Was lockt den Exekutor in die Meldemannstrasse?tun & lassen

Der absurdeste Amtsweg des Universums

Die Meldemannstraße 25 ist mehr als eine Adresse, sie ist eine Metapher. Weiter hinunter geht’s nicht mehr – dafür steht sie. Der ultimative Rand-Ort für den Habenichts. Ein Ort mit 337 Betten, von denen meistens nicht alle belegt sind (weil selbst die Sandler diese Adresse scheuen). Hier gibt’s absolut nichts zu holen, sollte man meinen. Was soll also der regelmäßige Besuch des Exekutors im Obdachlosenasyl Meldemannstraße? Was kann der hier anderes machen als unnötige Kosten verursachen?Wem schulden Obdachlose Geld? In der Regel der „öffentlichen Hand“. Zum Beispiel den Wiener Verkehrsbetrieben. Oder den Spitalserhaltern. NEWS-Journalist Karl Wendl hat in seiner Gast-Reportage für den AUGUSTIN (Ausgabe Nr. 49, Jänner 2000) an eine Episode aus seiner journalistischen Lehrzeit erinnert. Wendl musste für den „Kurier“ einen Exekutor bei seiner Tour durch die Stadt der Schuldner begleiten. Die Meldemannstraße war die letzte Station des professionellen Geldeintreibers. Wendl: „Ein völlig sinnloses Unterfangen. Es ging darum, von einem Sandler, der beim Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt worden war, rund 3000 Schilling einzutreiben“. Der Exekutionsbeamte verteidigte gegenüber dem Reporter seine kafkaeske Jagd auf Habenichtse: „Warum sollen Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in einen elendiglichen Zustand geraten sind, gesetzlos leben dürfen?“ Der „Gesetzlose“ hatte – im konkreten Fall – die Verkehrsbetriebe um siebzehn Schilling betrogen, soviel kostete zu diesem Zeitpunkt der Einzelfahrschein. Wiederholtes Scheitern der Geldeintreibungsversuche hatte seine Schulden binnen zwei, drei Jahren auf die Höhe von 3000 Schilling katapultiert.

Kaum zu glauben, diese (teure!) Gschaftelhuberei des von öffentlichen Stellen beanspruchten Exekutionsgerichts auf einem Boden, der per definitionem Pfändungserfolge ausschließt – dachte sich der gesetzeskundige AUGUSTIN-Leser Kurt Harnisch. Umgehend informierte er uns:

„Sollten die Behauptungen (Karl Wendls) hinsichtlich Exekution und Exekutionskosten sowie die Eintreibung durch einen gerichtlichen Exekutor den Tatsachen entsprechen und mehrere Obdachlose hievon betroffen sein, darf ich zur Erledigung im Sinne der dadurch Verfolgten anregen: Gemäß § 39 Abs. 1 Zif. 8 der Exekutionsordnung ist die Exekution unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Exekutionsakte einzustellen, wenn sich nicht erwarten lässt, dass die Fortsetzung der Durchführung der Exekution einen die Kosten dieser Exekution übersteigenden Ertrag ergeben wird.

Da jeder Richter, Rechtspfleger etc. verpflichtet ist, die geltenden Gesetze einzuhalten, ist zweifellos schon die Exekutionsführung im Obdachlosenasyl Meldemannstraße bedenklich und hat der Exekutor amtswegig das Gericht von der Situation, die er vor Ort erkennen musste, zu informieren, und hat dann das Gericht gesetzeskonform tätig zu werden. Es hat derartige Exekutionen, von denen schon aus dem Exekutionsamtswege erkennbar ist, dass der Beklagte obdachlos ist bzw. in einem Obdachlosenasyl wohnt, nicht zu bewilligen bzw. einzustellen und die uneinbringlichen Kosten dem Betreiber vorzuschreiben. Mit einer entsprechenden Unterstützung sollte dies für alle Obdachlosen durchsetzbar sein.

Hinsichtlich der Kosten eines allfälligen Verwaltungsstrafverfahrens ist auf § 64 Abs. 4 VStG zu verweisen, der bestimmt: Von der Eintreibung der Kostenbeiträge und der Barauslagen ist abzusehen, wenn mit Grund angenommen werden darf, dass sie erfolglos wären. Was zweifellos auf Obdachlose generell zutrifft! Sodass eine Erleichterung auch durch das vehemente Bestehen auf die gesetzeskonforme Kostennachsicht zu erreichen sein sollte. Ich hoffe, dass Ihnen diese Ausführungen dienen“, so schloss Kurt Harnisch seinen Brief an den AUGUSTIN.

Ausgestattet mit gesundem Hausverstand sollte man auch ohne Kenntnis der Gesetzestexte zu so einem Ergebnis kommen. Wenig überraschend: Die Verwalter des Obdachlosenasyls Meldemannstraße verfügen über einen solchen und wissen, was in ihrem Etablissement gepfändet werden kann. Nämlich nicht viel mehr als der Dreck hinterm Fingernagel. „Deshalb haben wir den Exekutor auch immer gefragt: Was macht es für einen Sinn, bei uns anzuklopfen?“, so ein Asyl-Mitarbeiter zum AUGUSTIN. „Seine Antwort: Ich muss das machen, weil das so im Gesetz steht. Es ist sein Job, und aus.“

Nach wie vor: Rund einmal im Monat taucht der Exekutionsbeamte in der Meldemannstraße auf, erfahren wir. Bei jedem Besuch hat er einen ganzen Stapel Akte mit, das heißt, er hat gleich 20 oder 25 Schuldner auf seiner Besuchsliste. Die klappert er ab. „Ganz selten ist er dabei erfolgreich“, sagt ein Mitarbeiter der Heimverwaltung. „Die Betroffenen haben zwar oft Fernsehapparate, aber die werden nicht gepfändet, die bringen ja nichts ein.“ Wer denn in der Regel die Gläubiger sind, wollen wir wissen. „In erster Linie kommt der Exekutor wegen der Schwarzfahrerschulden; oft sind es auch Verpflegungs- und Spitalskosten, die eingetrieben werden sollen“, ist zu erfahren.

Fazit: Kommunale, öffentliche Institutionen bestrafen die Armut, in einer Art, die der „Allgemeinheit“ Kosten aufbürdet, die so unnötig sind wie ein Loch im Kopf. Wer finanziert die leeren Kilometer der Exekutoren in den Obdachlosenasylen? Wir hätten da ein paar Vorschläge, wie die entsprechenden Kapazitäten im Justizwesen sinnvoller einzusetzen wären. Aber das ist eine andere Geschichte….

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