Was macht der Klimt in der Secession?Artistin

Der Beethovenfries – das am heißesten umkämpfte Kunstwerk Österreichs

1902 schuf Klimt den Beethovenfries. Heute ist er «das» Ausstellungsstück der Secession. 2015 empfahl der Kunstrückgabe­beirat, den Fries nicht an die Erben von Erich Lederer zu restituieren. Die Provenienzforscherin Sophie Lillie hat über das jahrzehntelange «Ringen um Gustav Klimts Beethovenfries» ein Buch geschrieben.

Interview: Lisa Bolyos, Foto: Michael BigusIm Februar 2018 ist Gustav Klimts hundertster Todestag. Wie kann man sich Klimt 1902 als Künstler vorstellen?

Erfolgreich und kontroversiell. Ein großer Skandal waren die Deckengemälde, die er für die Universität Wien schaffen sollte: Universitätsprofessoren starteten eine Petition dagegen, die Bilder seien vulgär und nicht das, wodurch die Uni sich repräsentiert sehen wollte. Alle Zeitungen berichteten davon, über Nacht wurde Klimt zum skandalträchtigen Liebkind der Wiener Avantgarde. Es gab ein liberales intellektuelles Umfeld in Wien – zu dem die Zuckerkandls, die Wittgensteins und eben die Lederers gehörten –, das Klimt ideell und finanziell unterstützte. In diesem Kontext entstand die Beethoven-Ausstellung in der Secession, in der Max Klinger mit seiner Beethovenstatue und Klimt mit dem Beethovenfries sozusagen die Kassenschlager waren.

2015, als der Beirat gegen die Restitution des Frieses entschied, galt er der Secession wieder als «Kassenschlager»: Rund 75 Prozent der 100.000 Besucher_innen, so zitieren Sie, kämen nur seinetwegen. Klimt war und bleibt also der größte Erfolg der Secession.

Das könnte man so sagen, wobei der Fries zwischen 1903 und den späten 1980er-Jahren gar nicht ausgestellt wurde. Nur zweimal, 1936 und 1943, waren Teile des Frieses zu sehen. Die «Entdeckung» von Klimt, diese Bewegung von privat zu öffentlich, vollzog sich zu einem nicht unwesentlichen Grad 1938. 1928, zehn Jahre nach Klimts Tod, gab es in der Secession die erste große Klimt-Retrospektive mit über 80 Bildern aus fast ausschließlich privaten Sammlungen wie Wittgenstein, Zuckerkandl, Lederer und Bloch-Bauer. Die nächste große Retrospektive fand 1943 statt – und da war der Großteil dieser Bilder bereits in öffentlichem Besitz. Weil so viele der wichtigsten Sammler und Sammlerinnen als Juden verfolgt wurden, gab es mit deren Enteignung für öffentliche Häuser wie die Städtische Sammlung oder die Österreichische Galerie das erste Mal die Möglichkeit, Klimt zu erwerben.

1915 ging der Beethovenfries in die Kunstsammlung der Familie Lederer über. Mit dem «Anschluss» 1938 begann auch für sie eine Geschichte von Verfolgung und Enteignung.

Erst wurde ihr Spirituskonzern unter «kommissarische Verwaltung» gestellt, die Familienmitglieder wurden enteignet, der Geschäftsführer Hans Lederer von der Gestapo verhaftet, er kam ins KZ. Um an Liegenschaften und Kunstsammlung heranzukommen, wurden große Konzernschulden konstruiert. Die Sammlung wurde vom Wiener Magistrat «sichergestellt», um der «Gefahr einer Verbringung ins Ausland» vorzubeugen. Einiges davon ist an Private verkauft oder entschädigungslos zerstört worden, der Fries verblieb in einem Depot.

Machen wir einen großen Sprung: 1945 wird Österreich befreit. Erich, der Sohn der verstorbenen Szerena und August Lederer, kommt aus dem Schweizer Exil nach Wien, um sich um die Restitution des Familienbesitzes zu kümmern.


