudern, aber auch mit ein wenig Stolz über ihren Mut erinnert sie sich etwa an den Moment, als der kleine, aus dem Jemen stammende Mohamed mitten in einer Eskalation «fast explodiert wäre».
Doch dann habe sich der Bub plötzlich ganz fest an sie geklammert: «Der hat so zu heulen begonnen. Er hat mir meinen Kaschmirpulli vollgerotzt. Der brauchte in diesem Moment einfach eine Mam.» Seit diesem Tag vertraut er ihr als Lehrerin – voll.
Franziska Haberler hat gute Gründe, warum sie sich am Ende ihrer Reise um die Welt in Phuket auf ein Inserat von «Teach for Austria» gemeldet hat: «Ich durfte in meinem Leben so viel sehen, so viel erleben, gemeinsam mit meiner Familie. Für mich ist es nun an der Zeit, etwas zurückzugeben. Das ist meine Bringschuld. Ich möchte, dass diese Kinder mehr bekommen, nämlich das, was ihnen zusteht.»
Dementsprechend leidenschaftlich geht sie an ihre Aufgabe heran. Das beginnt damit, dass sie sich an jedem Sonntag von ihren eigenen Kindern und von ihrem Mann in Graz verabschiedet, um nach Wien zu fahren, wo sie sich «zu hundert Prozent» auf ihre Aufgabe in der Schule konzentriert. Sie trägt das auch äußerlich zur Schau: Aus Respekt vor ihrer Klasse erscheint sie an ihrem Arbeitsplatz stets schön gekleidet.

Frohe Kunde.

Wie viel möglich ist, wie viel noch aufgeholt werden kann, ist am Beispiel des 14-Jährigen in ihrer Klasse abzulesen. Drei Mal schon musste er die erste Klasse wiederholen. Doch jetzt hat er es endlich gepackt! Kurz vor Schulschluss verriet er seiner Lehrerin, was ihm seine Mutter anvertraut hatte: «Sie würde glücklich sterben, sollte ich doch noch meinen Weg machen.»
Heute ist Franziska Haberler ein Leuchtturm bei «Teach for Austria». Bevor sie anheuterte, wurden ausschließlich hochqualifizierte Jungakademiker_innen ausgebildet. Nun sind mit ihr auch ältere Kolleg_innen mit an Bord, mit dementsprechend mehr beruflicher Erfahrung.

Mehr über TFA: www.teachforaustria.at