Wien feiert queer-migrantische Weltpremieren
Queer-migrantische Filmtage, das klingt nach etwas, was Rio de Janeiro oder Berlin Kreuzberg schon längst erfunden haben. Denkste! Der Wiener Verein Migay ist zumindest lässt sich kein Gegenbeweis finden Urheber dieser einleuchtenden Idee. «Es geht um Sichtbarkeit, und kein Ort ist dafür besser als die große Kino-Leinwand», begründet Yavuz Kurtulmu, Obmann von Migay, die Formatwahl.Migrantisch ok, aber queer? Was soll das sein? «Das kann alles abseits der heterosexuellen Norm sein.» Egal also, ob lesbisch, schwul, bisexuell oder transident. Oder noch nicht entschieden. Oder entschieden, sich nicht zu entscheiden. Und am liebsten, so Kurtulmu: «Menschen, die sich um solche Etiketten gar nicht scheren.»
Solche Menschen, die sich um Etikette nichts, aber um queer-migrantische Politik viel scheren, finden sich dann auch bei den Filmtagen ein. Die sind im Wiedener Schikanederkino untergebracht, das ja selbst kein Zentrum der strengen Heteronormativität ist. Das war übrigens das erste Kino «der ganzen Monarchie» (so Muhamed Mei von Migay), das von einer Frau geleitet wurde: Amalie Wellean bekam im Jahr 1906 die «Kinematographen-Lizenz» zugesprochen.
Alles geht
Was ist so speziell an der Kombination queer und migrantisch? Ulrike Lunacek, Europaabgeordnete der Grünen und erste offene Lesbe im österreichischen Parlament, vermutet in ihrer Videobotschaft, die direkt aus dem weiten Europa auf die Schikanederleinwand gebeamt wird: In der Mehrheitsgesellschaft wurde Homophobie längst überwunden in den migrantischen Communitys ist es halt noch nicht so weit. Ich sehe mich im Kinosaal um, ob noch jemandem die Kinnlade runterfällt.
Muhamed Mei, der durch den Abend moderiert, sieht die Angelegenheit ein bisschen differenzierter: Erstens ist es schwierig, in der Enge einer Community, die sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft behaupten muss, auch noch «damit» zu kommen. Zweitens gibt es klare Unterschiede darin, wie konservativ verschiedene Zusammenhänge sind. Zitat: «Das harmlose Ende der Skala ist meine Großmutter, die aufgegeben hat, mich mit einer Frau verkuppeln zu wollen. Das probiert sie jetzt stattdessen bei meinem Freund.» Das brutale Ende seien Leute, die von ihren Eltern zwangsheteroverheiratet werden. Und gar, wie im Fall eines jungen Wahltirolers, ermordet, wenn sie sich nicht fügen. Drittens: Es gibt für «Nicht-Heteros mit Migrationsvordergrund» einen unausgesprochenen Druck, sich identitär zuzuordnen. «Die Leute fragen sich: Bin ich Lesbe oder Türkin? Bin ich Bosnier oder schwul?» Es erübrigt sich zu sagen: Migay findet, es gehe auch alles auf einmal. Und viertens, so Mei, hier werde es für die mit Mehrheitshintergrund interessant: «Rassismus ist nicht den Heteros vorbehalten.» Darum also diese Filmtage.
Der Eröffnungsfilm «Saa» schafft es auf beeindruckend ungestelzte Weise, alle diese Fragen zu thematisieren. In kleinen, leisen Szenen, wenn etwa der deutschstämmige Liebhaber (Gebhard) die klassenbewusste Stirn runzelt, weil der montenegrinisch-kölnische Counterpart (Saa) vor einem Frühstücksensemble in Weiß und Beige fragt: «Was soll denn das sein, Sojamilch? Macht man daraus Sojasauce?» In langen, lauten Momenten, in denen der eifersüchtige Saa den schwarzen Lover von Gebhard rassistisch beschimpft. Und in pastellfarbenen Passagen, in denen Saa und seine beste Freundin Jiao ihre Identitäten verhandeln. Und ihre Arten zu lieben. Und immer wird gekontert. Saa kommentiert das Müsli mit Sojamilch mit einem unbeeindruckt herzhaften «Wäh». Der rassistisch angegriffene Mann in der Bar schlägt kurzerhand zu. Und Jiao hält nicht hintern Berg mit ihrer Verliebtheit in den vielleicht ist das nur eine Phase, Saa? schwulen Freund.
Jiao wird genauso wie Saa dazu getrimmt, die Aufnahmeprüfung aufs Konservatorium zu schaffen (weil es da jeweils einen Elternteil gibt, der sich das genau so für sich selbst gewünscht hätte). Sie stellen eine junge Generation von Kölner_innen dar, die mit den Vorstellungen der ihnen vorgesetzten Erwachsenen zu kämpfen haben wie die meisten jungen Generationen. Mit der Spezialität, dass Saas Vater schon mal zur Pistole greift, wenn ihm die Felle davonzuschwimmen drohen. Und dass die Enttäuschung der Väter und Mütter mehr Schwere hat, in einem Leben, in dem der Aufstieg der Kinder auch die Ankunft der Eltern in dieser nicht immer sehr herzlichen Gesellschaft sichern soll. Ansonsten spielt sich zwischen Saa und dem Rest der Filmwelt ein ganz gewöhnliches Coming-out in der «rosa Stadt Köln» ab, in der, so Saas kleiner Bruder, «das doch mittlerweile ganz normal ist. Also nicht dass ihr denkt, ich … aber es gibt viele davon.»