Er wollte seine Eigentumstitel auf die Sachen geltend zu machen, die von den Behörden «sichergestellt» worden und in Verwahrung der öffentlichen Hand geblieben waren. Nun war der Lederer-Konzern 1938 teilweise liquidiert, teilweise heruntergewirtschaftet worden, und nach dem Krieg gab es Konzernschulden in Millionenhöhe, sodass 1946 der Konkurs eröffnet wurde. Erich Lederer musste auf alle Besitztümer außer der Kunstsammlung verzichten. Auf die hatte er einen Rechtsanspruch – aber es gab Ausfuhrsperren, unter anderem für den Beethovenfries.

Die Konzernschulden wurden großteils von den Nazis konstruiert. Wieso hatten sie nach 1945 Gültigkeit?

Im Arisierungsprozess möglichst viele Schulden zu konstruieren, war gang und gäbe, man hat das gemacht, um Arisierung oder Liquidierung möglichst kostengünstig zu erledigen. Nach 1945 wurden die Eigentümer in die persönliche Haftung genommen. Ich halte es für haarsträubend, dass man diese Schulden geerbt hat.

Der Beethovenfries blieb auch nach 1945 für die Ausfuhr gesperrt.

Es gibt in Österreich schon seit den 1920er-Jahren Ausfuhrgesetze. Einer ihrer Hintergründe war, dass die Familie Habsburg ihre Kulturgüter nicht außer Landes bringen sollte. 1938 wurde dieses Gesetz zum Instrument der Enteignung. Nach 1945 kommt ein spezieller Aspekt dazu: die Ausfuhrverhandlungen seitens NS-Vertriebener. Es war glatte Erpressung: Um eine Sache ausführen zu können, schenke ich dem österreichischen Staat ein paar andere, der lässt sich seine Zustimmung also «ablösen». Nachdem Sachen aus der Sammlung Lederer gefunden wurden, musste Erich Lederer verhandeln, um sie ausführen zu können. Es gab Vorschläge für Schenkungen seinerseits und Wunschlisten der Museen, die unverhohlen deponierten, was sie gerne hätten. Die Albertina etwa wollte gerne eine Auswahl aus der großen Sammlung an Schiele-Blättern. Und Erich Lederer sagte, ok, aber er bittet darum, dass sie keine Familienporträts nehmen. So kamen die Albertina, das Kunsthistorische Museum oder das heutige Wienmuseum zu Schenkungen.

Wurden die Annahme dieser «Schenkungen» jemals geahndet?

Das Vorgehen, das über Jahrzehnte praktiziert wurde, hatte keine gesetzliche Deckung. Genau das greift das Kunstrückgabegesetz 1998 auf: Schenkungen im Zuge von Ausfuhrverfahren müssen rückgestellt werden. Es gibt verschiedene Schriftstücke aus dem Ministerium, die belegen, dass die Ungesetzlichkeit schon lange klar war. Aber man hat keine Entscheidung zur Freigabe getroffen, mit der Begründung: Wenn wir das in einem Fall erlauben, ist das ein Fass ohne Boden, dann wird jeder kommen und seine Kunstwerke ausführen wollen.

Wieso hatte die Österreichische Republik Interesse am Beethovenfries?

Das ist eine gute Frage. Einerseits sagt man, no na, es ist ja eines der wesentlichen Stücke in ihrem Kunstbesitz. Allerdings hat sich jahrzehntelang niemand um eine adäquate Depot-Situation, die Restaurierung oder die Suche nach einem Ausstellungsort gekümmert. Weil Erich Lederer Angst hatte, der Fries würde immer größeren Schaden nehmen, ihn aber gleichzeitig nicht ausführen durfte, entstand eine Pattsituation, für die man über Jahrzehnte keine Lösung vorschlug.

Der Beethovenfries wurde nach langem Ringen letztlich an die Republik verkauft. Expert_innen schätzten seinen Wert auf umgerechnet 70 Millionen Euro, verkauft wurde er für 15 Millionen.

In den Überlegungen, wie man zu dem Fries kommen könnte, kam die Finanzprokuratur auf die Idee, man könnte ihn, da er in den 1960er-Jahren durch die schlechte Depotsituation schon massiv Schaden genommen hatte, durch das Bundesdenkmalamt restaurieren lassen, müsse den Eigentümer nicht davon in Kenntnis setzen, er müsste aber für die Kosten aufkommen; diese Mittel würde er nicht haben, sodass man den Fries zwangsversteigern «müsste». Das ist ganz konkret so in den Unterlagen zu lesen: «Weil es eine Ausfuhrsperre gibt, werden wir den Fries sehr kostengünstig bekommen.»

