Was macht Frontex in unserem Parlament?tun & lassen

Flüchtlinge als Expert_innen Nr.1 – Eine Konferenz in Hamburg

Auf der Flüchtlingskonferenz in Hamburg erläuterten Sprecher_innen die Lage in den Transitländern Marokko und Tunesien. Was bei solchen Tagungen meist nicht der Fall ist, passierte hier wie selbstverständlich: Die wirklichen Fachleute waren stark vertreten. Über 2000 Flüchtlinge besuchten die dreitägige Refugee Conference. Kerstin Kellermann beobachtete für den Augustin.

Bild: «Flüchtlingsschiff» von Flatter Zenda. Foto: Kerstin Kellermann

«Es ist Europas Versagen, den Verletzten und Verletzlichen keine Sicherheit zu geben», sagt eine afrikanische Flüchtlingsfrau auf dem Pressetermin zur Konferenz auf Kampnagel in Hamburg, in einer ehemaligen Fabrik, zu der so viele Betroffene angereist sind. «Wir wollen etwas beitragen für die Gesellschaft, um die Knospen der Änderung aufspringen zu lassen. Im Moment wachsen Kinder unter völlig inakzeptablen Umständen in isolierten Flüchtlingslagern auf. Wir wollen Lösungen und Aktionen finden, um politische Änderungen zu fördern.» Draußen vor dem Fenster ist ein riesiger Verschiebe-Kran zu sehen, das Tanzquartier Kampnagel ist in einer alten Fabrik angesiedelt. «Ich bin sehr traurig», sagt ein alter Rom aus Mazedonien, «dass Flüchtlinge in diesem Niemands-Elends-Land an der griechischen Grenze Polizeigewalt erleben müssen. Auch in Deutschland ist es für uns Roma sehr anstrengend geworden mit dieser zunehmenden rechtsextremen Gewalt.» Die Strukturen kollabierten zunehmend, ist hier der Tenor, «die Situation kann nicht so bleiben». Viele Flüchtlinge sehen das so, dass zunehmend auch ihre eigene Bereitschaft, politisch zu handeln, gefragt wäre.

 

Auf dem Panel in dem bis oben hin gefüllten schwarzen Tanzsaal sitzen Mitarbeiter des «Alarmphone Tunisia», zwei NGO-Mitarbeiter aus dem Flüchtlings-Transitland Marokko, auch von der sogenannten Balkanroute, aus den Lagern Calais und Lampedusa sind Sprecher gekommen. Die Transitländer sind schwer betroffen von den Flüchtlings-Bewegungen und den Versuchen, diese zu verhindern. Emanuel, ein Kongolese, war in Marokko vier Jahre lang eingesperrt: «Vierzig Flüchtlinge wurden schwer verletzt oder getötet, als 400 versuchten, die Grenze nach Spanien bei Ceuta zu überqueren. Die Flüchtlinge werden gejagt. Hört auf, Krieg gegen Flüchtlinge zu machen!» Emanuel redet ohne Luft, er regt sich auf beim Reden und wird sofort von den Übersetzern eingebremst.

 

Aus Tunesien ist ein cooler Mann hier, der, in einen Kunststoffledersessel hingefläzt, ruhig die Lage erläutert. «Wir hatten eine Revolution in Tunesien. Nun gibt es aber kein Gesetz, das die Flüchtlinge beschützt. Es wurde eine Kommission im Parlament eingerichtet, die Experten von Frontex (offizielle EU-Agentur für Grenz- ubd Flüchtlingsfragen) geben unserer Regierung Ratschläge, dabei hatten wir ein uraltes Gesetz, das Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes garantiert. Was macht Frontex in unserem Parlament? Tunesien ist das Labor für die anderen Länder, für die sogenannten Hot Spots. Unsere Gesetze, unser Recht werden von Frontex mitbestimmt – das kann so nicht sein.»

 

Die Deutschen in der ersten Reihe winken schon wieder: Langsamer sprechen! Das Alarmphone mit der Nummer 0033486517161 wurde gegründet, nachdem die italienische Küstenwache im Oktober 2014 ein Boot mit 215 Menschen ignorierte, die elendiglich ertranken. Das war nahe Lampedusa. Inzwischen sind 120 Helfer_innen in verschiedenen Ländern an diesem alternativen Rettungs-Telefon beteiligt und arbeiten in 24-Stunden-Schichten. Der Sprecher für Lampedusa, der Afrikaner Patrik mit einem schwarzen Seeräubertuch auf dem Kopf, führt erst einmal eine Trauerminute für die Toten von Lampedusa durch. Schweigen im Saal, alle sind betroffen. Es ist eine große Trauerarbeit hier, wichtig für die davongekommenen Flüchtlinge, die so einiges gesehen haben auf ihrer Flucht.

 

Es war nicht Merkel, die die Grenzen öffnete

 

«Jeder wird sich an das Foto der Polizei auf den Schienen der internationalen Zugsverbindungen erinnern. Wir erleben eine Remilitarisierung der Grenze, ein militärisches System gegen Flüchtlinge», meint Sprecherin Fatou aus Calais, «doch wenn die Leute nicht stoppen, an der Grenze nicht halt machen, ist alles möglich. Es war nicht Angela Merkel, die die Grenzen öffnete, sondern der Kampf der Flüchtlinge, die Menschenrechtsverletzungen sofort dokumentieren konnten.» Ein schwarzer Junge macht ein Foto von ihr. Hinten auf seinem T-Shirt steht «Don’t panic, I’m with you» drauf, er ist ein Musiker der «No Stress Tour», die durch die deutschen Flüchtlingslager zieht und Konzerte gibt. Manche Flüchtlinge sind sehr radikal und zugleich sehr klar drauf. Es ist aber grundsätzlich nicht einfach, die Schuldigen für Krieg und Terror auszumachen. «Als ihr Syrien zerstört habt, seid ihr auch ohne Visa gekommen», sagt ein Syrer in der Diskussion nach dem Panel. «Ihr hattet kein Visum der syrischen Bevölkerung dafür. Wir sind hier, weil ihr unser Land mitzerstört habt.» Dabei sind auf Kampnagel sicher nur flüchtlingsfreundliche Deutsche anwesend und das ominöse «Ihr», das die Schuld am Syrien-Krieg trägt, ist nicht klar.

 

Es ist interessant zu beobachten, wie auf dieser Konferenz alte Strukturen und Traditionen aufbrechen. So wurde etwas abseits vom Geschehen ein Schutzraum für Frauen und Kinder eingerichtet, ein Haus, das von den Flüchtlingsfrauen nicht angenommen wird. Sie kommen in einer kleinen Demonstration in die Konferenz gelaufen, unterbrechen das Panel, stürmen das Podium und reden etwa neunzig Minuten über ihre Bedürfnisse und Ideen. «Wir wollen nicht abseits stehen, sondern unsere Stimmen hörbar machen», ist der Tenor. Es wird schon seinen Grund haben, dass Flüchtlingsfrauen 2014 eine eigene Konferenz in Hamburg einberiefen, bei der nur Frauen und Kinder zugelassen waren (der Augustin berichtete). 

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