Was passiert wirklich in Kroatien?tun & lassen

Tausende Menschen werden wegen «Dublin III» weggeschickt

Auch wenn in Zagreb 600 Flüchtlinge im Flüchtlingsheim «Hotel Porin» sitzen und einige wohl privat wohnen können, bleibt die Frage, wo die anderen Tausenden unterkommen, die aus Deutschland und Österreich abgeschoben werden.  Kerstin Kellermann hat mit einer Niederösterreicherin gesprochen, die «Leben retten» möchte – und sich mit den Abschiebungen ihrer Freund_innen konfrontiert sieht.

Foto: Samer Amin

«Sie stammelte in einer Tour nur noch ‹I am not alive› vor sich hin. Sie war nicht mehr ansprechbar und zum Teil apathisch», erzählt Margit H. aus Groß-Enzersdorf, die sich an den Augustin gewandt hatte, mit dem Aufruf «Leben zu retten».

Margit H. kümmerte sich um eine junge palästinensische Familie, der Mann ein palästinensischer Syrer (22), das Baby noch kein Jahr alt und wohl in Österreich geboren, die junge Mutter (22) aus Palästina – wo immer das in Wirklichkeit ist. Wahrscheinlich lebte sie auch in Syrien.

Gerade in diesem Moment sitzt diese junge palästinensische Frau mit Baby, aber schon im Flieger nach Kroatien. Obwohl eine Kommission der Volksanwaltschaft sie heute früh in der Zinnergasse in Wien Simmering in der geschlossenen Schubhaft besuchte, wurde sie abgeschoben. Anlässlich der Angst vor unseren Bundespräsidentenwahlen scheint nichts zu zählen, es gibt keine Nachsicht, kein christliches Erbarmen mehr, keine Einsicht in die Folgen von Schubhaft, Abschiebung und dem nächsten Verlust eines Zuhauses. Was früher noch einen Unterschied machte, zählt nichts mehr – wie eine erfolgreiche Integration und absolvierte Deutschkurse. Oder starke Traumata, die durch die bevorstehende Abschiebung dermaßen getriggert (ausgelöst und wiederholt) wurden, dass die Frau eine Lähmung in den Beinen bekam und nur noch «wirres Zeug» redete – so Margit H. Die Psychiatrie in Tulln nahm die junge Mutter trotz Überweisung durch den Hausarzt nicht auf, sondern untersuchte sie nur körperlich vier Stunden lang und schob dann «das kleine Häufchen Elend» im Rollstuhl wieder ihren privaten Helfer_innen zu. («Was mutet der Staat seinen Bürgern zu?», fragt Margit H.); die die ganze Nacht abwechselnd auf sie aufpassten, bis in der Früh um halb sieben die Polizei kam und die ganze Familie abtransportierte. Nerven hin, gelähmte Beine her. Die österreichische Familie, bei der sie wohnte, startete einen Aufruf via Facebook: «Wir wollen unsere Freunde zurückhaben.»

 

Wohin wird weitergeschoben?

Nach dem Augustin-Artikel über den irakischen Flüchtling Ali (Nr. 421/September 2016), der nach Zagreb abgeschoben wurde, meldeten sich viele Leser_innen beim Augustin. Ali sitzt inzwischen noch im Zagreber «Hotel Porin» und fürchtet sich laut seiner österreichischen «Familie» sehr vor einer weiteren Abschiebung. Die will ihn Mitte November wieder besuchen, Winterkleidung brachte sie ihm bereits. Kroatiens einziges großes Flüchtlingsheim ist aber überfüllt. Mit Hilfe von Stockbetten wurde die Bewohner_innen-Anzahl von 300 auf 600 Menschen erhöht. Verschiedenen Organsiationen – und auch der Rechtsanwalt Lennart Binder, von dem ebenfalls Klienten abgeschoben wurden – gehen von Tausenden aus, die nach der EU-Verordnung «Dublin III» aus Deutschland und Österreich in Richtung Kroatien weitergereicht worden sind. Die Frage ist nur, wo sind sie untergekommen? Auch wenn es einige geschafft haben, privat zu wohnen, kann die Anzahl dieser «Glücklichen» nicht sehr groß sein. Wo sind all die anderen geblieben?

Es ist unklar und es gibt keine Daten dazu, wohin die kroatische Regierung die Flüchtlinge weiter verschiebt. Ob auf dem Landweg in die Nicht-EU-Länder Serbien und Montenegro, in Richtung Türkei oder Griechenland. Oder per Direktflug nach Syrien und in den Irak zurück, wie Alis «Mama», eine ziemlich strenge und genaue pensionierte Lehrerin behauptet, die am 15. Juli in Zagreb eine syrische, aus Krems abgeschobene Familie mit kleinem Kind kennenlernte, die am Nachmittag plötzlich verschwunden war. Der Security im Flüchtlingsheim sagte ihr auf Nachfrage schulterzuckend: «Nach Syrien!». «Natürlich war ich im Flieger nicht dabei, aber warum sollte er mich anlügen?», meint Alis selbstgefundene Mama. Auch die österreichische Regierung schiebt direkt in den Irak ab, daher ist Alis Angst verständlich. Eine Rückschiebung könnte für ihn, dessen Vater von IS-Killern ermordet wurde, das Todesurteil bedeuten. Nun sitzt er in Kroatien und weiß nicht, wie ihm passiert. Ständig kämen neue Flüchtlinge an und verschwänden wieder, erzählt der junge Mann.

 

Die nächsten zwei

Zurück zur Augustin-Leserin Margit H.: Neben der palästinensischen Familie sorgt sie sich noch um zwei kurdische Syrer, die Brüder Şivan und Yusef, die den Abschiebebescheid schon zugestellt bekamen. Ein dritter Syrer, Samer, der in Aleppo Marketing studierte und ein sehr guter Fotgraf ist, erhielt aufschiebende Wirkung seiner Abschiebung durch ein Gericht. Sein Bruder lebt als anerkannter Flüchtling in Österreich, und Samer hat ein Jobangebot in der Tasche. Er dokumentierte selbst seine Flucht mit Fotos – lauter seltsame Selfies sind dabei entstanden.

Bevor nicht geklärt ist, was das EU-Land Kroatien mit den zurückgeschobenen Flüchtlingen unternimmt, sollte niemand in dieses Urlaubsland für Österreicher müssen. Schon gar nicht, wenn er oder sie bereits in Österreich ein neues Zuhause gefunden hat und Freund_innen, die ihn unterstützen und gerne haben.

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