2008 wurde das Kunstrückgabegesetz novelliert, sodass auch Kunstwerke, die vom Staat abgekauft wurden, rückgestellt werden können. Unter der Voraussetzung, dass der Ankauf zum Beispiel unter dem Druck der Ausfuhrsperre geschehen war. Genau so war es beim Beethovenfries. Dennoch ist der Beirat zu einer negativen Entscheidung gelangt, als sich 2013 Lederer-Erben um Restitution bemühten.

Das Problem ist, dass sich aus dem Kunstrückgabegesetz kein Rechtsanspruch ableitet und es nach einer Entscheidung des Beirats weder Rekursmöglichkeit noch Einsicht in die entscheidungsrelevanten Unterlagen gibt. Insofern weiß man nur, was öffentlich gemacht wurde. Einer der zentralen Sätze des Beirats war: Ja, man hätte die Familie Lederer schon schäbig behandelt, aber es gab dieses Ausfuhrgesetz und Erich Lederer hätte sich darüber hinwegsetzen können. Wie er das tun hätte sollen, das kann ich nicht sagen.

Der Beethovenfries ist eines der wesentlichsten Kunstwerke, die es in Österreich gibt, und ich meine, er hätte anderes verdient. Nur weil es nicht gesetzlich vorgesehen ist, hätte man sich trotzdem um eine andere Lösung bemühen können.

Wie hätte die ausgesehen?


Ich würde in erster Linie überlegen: Was will man vom Kunstrückgabegesetz? Im besten Fall kann etwas Neues daraus entstehen. Es ist eine Chance, gegenüber den Nachkommen einer vertriebenen Familie das Unrecht anzuerkennen. Sie können mit einer anderen Generation in Kontakt kommen und sehen, dass das heutige Österreich ein anderes ist. In den meisten Fällen hat Restitution nur bedingt mit den Objekten zu tun und sehr viel mit viel größeren Fragen.

Stattdessen fand ein unglaubliches mediales Bashing der Erben von Erich Lederer statt – es wurde Geldgier unterstellt und dass sie sich an Erich Lederers Schicksal bereichern wollten, die Secession hat gar geschrieben, sie seien Menschen, die das Schicksal von Flucht und Exil nicht teilten – das ist ungehörig. Es war so eine typische Situation: Jetzt will uns wer was wegnehmen! Als würde jemand in die Secession gehen und den Fries von der Wand schlagen.


Ihr Buch bietet den historischen Kontext, der in der medialen Diskussion und scheinbar auch in der Beiratsentscheidung gefehlt hat. Heute kann man den Fries in der Secession bewundern, ohne seine Geschichte zu kennen.


Er ist in die tragenden Mauern der Secession eingelassen und wirkt, als ob er immer dort gewesen wäre; dabei ist es keine dreißig Jahre her, dass er dort installiert wurde. Es gibt keinerlei Hinweis auf seine Geschichte und die Geschichte der Familie Lederer. Man muss über das große Thema, was österreichische Kultur ist, anders nachdenken. Die Republik schmückt sich mit Kunst und blendet völlig aus, wie sie dazu kommt. Die Lederers waren ein wesentlicher Teil der Kultur dieser Stadt, maßgeblich beteiligt an der Förderung der Wiener Moderne, sicher die wichtigsten Mäzene von Gustav Klimt, und das gilt es auch zu zeigen. Sie haben dieses Erbe, mit dem die Stadt Wien sich jetzt brüstet, maßgeblich mitgestaltet.

Theoretisch könnte ein Kunstrückgabebeirat beschließen, wir machen den Fall nochmal auf und restituieren den Beethovenfries.


Grundsätzlich kann jeder Fall neu aufgerollt werden, wenn es Aspekte gibt, die nicht berücksichtigt wurden und die zu einer neuen Entscheidung führen. Ob das passieren wird? Ich bezweifle es.

Sophie Lillie ist Kunst- und Zeithistorikerin in Wien. Sie arbeitet zu privaten Sammler_innen in Wien vor 1938, zu Kunstraub und Restitution. Als Provenienzforscherin hat sie im Fall des Beethovenfrieses ein Gutachten für die Familie Lederer geschrieben.

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