«Saa» läuft nicht nur in deutschsprachigen Kinos, es war auch schon im montenegrinischen Fernsehhauptabendprogramm zu sehen. Der Regisseur Dennis Todorovi, Schwabe (so sagt er entschuldigend auf die Frage, ob das Aufwachsen in Köln autobiographische Züge habe), wurde kurz nach der Fertigstellung des Films auf eine Konferenz eingeladen, organisiert von der montenegrinischen Regierung. Dort wurde beschlossen, den Film im Fernsehen laufen zu lassen: «Am Donnerstag gab es den Beschluss, und Samstagabend lief er im Hauptabendprogramm.» Als Top-down-Politik bezeichnet Todorovi diese Art der Scheinpädagogik. «Das soll ein billiges Ticket Richtung EU sein. Seht her, wir machen hier alles richtig.» Ob Montenegro gebannt vor dem Fernseher saß, kann Todorovi auch nicht beantworten. Nur so viel: «Mein Onkel hat meinem Bruder gesagt, er habe mich im Fernsehen gesehen. Und dass ich meine Antworten sehr schön formuliert habe. Und dass danach auch mein Film gelaufen sei, aber leider habe er das Fußballspiel am anderen Sender ansehen müssen.» So gesehen gibt es dann doch wieder Parallelen zwischen Montenegro und Österreich.
Liebe deine_n Nächste_n
Nicht nur migrantisch und queer will unter einen Hut gebracht werden. Konservativ kann auch eine ganz gut verwurzelte Familie sein: Wenn sie zum Beispiel der strengen Religiosität frönt sei es in einem schwäbischen Dorf oder in einer israelischen Stadt. «Du sollst nicht lieben» (Haim Tabakman) erzählt die Geschichte von Ezri und Aaron, die nicht nur ihre eigenen Tabus, sondern die der gesamten Ultraorthodoxie zu überwinden haben, um einander näher kommen zu dürfen. In einem Jerusalemer Stadtteil begegnen die beiden ein Fleischer und ein Student einander, und Aaron blüht auf: «Ich war tot. Jetzt lebe ich», sagt er dem Oberrabbiner, der sich bei aller gepredigten Toleranz («Gott will, dass wir genießen») zum Eingreifen bemüßigt fühlt. Und fängt dafür eine Watsche. Besser noch als der Ungnade der «Glaubenshüter» ausgesetzt zu sein, die unangekündigte Besuche machen und Unpässlichen nahelegen, aus dem Viertel zu verschwinden. Aaron und Ezri ist nur ein kurzer, verregneter Frühling der Gefühle vergönnt. Aber der hat sie immerhin das Glücklichsein gelehrt. Wieso diesen Film in Wien zeigen? «Es gibt einen Haufen bucharischer Jüd_innen in Wien. Viele davon sind streng gläubig. Und nicht alle heterosexuell.» Denen möchten die Veranstalter_innen sagen: Manchmal geht auch das, was unmöglich scheint.
Religiös-dogmatisch geht es auch im katholischen Europa zu: In «Yes, we are» erzählt Magda Wystub vom lesbischen Alltag in Polen. Was ist das, eine Lesbe?, werden Leute auf der Straße gefragt. Und alle wissen eine Antwort. Von einem simplen «Eine Frau, die auf Frauen steht» bis hin zu «Eine Frau, die sag ich mal, weil ich bin tolerant abseits der Norm ist». Und gibt es solche in Polen? Hm … nein. «Ich hab noch nie welche gesehen.»
Kein Beweis besser, dass es also dort, wo es wohlgemerkt möglich ist, um Sichtbarkeit gehen muss. Und so sehen es auch die Aktivist_innen der Pride-Parade: «Es geht darum, sich zu zeigen, damit die Leute sehen, wie wir aussehen, dass das keine Wesen aus dem All ist, diese Lesbe», sagt eine Aktivistin, ganz pragmatisch. Sie steht auf der mobilen Bühne einer Demonstration, die durch Polizeikordone von einem Trupp brüllender Neonazis abgegrenzt wird.
Und weil es nicht nur Diskriminierung und heteronormative Besserwisserei gibt und auch nicht «nur» marodierende Neonazis, sondern in einigen Ländern auf das «Verbrechen» Homosexualität die Todesstrafe verhängt werden kann, verstehen die Migays ihren Kampf als einen transnationalen: «Wie kann die Regenbogenparade in Wien nicht nur als Partymeile, sondern auch als ein Ort gesehen werden, an dem ein Zeichen der Solidarität für verfolgte Homosexuelle in den Herkunftsländern gesetzt werden kann? Es geht dabei um alle diese Fragen an der Schnittstelle zwischen Migration und Sexualität.»
Für alle, die das Festival heuer einfach übersehen haben: Migay bleibt dran. Und wer weiß wenn uns das Glück hold ist, wird der queer-migrantischen Lichtbildaufstand nächstes Jahr vielleicht nicht mehr nur im Szenekino, sondern im Multiplexx geprobt.
www.migay.at